Werner Groß



Lebenserinnerungen (niedergeschrieben1941/44)



Umgeschrieben, mit Bemerkungen versehen und editiert von Hartmut Schmidt, 2008



[Abschrift nach den handschriftlichen Originalen, der Haupttext (1941) aus dem Bestand von Peter Schmidt. Dieser Haupttext ist großenteils auf den Rückseiten von Druck­sa­chen­­ im A4-Format des Jahres 1941 geschrieben, zu Anfang [S. 2a] auch auf einem Ka­len­derblatt vom Februar 1941 (später noch auf dem Oktoberblatt 1941), vollständiger und mit mehr zusammen­hängenden Dar­stellungen als die mir früher einzig bekannte Kurzfassung vom Jahr 1944, die ich verwalte. Beide Fassungen bestehen aus mehreren nicht durchredigierten und also konkurrierenden Textschichten. W. G. hat seine Darstellung also mehrfach mit Wie­derholungen und Varianten neu begonnen. Hier ist versucht worden, aus allen Papieren immer [oft mit Nennung von Varianten] die inhaltlich reichsten Angaben auszuwählen (einschließlich einiger später durchgestrichener, aber interessanter Stellen) und die Darstellung der Originale von 1941 und 1944 zusammen­zu­führen. Das ging nur mit kleinen Kompromissen, aber ohne jede Einmischung moderner Formu­lierungen in die Originale. Formale und orthogra­phische Eigenheiten (z. B. altmodische Dativ-Endungen und alte th- und ß-Schreibungen) habe ich respektiert.

Sicher deutbare Abkürzungen sind in der Abschrift in der Regel auf­gelöst worden. Ge­­legentliche (meist versehentliche) Wortwiederholungen wurden weggelassen, Flüch­tigkeitsfehler und manchmal sehr ungewöhnliche (wohl provisorisch ange­setz­te) Reihenfolgen der Satzteile sind stillschweigend verbessert, aber im Bestand der Wörter nicht verändert. Kleine am Rand oder zwischen den Zeilen nachge­tra­gene Notizen wurden nach Möglichkeit korrekt in den Text eingeordnet. Einige unvoll­ständig eingetragene Lebensdaten und Namenangaben, auch Überschriften sind ohne Klam­merung ergänzt worden. Alle übrigen Ergänzungen, Anmerkungen und Erklärungen, die nicht von W. G. stammen, sind durch eckige Klammern markiert. Mannheim, 15. Juni 2008, Hartmut Schmidt]



Lebensdaten:

Werner Siegfried Groß wurde geboren am 2. 6. 1868 in Görlitz als Sohn des Begründers und Rektors der dortigen Höheren Bürgerschule Julius Groß (geboren am 23. 12. 1831 in Postelwitz, gestorben am 22. 1. 1890 in Görlitz).

Werner Groß war Pfarrer in Sacro (früher auch „Sakro“) bei Forst von 1900 bis 1936. Verstorben ist er am 18. Januar 1947 in Frankfurt an der Oder.

Ehefrau: Margarete (Grete) Liane Ottilie Handtmann (16.7.1873 Hamburg – 21.7.1945 Frankfurt a. d. Oder).

Kinder: (1) Ulrich, geb. 18. 2. 1901, Heirat am 1. 10. 1929 mit Katharina (Käthe) Hammer. Dr. agr. Verstorben 1981 in Gelnhausen. (2) Katharina (Käthe), geb.7. 3. 1904, Heirat am 7. 3. 1930 mit Gerhard Schmidt. Sie war geprüfte Lehrerin der ländlichen Hauswirtschaft. Verstorben am 8. 9. 1984 in Frankfurt/Oder.

Werners älterer Bruder: Konrad Groß (geboren am 8. 9. 1863) war Botaniker an botanischen Gärten in Königsberg, St. Petersburg und Warschau, zuletzt Museums­leiter in Chwalynsk an der Wolga. Dort sollte er im Oktober 1940 in Rente gehen. Sein letzter erhaltener Brief an seinen Bruder stammt vom 22. 9. 1940.



Lebenserinnerungen von Werner GroßNur für Dich!“

Wie J. Wolff in seinem „Sülfmeister“ [1883] schreibt!

Früheste Erinnerungen

Meine ältesten persönlichen Erinnerungen haften an Bernstadt in Schlesien, wo mein Großvater Ludwig Groß [geb. in Bayreuth 17.8.1796], der vorher in Postelwitz (1827-1852) Pfarrer gewesen war, Superintendent war [1852-1873, gestorben 1873 in Bernstadt] und wo ich mit meinen Eltern von Görlitz aus als etwa 3jähriger Junge beim Großvater zu Besuch war. Großvaters Garten (die Großmutter war schon lange tot, und Tante Lenchen führte ihm die Wirtschaft) war an der Hinterseite durch die hohe Stadtmauer begrenzt. Dort hatte ich mein Gebiet und wirkte, wie die Tante mir oft erzählt hat, als „verwelkter Blätterabschneider“ usw. Großvater hatte meine Mutter sehr gern, hatte auch ihr zu Ehren eine von ihm gezüchtete Stockrose (Malve) „das Schwiegerliesel“ genannt. Mit mir bespaßte er sich oft und gern, tat so, als wenn er mir meine Frühstückssemmel („Hefebrotel“) wegnehmen und aufessen wollte, was ich natürlich mit unwilligem Geschrei beantwortete. Er aß sehr gern (täglich?) Krebse, die beim Fischer Mahlich in bedeutender Größe und Menge geholt wurden, die bis Paris berühmten Weide-Krebse: écrevisses de la Weide. Ich erinnere mich noch, selbst mit angesehen zu haben, wie vom Fischer große Weidenruten-Körbe voll großer Krebse aus dem Wasser herausgezogen wurden. Ebenso erinnere ich aus einem Aufenthalte mit den Eltern in Oberstreit bei Striegau (Striegauer Berge! Berühmter Fundort von Kristallen, Kristallgruppen auf meinem Schrank: Apatit [Textvariante: Schobasit], Rauchtopas [also Rauchquarz], Feldspath usw.), wo ein Schwager (Mirus) meiner Mutter Steinbruch-Direktor war (Vater der nun verstorbenen Tante Hannchen), daß ich als ganz kleiner Kerl mit meiner ungefähr gleichaltrigen längst jung (19 Jahre) verstor­benen Kusine Lenchen mich in den Himbeer-Sträuchern versteckte und meine gute Tante Marie Mirus uns dort suchen und holen mußte. Dort in Oberstreit war ein alter Bahnwärter Lamprecht, der uns ca. 1871 zeigte, wie man große Nadeln etc. von den nahe am Hause vorbeifahrenden Bahnzügen breitwalzen lassen konnte.

