Ägina

 

Geschichte

Die Besiedlung der Insel geht auf das 4. Jtd. v. Chr. zurück (Spuren auf dem Stadtberg). Im 3. Jtd. war bereits ein Hafenplatz vorhanden: Handelsbeziehungen zu Kreta, dem Festland und den Kykladen (Keramikfunde, heute im Stadtmuseum). Im 2. Jtd. Besiedlung durch die Achäer und später durch die lonier. Als sagenhafter Stadtgründer und König galt Aiakos (Sohn des Zeus und der Flußgottochter Aigina). Nach ihr wurde die Insel, die ursprünglich Oinone (»Weininsel«) hieß, umbenannt; Aiakos selbst wurde auf Grund seiner Rechtschaffenheit zum Totenrichter (neben Minos und Rhadamanthys) bestellt. Gegen 950 v. Chr. wurde Ägina von den Dorern unterworfen, war Mitglied der Amphiktyonie von Poros und erlebte im 7. und 6. Jh. v. Chr. eine große wirtschaftliche Blütezeit (Silberhandel mit Spanien). An dem damals blühendsten dorischen Seehandelsplatz wurden auch die ersten griech. Münzen um 656 v. Chr. geprägt (mit Schildkrötenstempel). Bronzestatuen aus äginetischem Erz waren berühmt. Höhepunkt war der Bau des Tempels der Aphaia (um 480 v. Chr.), zu dessen Einweihung Pindar das Festlied dichtete. Zwischen Ägina und der aufstrebenden Seemacht Athen (Piräus) entstand eine erbitterte Rivalität, die mit dem Sieg Athens 458 und der Eroberung Äginas 455 v. Chr. endete (Schleifung der Befestigungsan-lagen, Auslieferung der Schiffe, hoher Tribut). 431 v. Chr. Vertreibung der Einheimischen und Ansiedlung athenischer Kolonisten. Von da an verlor die Insel ihre Bedeutung. Später von Pergamon aufgekauft, fiel sie 133 v. Chr. an die Römer. In byzantinischer Zeit wurde sie häufigvonden Sarazenen geplündert (Verlagerung der Hauptstadt ins Landesinnere bei Paläochora). Von 1204-1317 fränkisch-venezianisch, bis 1452 katalanisch, bis 1715 venezianisches Besitztum. 1537 Überfall und Plünderung durch den algerischen Korsaren Chaireddin. 1715 Besetzung durch die Türken bis 1826 (endgültige Befreiung). 1828 errichtete Kapodistrias hier vorübergehend den Sitz seiner ersten freien Regierung Grie-chenlands (später Navplion und dann Athen)..

Ägina: Der Hauptort der Insel liegt an der Stelle der antiken Stadt Aigina (um 2500 v. Chr. gegründet). Von den einstigen Anlagen sind heute nur noch wenige Reste erhalten. Apollon-Tempel (10 Min. Fußweg vom Hafen Richtung Kolona): Vom Tempel (6. Jh. v. Chr.) ist nur noch ein Säulenschaft ohne Kapitell erhalten. Der Bau stand über einem Heiligtum des 7. Jh. v. Chr. (Reste eines Opfergrabens und eines viereckigen Wohnhauses mit drei Räumen). Im SO des Tempels Fun-damentreste eines archaischen Propylons; im SW Spuren von zwei kleinen Tempeln und eines kreisförmigen Fun-damentes (Grabmal); im N Reste eines Bouleuterions; im W Spuren des hellenistischen Attaleions. - Im NO der Stadt sind noch Reste einer antiken Wasserleitung(6./5. Jh.) zu sehen. - Die Kathedrale von 1806 birgt einige schöne Ikonen. - In Hafennähe die hübsche Kapelle Agios Nikolaos. -

Stadtmuseum (neben der Kathedrale): Es beherbergt Funde aus dem 3. Jtd. bis in die römische Zeit. Reichhaltig ist die Sammlung von Figurinen und Keramiken aus prä-historischer, mykenischer und klassischer Zeit (3500-150 v. Chr.), an denen sich die Besiedlungsgeschichte der Insel ablesen läßt. Interessant auch eine Öllampensammlung (600-500 v. Chr.); ferner Bronzegegenstände, Terrakotten, Reste von Grabreliefs und Skulpturen (Bruchstucke), besonders die »Sphinx von Ägina« (6. Jh.). Bruchstücke vom Tempel der Aphaia (die Mehrzahl der sog. »Ägineten« befindet sich in der Münchener Glyptothek). Außerdem Stücke vom Apollon-Tem-pel (5.Jh.).