Auch an den in den Krieg [1870/71] ziehenden (und vor Paris gefallenen) Bruder Emil meines Vaters, der mir versprechen mußte, eine „Lommelpete“ (Trommel und Trompete) mitzubringen, besinne ich mich noch gut. Von 1870/71 steht mir noch das Bild unseres großen Görlitzer Familientisches im Gedächtnis, an dem wir, Mutter und Kinder, Charpie zupfend für die Verwundeten, zusammensaßen. – Aus Erzählungen meines Vaters weiß ich noch, daß sein Großvater in Karlsruhe / Oberschlesien [der „Schlosskastellan“ August Groß, 1768-1848], wo er Verwalter des Herzoglich Württembergischen Schlosses war, sich nach dem Essen oft von seiner Frau auf den Bauch treten ließ (Massage!). Vom Herzog stammt noch die große goldenen Uhr im Wohnzimmer [1945 geplündert].

Über den anderen Bruder meines Vaters, Onkel Paul Groß, Leutnant, später Hauptmann, im Zivilberufe Bergbeamter in Oberschlesien, bei Herrn Bergwerks­direktor von Krenski sehr beliebt, (vgl. den Nachruf des Bergrats von Krenski) siehe Regimentsgeschichte des 5. Thür, Inf. Regts Nr. 94, S. 230 u.a., gefallen vor Orleans. –

Unser Vater erzählte manchmal, wie sein Schwiegervater, Hotelbesitzer und Schützenmajor Emil Thilo [in Striegau, 1805-1864, Sohn des dortigen Superintendenten Heinrich Wilhelm Christian Thilo, 1771-1857], des Abends, wenn seine Schützen nicht mehr ganz genau „im Lote“ marschierten, mit einiger Anstrengung das Kommando gab: „Zum Kreise schließt euch!“ und dann an sie ein Abschiedswort richtete (siehe Filla, „Chronik von Striegau“ mit vielen Thilo-Erinnerungen, z. B. S. 322 und 284 Friedrich der Große). Derselbe pflegte, wenn Abends im „Deutschen Hause“ (eigentlich das „Weinhaus“, also das fürnehmste Lokal der hübschen Stadt), das heißt, wahrscheinlich in dessen Kutscherstube, die Spießer [Variante: „die Striegauer Bierphilister“] zu lange kleben blieben, sie mit den Worten: „Meine Herren, Sie sind entlassen!“ an ihre häusliche Pflicht zu erinnern! Er scheint überhaupt nach altstädtischer Bürgerart ein ziemlich strammes Regiment daselbst geführt zu haben.

Ach, daß man so wenig daran gedacht hat, Eltern und Verwandte über seine Voreltern auszufragen, solange es Zeit war. Besonders schön war es für uns zwei kleinere Jungen zu Hause, wenn Großmutter Thilo aus Striegau ([Mathilde Heilmann, 1818-1886], katholisch! [Emils Frau]) zu uns zu Besuch kam, weil sie uns immer so schöne Märchen („vom Graumännlein“) erzählte!

[Erhalten hat sich ein Geburtstagsbrief von Werner Groß an seine Großmutter Mathilde Thilo in Striegau, deren Geburtstag auf den zweiten Weihnachtstag fiel, weshalb der Enkel auch über die eigenen Geschenke und die für Mutter, Vater, Henriette [„Jette“] und Fräulein Schlawe [die schon 1881 mit nach Rügen fuhr] berichtet. Der Brief ist nicht datiert; W. G. hat „ca. 1883“ notiert:

Liebe Großmutter!

Nimm auch von mir die herzlichsten Glückwünsche entgegen. Dann bedanke ich mich auch aufs beste für die mir zugesandten 3 M, welche ich gestern Abend nebst einer Bibel, einem Portemonnaie, einem Hammer von Jettchen, einem Bleistift-Etui, endlich einem Ueberzieher und sehr schöner Hose und Weste vorfand. Zu erwähnen habe ich noch vergessen einen Draht-Gazedeckel für meinen Mäusebehälter; denn wie Du wohl schon weißt, habe ich mir aus dem Breslauer Zoologischen Garten ein Paar weiße Mäuse kommen lassen. Ungefähr vor 8 Tagen lagen, wie ich Morgens nachsah, 6 der niedlichsten Jungen da. Sie waren noch blind und nackt und ganz roth. Auch jetzt können sie noch nichts sehen, haben aber doch schon über und über weiße Haare und sind tüchtig gewachsen. –

Auf der anderen Seite dieses Manuscripts habe ich aus den „Fliegenden Blättern“ Dir eine kleine, niedliche, wenn auch nicht weiter gut gerathene Skizze [7 Bilder über „Boxl im Caféhaus“] abgezeichnet. Es freut mich übrigens sehr, daß Dir meine kleine Gabe gefallen hat, Fräulein Schlawe und „Henriette“ habe ich je ein ähnliches Weidenkörbchen geschenkt. Mutter haben wir, Konrad und ich; aus vereinigten Kräften eine Torte und eine Flasche Wein geschenkt. Vater hat, ebenfalls von uns beiden, einen Bilderrahmen, den er noch selbst schnitzen kann, und ein Schnitzbrett bekommen.

Mit den herzlichsten Grüßen an Dich, liebe Großmutter, an Onkel und Tante Faber und alle Anwesenden, schließt

Dein getreuer Enkel

Werner G.“

In Striegau soll es noch irgendwo einen Druck oder Holzschnitt geben, der den in der Striegauer Chronik, Seite 322, beschriebenen Vorgang von 1813 schildert, der für das Weiterbestehen dieser heute so blühenden Stadt von größter Bedeutung war! Aber wo?

So weit meine eigenen dürftigen Erinnerungen! Auch weiß ich noch, wie unsre brave Jettel, die uns alle (seit 1868) und auch noch unsere Kinder aufgezogen hat, meine Amme, damals ein junges Mädchen aus Pfaffendorf bei Landeskrone [westlich von Görlitz], wenn sie früh morgens den Kaffee brachte, kosten mußte, ob er nicht zu heiß sei, dann aber von mir Knirps strenge dazu aufgefordert wurde: „Wieder rausbringen!“ Damit mir nichts von dem edlen Gebräu verloren gehe. Worauf sie so tun mußte, als ob sie den eben abgetrunkenen Kaffee „wieder rausbrächte“!! Sie wurde bei uns ganz zur Familie gerechnet. Mein Vater hat ihr oft im Scherze erzählt: Wenn sie einmal gestorben wäre, würde er sämtliche Leiermänner der Stadt (damals fast in jeder Straße einer) dazu einladen und die müßten ihrem Sarge vorangehen und jeder ein andres Lied spielen! Worauf sie regelmäßig erwiderte, halb belustigt, halb beschmerzt: „Nu das sollt mer grade einfallen!“

Sie zog noch mit uns nach Sakro und hat auch, wie uns selber, unsre Kinder wieder mit aufgezogen, bis es „nicht mehr ging“. Als dann Mutter [Elisabeth Groß, geb. Thilo] zu uns nach Sakro zog, zog Jettel zu ihrer Tochter Selma [Variante: „Selina“], verheiratete Kohtz, nach Laschwitz [Variante: Moys] bei Görlitz und als es dort auch „nicht mehr ging“, nach der Heiligen-Grab-Straße in Görlitz. Dort lebte sie, mit unserer Unterstützung [Variante: „wo wir sie pensionierten“], und ging auch auf Arbeit zum Gärtner. Zuletzt ist sie dort durch Gasvergiftung gestorben.



Die Eltern: Rektor Julius Groß und Elisabeth Thilo, die Familie und Görlitz

Beide waren unvergeßliche, prächtige Menschen, die herrlich zu einander paßten und – ich kann es kaum anders ausdrücken – zusammen eine gradezu ideale Ehe führten! Ich habe soweit ich mich erinnern kann, nie ein böses Wort zwischen beiden, ja nicht einmal ein scharfes, gehört. Alles in liebevollem gegenseitigen Verstehen. Vater war ein meist ernster, aber gelegentlich auch zu lustigem Humor geneigter Mann. Mutter stets freundlich und zu uns gütig. Vater (1831-1890) starb für uns viel zu zeitig an Lungenentzündung und Emphysem; ich war erst 20 Jahre alt. Mutter (1842-1905) hat ihn lange überlebt.

Mein Vater, ursprünglich Theologe, dann, da das Fach damals überfüllt, so daß viele Theologen schließlich als ewige Hauslehrer endeten, zum Schulfache über­gegangen, erst in Striegau, dann (1866) in Görlitz Rektor der Stadtschulen, später der Höheren Bürgerschule in dem prachtvollen Schulgebäude an der Elisabeth­straße, war in der ganzen Stadt hochgeachtet und beliebt1. Ein Ehrenmann im besten Sinne des Wortes, bei seinen ehemaligen Schülern nie vergessen! (vgl. Brief des Oberstudienrates Krause/Breslau). Sein Grab auf dem schönen alten Friedhofe in Görlitz von [der] Stadt Görlitz instand gehalten. Mir ganz unbekannte Leute kamen, als er im Sarge lag, um ihn noch einmal zu sehen und um Abschied von ihm zu nehmen.

[Der Wortlaut der Todesanzeigen der Familie, des Magistrats und des Handwerkervereins in der Görlitzer Zeitung:

Gestern Abend 9 Uhr endete sanft nach achttägigem schweren Leiden das teure Leben unseres heissgeliebten Gatten und Vaters, des Rektors der höheren Bürgerschule Karl Gustav Julius Gross. Statt jeder besonderen Anzeige widmen diese Nachricht allen Teilnehmenden, Görlitz, den 23. Januar 1890, Die tieftrauernden Hinterbliebenen Elisabeth Gross, geb. Thilo. Konrad Gross. Werner Gross. Die Beerdigung findet Sonnabend vom Trauerhause aus, nachmittags 2½ Uhr, statt. Rede im Hause.“

Nachruf. Gestern Abend um 9 Uhr starb nach kurzen schweren Leiden im 59. Lebensjahre Herr Karl Gustav Ludwig Julius Gross, Rektor der höheren Bürgerschule hierselbst. Derselbe hat sich durch beinahe 24 Jahre um die Organisation und Leitung hiesiger Schulen, insbesondere der Knaben-Mittelschule, jetzigen höheren Bürgerschule, grosse Verdienste erworben. Durch hohe Gaben des Geistes sowie Biederkeit und Zuverlässigkeit des Charakters ausgezeichnet, hat er sich die allgemeine Liebe, Hochachtung und Verehrung seiner Mitarbeiter, Schüler, Mitbürger und Vorgesetzten erworben. In treuer Pflichterfüllung und Hingebung an seinen Beruf war er allen Lehrern und Schülern ein treffliches Vorbild. Unsere Stadt erleidet durch seinen Heimgang einen schweren Verlust, den wir schmerzlich bedauern. Möge sein Andenken immerdar ein Segen bleiben! Görlitz, den 23. Januar 1890.