Umgebung: Die Kirche Agii Theodoros (auch Omorfi Ekklisia, »Schöne Kirche« genannt), ca. 4 km ö der Stadt, ist eine Stiftung von 1282 (Stifterinschrift an der Südseite). Die Tonnengewölbe sind mit Fresken aus dem Neuen Testa-ment (Christi Geburt, Kreuzigung, Auferstehung) geschmückt; an der Apsis die Panagia (Muttergottes). - Kloster Agios Nektarios (7,5km ö): Hier lebte der Erzbischof Nektarios (1920, 1961 heiliggesprochen). Berühmte Wallfahrt. - Kloster Panagia Chrysoleontissa (»Muttergottes von der Goldlöwin«): Es stammt aus dem 16. Jh. mit festungsartigen Mauern und Turm. Die Klosterkirche (1806 erweitert) birgt eine prächtige Schnitzikonostase mit Szenen aus dem Alten Testament, Heiligen und Engeln; Ikone der Panagia (dem hl. Lukas zugeschrieben).

Paläochora (»Altdorf«): An einem Berghang (8 km ö von Ägina) liegt der ehemalige mittelalterliche Inselhaupt-ort (im 9. Jh. als Zufluchtsort gegründet, mehrfach zerstört und um 1800 endgültig verlassen). Überragt von der venezianischen Burgruine (1654 errich-tet) stehen heute nur noch wenige profane Bauten, jedoch die meisten der über 20 Kirchen sind noch gut erhalten. Zumeist sind es tonnengewölbte Kapellen aus grauem Naturstein (weißge-tüncht). Sie stammen aus dem 13. Jh. (Spitzbogengewölbe). Die ältesten sind Kuppelkirchen in Form eines griech. Kreuzes. Die Ikonostasen (gemauert) sind mit schönen Fresken geschmückt. - Episkopi-Kirche (ehem. Hauptkirche von Ägina): Fresken aus dem 17. Jh. An der Ikonostase eine Ikone der Panagia (Muttergottes) aus dem 16./17. Jh. Hier lebte der hl. Dionysios (von Zakynthos), dessen Zelle im Hof erhalten ist. - Erwähnenswert femer die Stavros-Basilika, die Kapelle Agios Nikolaos (Skulpturen), die Klosterruine Agia Kyriaki (um 1830 verlassen), die Kirche Zoodochos Pigi (»Lebensquell«) mit gut erhaltenen Fresken des 17. Jh., die Kirche Agios loannis (Theologos) aus dem 14. Jh. mit späteren Fresken, die Kirche Agios Nikolaos (älteste des Ortes), die Kirche Agios Evthymios (Fresken im peloponnesischen Stil), die Kirche Agios Georgios (mit Fresken vom hl. Georg und der hl. Dominika als byzantinische Prinzessin) und die Kirche Agios Stefanos. -

In der Inselmitte liegt der Berg Profitis Elias mit 532 m weithin sichtbar (gute Aus-sicht). Hier wurden Fundamentreste eines früharchaischen Zeus-Heiligtums entdeckt (heute die Kapelle Profitis IIias); außerdem Reste eines Altars (Zeus Panhellenios). Am Nordhang an-tike Terrassen mit Treppen und die kleine Kirche Ton Angelion (»Engelskirche«). Am Südhang befinden sich Reste einer mykenischen Siedlung (recht-winklige Häuserfundamente).