Der Magistrat.“

Nachruf. Den Mitgliedern des Handwerker-Vereins hierselbst machen wir die traurige Anzeige, dass unser hochgeehrtes Ehren-Mitglied, der Rektor der höheren Bürgerschule, Herr Julius Gross, gestern Abend 9 Uhr nach schweren Leiden sanft aus diesem Leben geschieden ist. Der Entschlafene war 20 Jahre lang Vorsitzender unseres Vereins und hat mit seinem reichen Wissen in unermüdlicher Treue und Hingebung die Interessen des Vereins aufs Beste gewahrt und gefördert. In Charaktertüchtigkeit und echtem patriotischen Bürgersinn war er ein leuchtendes Vorbild für alle Vereinsgenossen. An seinem Sarge danken wir ihm für sein verdienstvolles Wirken und wünschen ihm den ewigen Frieden. Das Begräbnis findet Sonnabend, den 25. Januar, nachmittags 2½ Uhr, vom Trauerhause (Moltkestraße 47) aus statt und werden die Vereinsmitglieder zu zahlreicher Beteiligung aufgefordert. Görlitz, den 23. Januar 1890, Der Vorstand des Handwerker-Vereins.“]

Noch 1920 schrieb ein Oberkonsistorialrat Fischer/Berlin, der in seinen ersten Jahren auch die Görlitzer Schule besucht hatte: „Mein alter unvergess­licher Rektor Groß ...“. Noch beim Jubiläum der Höheren Bürgerschule zeigte sich, wieviel Liebe er bei allen gehabt hatte, die ihn gekannt, was er der Schule und den Schülern bedeutet hatte und was sie an ihm verloren2. Und wie hat Mutter sich damals mit daran gefreut, als sie das noch miterlebte, wie immer einer nach dem andern der alten Gäste zu ihr kam, um sie zu begrüßen. Nach ihrem Tode fand ich in ihren Papieren ihre tief empfundenen Gedichte, welche zeigten, wie sie an ihm gehangen. Nach Vaters Tode bekam Mutter von einem schwerreichen tropischen Pflanzer, der die Eltern auf der Insel Juist kennen gelernt hatte und der ihr ein „wahrhaft fürstliches“ Einkommen verhieß, einen Heiratsantrag, obwohl sie doch keine ganz junge Frau mehr (aber noch sehr hübsch) war. Sie hat ihn ohne Bedenken abgelehnt.

Wir waren nur noch zwei Geschwister, nachdem vor uns zwei kleine Siegfriede ge­storben waren [1865 und 1866] und unsere beiden jüngeren Geschwister: Paul und Susanna [Variante: „Susel“] (letztere besonders ein niedliches lustiges derbes Mädchen mit dunklen Augen), vier und acht Jahre alt, beide an einem Tage im Juli 1878 an Diphteritis gestorben waren. Meine Eltern haben es nie ganz verwunden und ich selbst kann diese Tage noch als alter Mann heute nicht vergessen [Variante: „und was auch mir immer, obwohl 66 Jahre seitdem vergangen sind, das Herz zusammenpreßt, wenn ich daran denke“]. Gleich nach dem Tode der kleinen Geschwister erkrankte ich selbst schwer an Scharlach, so daß ich lange zu Bett bleiben mußte und erst allmählich wieder auf die Beine kam. Mitten in dieser Krank­heit mußten die Eltern von der Hohen Straße umziehen nach dem Wilhelm­platze N° 8. Ich fest mit Betten umwickelt und so in eine Droschke verpackt. Später, etwa in Sekunda, fiel ich einmal, als ich grade zu der Nachmittagsschule ins Gymnasium gehen wollte, plötzlich besinnungslos um und mußte dann auf eine Zeit lang von der Schule wegbleiben.

Nach wohl 30 Jahren sah ich bei dem oben erwähnten Schuljubiläum noch meinen ersten Lehrer von der Mittelschule: Rektor Petzold wieder, mit dem ich sehr gut gestimmt hatte.

Mit uns beiden Brüdern zusammen waren Fritz und Hannchen Mirus nach dem Tode ihrer Eltern eine Zeit lang bei uns, Hannchen kürzere Zeit, Fritz fast die ganze Jugendzeit. Dann der liebe „Männe“ (Hermann Groß), der Sohn von Onkel Hermann, dem ältesten Bruder meines Vaters und noch Karl Trautmann, Sohn eines Rittergutsbesitzers aus der Bautzener Gegend, der später von seinem Vater nach Amerika abgeschoben wurde. Der wenigst erfolgreiche war wohl der in Berlin verstorbene Männe (mit Hinterlassung seiner Witwe und Tochter Ursula, von denen wir wenig wissen). –

Gute treue hilfsbereite Freunde von Eltern her waren und blieben auch nach Vaters und meiner Mutter Tod in Görlitz immer die zwei Brüder Kleefeld [Arzt und Apotheker], Stadtrat Rauthe, Stadtrat Lüders, Besitzer der „Kaffeemühle“ (Villa) im großen Görlitzer Parke, Buchhändler Remer [:erster Vokal unklar] und Bürgermeister Heyne, auch später Dr. von Rabenau3, Kustos der Naturforschenden Gesellschaft, und viele andere.

[Hier die Ernennungsurkunde der Naturforschenden Gesellschaft vom 16. Januar 1905:

Sehr geehrter Herr Pastor! Euer Hochehrwürden habe ich die Ehre mittheilen zu dürfen, daß die am 13. Januar d. J. abgehaltene Hauptversammlung der Naturfor­schenden Gesellschaft in Görlitz einstimmig beschlossen hat, Euer Hochehrwürden zu ihrem korrespondierenden Mitgliede zu ernennen (...).

Euer Hochehrwürden sehr ergebenster S. Taubner

Sekretär der naturforschenden Gesellschaft in Görlitz“]



Bruder Konrad Groß

[Entwurf 1941:] Mit meinem Bruder Konrad (jetzt wohl in dem russischen Wirrwar gestorben, nachdem er in jüngeren Jahren über Königsberg/Preußen nach Petersburg an der Botanischen Garten gegangen und dort die Tochter des Botanikers von Lentz geheiratet hatte, dann mit Frau, Kindern und Großmutter nach Chwalynsk an der Wolga versetzt war) vertrug ich mich sehr gut, besonders nachdem wir die naturwissenschaftliche Sammlung (Schmetterlinge etc.) für mich von der Briefmarkensammlung für ihn getrennt und geteilt hatten. Wo mag Konrads Briefmarken-Spezialsammlung (nur zuletzt russische mit vielen Seltenheiten ersten Ranges) bei seinem Tode hingekommen sein? Zuletzt war er mit Sony, seiner Frau, nach Mutters Tode bei uns in Sakro, wo sie tüchtig von Mutters Hinterlassenschaft gehamstert hat.

Als Sony mit der Babuschka und dem 3jährigen Sascha das erste Mal bei uns in Sakro waren, wo es zum Gram der Babuschka so oft aus dem Garten grüne Bohnen gab, war des Letzteren Eintritt bei uns etwas tragischer Art. Beim feierlichen Mittagessen pfefferte er seinen Löffel, weil ihm irgendetwas nicht passte, nach seiner Mutter, was uns etwas befremdlich war. Ich nahm ihn gleich beim Wickel und versohlte ihm im Nebenzimmer das Hinterteil und brachte ihn wieder herein, wo „die

Großen“ über so schnelle Justiz etwas tragische Gesichter machten. Er hat aber nicht lange übelgenommen. Wir gingen oft einträchtig4 zusammen spazieren, wobei er mir ununterbrochen erzählte, was ich natürlich (russisch!) nicht verstand und was ihn auch gar nicht störte! Wo mag er hingekommen sein? Beim Heere? –

[Variante 1944:] Mit meinem Bruder Konrad, fünf Jahre älter als ich, habe ich mich stets gut vertragen. Nur einmal gab es eine vorüber­gehen­de Störung, als auf sein Verlangen die bisher gemeinsam be­triebene Briefmarken- und Schmetterlings­sammlung geteilt wur­de, letztere an mich, erstere an ihn fiel. Diese große und wert­volle Sammlung, später in Rußland von ihm weggegeben, hat er später in eine russische Spezialsammlung umgetauscht, die er wohl bis an sein Lebensende (nach Petersburg in War­schau, in der russischen Revolutionszeit nach Chwalynsk bei Saratow an der Wolga versetzt) weiter geführt hat. In Chwalynsk leitete er eine naturwissenschaftliche Station botanisch-zoologischer Art, hatte auf der Wolga einen eigenen Dampfer für diese Zwecke. Auch wertvolle Ausgrabungen hat er dort ausgeführt, siehe Brief des bekannten Prof. Weinert und dessen Buch in meiner Bibliothek [jetzt bei Peter Schmidt]. Konrad hatte Gärtnerei in der bekannten Dam­manschen Gärtnerei in Görlitz gelernt, war danach in der Königlichen Gärtnerei Herrenhausen in Hannover gewesen und dann an den Botanischen Garten in Königsberg / Ostpreußen gekommen. Von da wurde er durch Staatsrat Regel nach Petersburg berufen, wo er sich mit Fräulein von Lentz, Tochter des Professors von Lentz in Petersburg, verheiratete, deren Mutter die Frau [Tochter?] des russischen Gesandten in Paris gewe­sen war. Sony von Lentz war eine sehr gewandte Clavier­spielerin, bei Rubinstein ausgebildet, Schülerin des Kaiser­lichen Conversatoriums in Petersburg. Von der russischen Kai­se­rin, der sie vorgespielt hatte, bekam sie einen Flügel ge­schenkt, den ihr aber die (deutsche!) Vorsteherin des Kaiser­lichen Instituts nicht ausgeliefert, sondern für sich behalten hat!!

Schulzeit

Von meinen Lehrern auf der Mittelschule waren mir die liebsten Petzold und besonders Weise, später auf dem Gymnasium Nietzsche5, trotz der Strenge, der mit uns von Untertertia bis Prima aufgestiegen ist und mit dem ich immer sehr gut stand, Neumann, der später als Direktor nach Roßleben ging, und Wetzold.

Mein bester Schulkamerad war Julius Schulz, in Zinthen/Ostpreußen [südlich von Königsberg] geboren als Sohn eines Apothekers, in Görlitz aufgewachsen. Er hat uns mit seiner Familie einmal in Sakro besucht. Er starb elend als Chemiker (in Berlin in der großen chemischen Fabrik von Meyer und Landshof) an einem Gehirntumor mit Hinterlassung einer Frau und einer Tochter, die bei Hamburg wohnten! Er ging ½ Jahr eher als ich zur Universität (Breslau).

In meiner Gymnasialzeit gingen wir Sonntags mit den Eltern ziemlich regelmäßig mit den zwei Brüdern Kleefeld durch die herrlichen Görlitzer Parkanlagen spazieren. Gemächlich endeten diese Gänge in der Aktienbrauerei, wo ich aber kein Bier trank, weil es mir nicht behagte. Die andern Herren spielten meist Schach. Oft ging ich auch in den Sommerferien, besonders in den letzten, wo die Eltern in Juist an der Nordsee waren, früh solo auf eigene Faust nach der Landeskrone, um seltene Raupen oder Schmetterlinge zu suchen (Apatura iris, ilia [„Großer“ und „Kleiner Schillerfalter“] u. a.). Auf dem Wege nach dem oft besuchten Girbigsdorf fing ich, als ich jünger war, auch in einem Kartoffelfelde zwei junge Wiesel, die ich lange zu Hause gehalten habe, wie anderes Getier, das ich erwischen konnte (Ringelnattern, Totenkopfraupen etc.) oder die mir von andern gebracht wurden. Diese Tierliebe habe ich wohl von meinem Vater und seinem Bruder, dem großen Schmetterlings­sammler, Züchter, Konservator Onkel Hermann Groß (Männes Vater) geerbt.

Nach Vaters viel zu frühem Tode hat sein letzter Bruder Onkel Theodor in Bernstadt [Kohlenkaufmann] mit seiner Frau, Tante Anna [geb. Trautwein], beinahe Elternstelle an mir vertreten [nach Auskunft meiner Mutter Käthe Schmidt wurden die Beziehungen der Familie Groß „zur besseren Bernstädter Gesellschaft“ nach dem Tod des Superintendenten Ludwig Groß (1873) durch Theodor Groß gewahrt, HS].

Frühe Reisen (bis 1900)

1872: mit Eltern: Oberstreit bei Striegau zu Onkel Mirus und Tante Marie.

1877: mit den Eltern und Geschwistern zu Onkel Emil Thilo und Tante Agnes nach Hermsdorf u/K [wohl am Riesengebirge, südlich Warmbrunn, in der Nähe von Erdmannsdorf] (7. 7. – 5. 8. 77).