Tempel der Aphaia

Der aus äginetischem Kalkstein um 480 v. Chr. erbaute und heute noch gut erhaltene dorische Tempel ist herrlich auf dem Gipfel eines bewaldeten Hügels gelegen (10 km ö der Stadt Ägina über dem HafenortAgia Marino) mit prächtigem Ausblick nach 0 über den Saronischen Golf. Er steht an der Stelle eines früheren Tempels (um 570 erbaut, um 510 zerstört), der ebenfalls der uralten einheimischen Göttin Aphaia geweiht war. Die Zeustochter Aphaia soll, um ihre Jungfräulichkeit zu retten, auf einem Fischerboot von Kreta auf der Flucht vor König Minos in Ägina gelandet sein (Bezug zum kretischen Kulturkreis). Der dorische Tempel wurde auf einer aufgeschütteten Terrasse errichtet, über dem früheren Anten-Tempel (6. Jh.). Im verschütteten Altbau fand der deutsche Archäologe Adolf Furtwängler (Vater des Dirigenten Wilhelm Furtwängler) 1901 Altar und Elfenbeinstatue der Aphaia und eine wichtige Inschrift mit deren Namen (6. Jh. v. Chr.). Dadurch war die Ansicht endgültig widerlegt, daß es sich um einen Tempel der Athene handelte.

Der zweite Tempel, von dessen 32 Säulen um die Cella heute noch 23 erhalten bzw. restauriert sind (neben Teilen des Architravs), wurde zur Zeit der größten Machtentfaltung Äginas um 500 v. Chr. begonnen. Der Peripteros wurde wohl erst nach der Schlacht bei Salamis (480 v. Chr.) vollendet. Bei der Ausweisung der Ägineten 431 v. Chr. wurde auch der Tempel aufgegeben. - Um 480 v. Chr. wurde der gesamte Tempelbezirk zu einer einheitlichen Komposition vereinigt: Er war rechtwinklig ummauert, nach 0 und N durch eine Terrassenmauer gestützt. Man betrat den Heiligen Bereich von SO. Zwischen zwei Torbauten (äußeres und inneres Propylon) lagen die Priesterräume (Säulenhalle mit 4 Säulen, Fundamente erhalten). Neben dem Eingang die Reinigungsbecken. Nach dem Innentor Tem-pelrampe, Brandopferaltar (rechts) und Tempel (13,77 m x 28,81 m). 6 Säulen standen an den Schmalseiten und je 12 an den Längsseiten (Säulenhöhe 16 Fuß, Säulenabstand 8 Fuß). Die Säulen, von denen an der Peristasis die meisten heute noch stehen, sind schlanker als in anderen frühklassisch-dorischen Tempeln. Die Cella war mit Vor- und Rückhalle versehen und im Innern dreischiffig angelegt. Das Mittelschiff (3,05 m) säumten zwei doppelstöckige Säulenreihen; der Boden der schmalen Seitenschiffe (90 cm) war leicht erhöht.

Das Kultbild der Aphaia stand vor der Rückwand zwischen dem vorletzten Säulenpaar und wurde bei feierlichen Anlässen aus der Cella (Allerheiligstes) zum Altar hinausgerollt. Unterbau, Cella-Wände, äußere und innere Säulenreihen aus Kalkstein, der mit feinem marmorartigem Stuck überzogen war (teilweise noch sichtbar). Dachschmuck und Giebelfiguren, die sich heute teils in München (Glyptothek), Athen und im Ägina-Museum befinden, sind aus parischem Marmor. Die Figuren waren (wie auch Wandteile) farbig gefaßt (Fleischteile weiß), der Giebelhintergrund war blau. Der ältere Westgiebel entstand um 510 v. Chr.: Er stellt Kämpfe äginetischer Helden vor Troja dar (Aias und Teukros, Enkel von Aia-kos). In der Mitte steht bewaffnet Pallas Athene als Schutzgöttin der Griechen. Im Ostgiebel (zweimal geschaffen, die älteren Figuren vergraben) ist die Eroberung Trojas durch Telamon (Vater des Aias, Sohn des Aiakos) dargestellt, außerdem Herakles. Die Göttin Athene nimmt bewegt am Kampfgeschehen teil (Die Giebelfiguren wurden 1812 von König Ludwig I. von Bayern gekauft und befinden sich heute in der Äginetensammlung der Münchener Glyptothek). Architektonisch steht der Aphaia-Tempel anderen spätarchaischen Sakralbauten nahe, etwa dem Ceres-Tempel (Athenaion) in Poseidonia (Paestum) und dem Herakles-Tempel in Agrigent (beide um 500 v. Chr.).