1878: Schon mit 10 Jahren nach dem Scharlachfieber war ich einige Zeit in der Familie des Rittergutsbesitzers Schuster in Mittelgirbigsdorf, wohin meine Eltern Sonntags manchmal zu Fuß nachkamen, da sie sich mit Schusters sehr gut verstanden und wo auch Hermann Groß (Männe) später mitkam für kurze Zeit.

1879 [Variante: 1876]: In jungen Jahren, nämlich mit etwa 10 Jahren6, habe ich auch meine erste Reise [ohne Familie] unternommen, der später noch so manche gefolgt ist. Sie ging mit meinem Schulfreunde und Klassenkameraden Fritz Zeißig auf dessen väterliches Gut zu seinen Eltern: Niedergebelzig bei Bautzen auf etwa 14 Tage. Zuerst war mir unter den vielen Fremden sehr bange. Doch das gab sich.

1881: Mit Eltern und Fräulein Schlawe nach Saßnitz (10. 7. – 8. 8. 81). [Von dieser Reise hat sich eine Zeichnung erhalten: „Arkona auf Rügen. Zum Andenken an den Aufenthalt auf Rügen 1881 gezeichnet von Werner Groß. December 1883 zu Vaters Geburtstag“]

1882: Mit Eltern: Warnemünde (7. 7. – 5. 8. 82).

1884: Später einmal, wohl in den Pfingstferien, etwa mit 16 Jahren, nach Rosenthal im schönen Neißetal zwischen Görlitz und Zittau, wo mein Schulkamerad Georg Demnich (lange tot) bei seinen Eltern wohnte, die dort eine Gastwirtschaft gepachtet hatten.

1888 [die Angabe 1887 ist wohl mit Sicherheit falsch]: Nach Darkehmen [Ost­preußen] zu Onkel Hermann und Tante Anna. Manöver. Hauptmann von Folkesam. – Nächtliches Abenteuer zweimal mit dem Hauptmannsburschen, der zur Dienstmädchenkammer wollte und in meine geriet. Andern Morgen von Tante Anna entdeckt und von uns allen, Konrad, Männe, ich usw. gefaßt.

1889: Reise zu meinem Bruder nach Warschau, Sascha ungefähr ein Jahr alt [Konrad Groß war im damals russischen Warschau am Botanischen Garten beschäftigt].

18927 machte ich auf Bitten der Frau des berühmten Geografen Prof. Heinrich Kiepert [also auf Wunsch von Sieglinde Kiepert, geb. Jungk (1819 Dolgelin – 1900 Berlin), Patentochter von Friedrich Ludwig Jahn] als sein Reisebegleiter mit ihm eine Reise durchs Riesengebirge und Böhmen. Großvater Kiepert war der Schwiegervater des Bernstädter Zuckerfabrik-Direktors Handtmann, der mit Onkel und Tante Groß/Bernstadt [Theodor und Anna Groß] sehr gut bekannt war8 und dort später (1900) mein Schwiegervater wurde, der Großvater unserer Kinder.

1895: ½ Jahr in Woitsdorf bei Pastor Hoffmann mit Geithe und Müllerkarle (Superintendent Müller jagt uns aus dem Bette). Oft bei Frau und Herrn Amtmann Eckart zum Abendbrot. Lehrer Rauch schießt seinen eignen Moppel tot. Wir stellen den in kalter Winternacht auf seinen vier Beinen vor die Tür der Frau Lehrer!

1898: Als ich etwa Mitte der Zwanziger war [Mit 25 Jahren,1893, hatte er noch nicht das 1. theolog. Examen, also auch keine Befugnis für die Abhaltung von Gottesdiensten], habe ich einmal Onkel Richard Reimann während seiner Ferienreise vier Wochen lang vertreten. Dadurch habe ich bei der Gemeinde die Anwartschaft auf die Sakroer Stelle erworben, für die Graf Brühl (senior) mich vorschlug und bestätigte. Der Patron hatte vorgeschlagen: P. Hohlfeld, Zillich, Balzer, aber die Gemeinde schickte eine Petition, daß ich auch auf die Liste käme. Und so geschah es. Der arme Bruder Balzer/Mulknitz, der so zeitig sterben mußte, der mich das nie hat entgelten lassen, fiel bei der Wahl durch. Ich habe ihm auf Kriebels Wunsch in Gegenwart des Generalsuperinten­denten Vits die Grab- und Gedächtnisrede gehalten, zu der Vits mich noch besonders beglückwünschte!

Studienzeit

[Aus den Immatrikulationsurkunden ergibt sich der folgende Studienverlauf9:

28.5.1888 immatrikuliert in Breslau,

18.5.1889 in Tübingen,

18.10.1889 in Berlin unter dem theolog. Dekanat von A. von Harnack,

30.10.1890 in Breslau.

Breslauer Abgangsbescheinigung nach dem Sommersemester am 24.8.1891.

1895/96 wohl die Hauslehrerzeit bei Frau Carreño.

18.9.1895: Erste theolog. Prüfung vor dem Breslauer Konsistorium.

10.1.1898: Zweite theolog. Prüfung vor dem Breslauer Konsistorium.

4. 2. 1900 Ordination durch den Generalsuperintendenten Braun in der Berliner Matthäuskirche (hinter der Neuen Nationalgalerie von Mies van der Rohe)]

1887 [am 8. September] bestand ich das Abiturium mit Julius Schulz und anderen, die wohl alle längst tot sind. Da ich an Typhus erkrankte (wo mich der jüdische Dr. Schück treu kuriert hat !!) unmittelbar danach, konnte ich nicht mit auf die Universität ziehen, sondern erst ½ Jahr später.

Ich ging nach Breslau und trat in die Bur­schenschaft Arminia10, die alte Verbindung meines Vaters, ein. Mein Leibbursche wurde Bruno Liebich, dessen Vater mit dem meinigen zusammen aktiv war und ein treuer Freund geblieben ist, auch als er schon Professor der altindischen Sprachen (Sanskrit) in Heidelberg und Breslau war, wo ich ihn noch mehrfach besuchte.

1889 ging ich auf ein Semester in das wunderschöne Tü­bingen. Prachtvoll war die Hinreise von Görlitz nach Tübingen, wo das ganze Stuttgarter Tal Anfang Mai 1889 ein einziger blühender Obstgarten war, und dann durchs schöne Württemberger Land, wo in der Eisenbahn die ersten Schwabentypen in gelben Lederhosen mit Sil­berknöpfen und Nebelspalter-Dreispitzhüten auftauchten. Und die wunderschönen Ausflüge an den kollegfreien Donnerstagen der Universität bis Hohentwiel, Lichten­stein, Ho­hen Urach, Hohen Entringen, Würmlinger Kapelle usw., wo mir einmal ein Land­mäd­chen auf die Frage nach dem schöneren Wege antwortete: „Bei uns dahier ischts gelt überall schön!“ Auf einem dieser schönen Wald- und Bergwege fand ich zweimal denselben Schmetterling (Pleretes matracula „Augsburger Bär“11).

Ich wohnte bei Mutter Straub in der Haaggasse unten am Fuße des Burgberges, ge­gen­über der Kneipe „Schottei“ unter der Burg Hohentübingen (Lich­tenstein!) mit mei­nem Breslauer Bekannten Max Schieberlein, oft besucht von dem Sorauer Brauns, auch jung gestorben, während Schieberlein wohl noch lebt. Wie schön war es da, wenn man an warmen Sonnabenden oben auf dem Schänzle [Variante: Känzli] des Burgberges saß und aus allen Studenten-Kneipen die alten Lieder erschollen. Dort blieb ich, so schön es auch war, nur den Sommer über, besuchte auf der Heimreise Onkel W. Cochlovius und Familie in Worms.

Pfingsten [1889] besuchte ich Julius Schulz in Zürich (wo ich das erste Mal Studentinnen im Kolleg sah, die aber auf ihre männlichen Kolleginnen nicht sehr veredelnden Einfluss übten) und machte mit ihm eine Pfingstreise durch das Engadin bis Pontresina [östlich St. Moritz] und zurück über den noch in hohem Schnee liegenden Albulapaß. Die Pfingstreise [diente] auch zum Schmetterlingsfangen: Apollo am Tödiübergange! Im Züricher Laboratorium steckte ich mir ein großes Stück Cyankali in die Westentasche für Schmetterlinge !!!. [Die Stationen der gesamten „Schweizer Reise “, am Rand notiert:] Hohe Twiel. Rheinfall. Zürich. Ütli. Wallenstadt. – Tamina-Schlucht. – Julier-Hospiz. – Silva plana. – St. Moritz – Albula. Thusis. Via mala – Weesen. Bürglen. Andermatt. Göschener Brunnen. Luzern - Zürich. Vater hatte mir dazu einen Monatswechsel (75 M) bewilligt. In Zürich wieder angelangt, hatten wir solchen Hunger, da wir die opulenten Schweizer Hotels immer umgangen hatten, daß wir spornstreichs in Julius’ Stammlokal, die „Blaue Fahne“, eilten und uns da mal wieder richtig satt aßen. In der Taminaschlucht mit ihren heißen Quellen (Hutten!) bekamen wir beim Verlassen sogar noch Geld heraus, weil wir Studenten seien!

In Tübingen in der „Schottei“, unserm gemütlichen Haus­quartier, wieder angelangt, war es mein erstes, die von Julius Schulz zuletzt geborgten 5 oder 6 Mark an ihn zurück zu schicken. Da es hier aber kein Schweizergeld gab, legte ich ihm den Betrag in Briefmarken in den Brief, mit der Weisung, daß er es ja in Görlitz nach Semesterschluß ausgleichen könne! Antwort von ihm: „Was meintest Du denn mit dem Gelde? Es lag ja im Brief ein Coupon über den Betrag ganz richtig!“ – Ich hatte in meinem Leben sicher noch nie einen Coupon gesehen!! Woher?

In Schaffhausen am Rheinfall bezahlten wir je einen Frank für die Überfahrt. Wie Julius Schulz bald entdeckte, hatte der Fähr­mann mir einen falschen Frank gegeben, den ich ihm dann nach der Rückfahrt wieder zurückgab. Er nahm ihn auch ohne ein Wort, was wohl erkennen ließ, daß er das Stück schon oft mit gleichem Erfolg ausgeführt hatte.

Dann das 25jährige Regierungsjubiläum des Königs Karl im Schloß Bebenhausen, wo wir Geladenen in den herrlichen Kreuz­gängen des alten Klosters saßen und Wein und Bier tranken, während der König an allen Tischen herumging und sich ansalamandern ließ. Um 5 war Schluß und die meist etwas illuminierten Studenten wälzten sich in langen dichten Zügen die Waldstraße lang, während der König vom Balkon aus zusah und sich amüsierte. Am andern Tage ließ der Magistrat auf dieser Straße die verlorenen Kneifer, Brillen, Manschetten in Körben sammeln; wohl auch die verlorenen Studiosi selber.

Nach dem Tübinger schönen Semester blieb ich noch ein Jahr in Berlin und ein Jahr wieder in Breslau, wo ich in den Kreisen der alt- und neuphilologischen Vereine viele schöne Stunden verlebte. Danach war ich durch Vermittlung des Rektors Kleinschmidt ein Jahr bei Frau Teresa Carreño, die damals gerade in Görlitz ein Konzert gab und von Herrn Kleinschmidt, dem Vorsteher der Musikvereinigung, auf mich aufmerksam gemacht wurde, da ich früher schon viel und erfolgreich Stunden erteilt hatte. Im Hause der Frau Carreño, der Gattin ehemals des bekannten Komponisten d’Albert/Dresden, habe ich eine sehr schöne und interessante Zeit verlebt. Als sie mit der ganzen Familie nach Pertisau am Achensee [bei Innsbruck] reiste, [habe ich] dort mit Frau Carreño und ihrem musikalischen Hofstaat und anderen eine Villa (Heigl) am Achensee bezogen [und] einen herrlichen Sommer [„1/2 Jahr“] gehabt, bis ich zum ersten Examen heimkehren musste12.

[Teresa Carreño schrieb ihm das folgende Zeugnis:]

Berlin October 1896, Kurfürstenstraße 28

Herr Werner Gross war in meinem Hause als Lehrer für meine zwei ältesten Kinder ein Jahr und er verlässt mich auf eigenen Wunsch.

Von Herrn Gross kann ich nur mit dem grössten Lob sprechen als Lehrer und als Mann und wünsche ihm von Herzen alles Glück in seiner Lebens Bahn

Teresa Carreño

Danach gings wieder nach Breslau, um das erste und ein Jahr später das zweite theologische Examen zu machen [vgl. zu den Daten die Anmerkung 12]. Danach wollte Onkel Reimann sich pensionieren lassen und so kam ich gerade recht, um sein Nachfolger zu werden, was mir auch gelang. Ein halbes Jahr lebte ich in Sakro allein mit einer etwas mangelhaften Wirtschafterin, der später Mutter zu Hilfe kam. Inzwischen hatte ich mich mit Grete Handtmann, Tochter des Direktors der Zuckerfabrik/Bernstadt, Enkelin des Geografen Heinrich Kiepert, verlobt, nicht ohne Vermittlung der hilfreichen Tante Anna Groß und der Frau Pastor Franke/Görlitz.

1899: Ein Jahr vor der Verlobung [als] Vikar bei Pastor Röhricht [?] in Fürsten-Ellguth [bei Bernstadt/Schlesien].



Die Zeit in Sacro

[Frühe Sakro-Erinnerungen:] Mein Bruder und ich sind öfter bei Tante Julchen Reimann und dem Onkel [Richard Reimann] in Sakro gewesen, natürlich ohne Ahnung, welche Rolle dieses Dorf später für uns spielen würde. Bauer Franz Schulze/Sakro schenkte uns damals, vielleicht 1876, ein schönes großes Kaninchen, das wir triumphierend mit nach Görlitz brachten, wo es noch lange im Keller gelebt hat. Später lebte nach Großvaters Tode [Ludwig Groß †1873] auch Tante Lenchen bei Reimanns in Sakro, die immer mit dem alten, zerlumpten Martin, der alten Laaken ihrem Bruder, als ihrem Bräutigam geneckt wurde. Mit diesem hatte unsere Käthe, als sie noch klein war, Freundschaft geschlossen. Bei Reimanns verkehrten Amtmann Schulzes aus Neusakro, Amtmann Wirsich und andere. Frau Amtmann Wirsich passierte es einmal bei Reimanns, daß sie ihr Gebiß auf dem locus verlor, das sie natürlich nicht einbüßen wollte. Daher mußte es der „alte Buder“, der mit seiner zahlreichen Familie im Hof-Kutscherhäuschen (später Sakroer Jugendheim, feierlich mit Superintendent Kriebel u. a. von mir eingeweiht!) wohnte und als Pfarr-Faktotum unentbehrlich war, im locus ausgraben! Als er es dann endlich brachte, fragte er die Tante sehr verwundert: „Wo hat denn die Frau Amtmann das gehabt?“

Später haben dann, als wir die Reimannschen Nachfolger wurden, unsre Kinder mit den Seilerschen Kindern in der uralten Sakroer Pfarrpächterscheune oft zu ihrem Entzücken Strohrutsche gemacht, von den hoch aufgeschütteten Garbenbergen herunter, dort auch manchmal Eier gesucht und gefunden. Im Pfarrgarten hat Rolf im Laufgitter Laufen gelernt.

1900 in Sakro gewählt. Dort 20 Jahre lang die Machenschaften von Herrn Küster Benditz und Frau genossen. Endlich 1924 wurde es anders, als Kantor Jende ihn ablöste, mit dem wir uns sehr wohl fühlten, so daß auch mein 25jähriges Amtsjubiläum in Frieden und Ruhe vor sich ging.

1900 in Sakro angelangt und von Frau Gemeinde-Vorsteher Wirth und großer Frauen-Corona am Gasthaus Ziegler ich und Grete empfangen mit großen Sträußen. Nachmittags, als wir noch gar nicht eingeräumt, die vier Gemeinde-Vorsteher einzeln (Mudrak-Naundorf, Laake-Jähnsdorf, Görz-Bohrau, Wirth-Sakro. Alle längst tot). Von Frau Amtmann Schulz uns eine gebratene Ente geschickt. Gesangverein sang im Garten. Die Frauen der Gemeinde tranken in der Brauerei Caffee. Mit dem Gemeinde-Kirchen-Rate schon vorher, noch mit Tante Reimann großes Festessen, Kalbsbraten, nach welchem die voll­geges­senen Mannen stöhnend in der Weinlaube saßen!

Gretes einzige Schwester Gertrud Handtmann [2. 5. 1875 – 11. 7. 1901] war in dieser Zeit noch in Paris als Malerin, kam 1900 nach Deutschland zurück, als Ulrich geboren wurde, und wurde in München, wo sie ein selbständiges Atelier (Malschule) errichtet hatte, von der Elektrischen Straßenbahn überfahren. An den Folgen ist sie ½ Jahr später elend gestorben. Sie war ein für ihr Fach sehr begabtes Mädchen.

Wir aber richteten uns allmählich in Sakro ein. Dort wurde unser Sohn Ulrich 1901 geboren und 1904 unsere Tochter Käthe, die beide jetzt große, selbständige, verheiratete Leute sind. Uns hat der Hauptlehrer Benditz und seine Frau Paula, geb. Britze, das Leben ziemlich schwer gemacht, weil er immer und überall der Erste sein mußte. Seine Frau haben wir im ersten Jahr mit ins Seebad genommen [es ist wohl Göhren 1903 gemeint] . Es wurde trotzdem keine Freundschaft und ist es nie geworden. Erst unter seinem Nachfolger, Kantor Jende, wurde es ein sehr gutes, friedliches Verhältnis. Mit dem andern Lehrer, Herrn Konzack in Naundorf, ging es von Anfang an gut.

Schon 1901 Bekanntschaft (durch von Rabenau13 in Görlitz auf Pilularia [„Pillenfarn“] hingewiesen) mit Lehrer Decker, der noch 1944 lebt. Niemals [ist] zwischen uns eine Störung vorgekommen, mit ihm viele schöne botanische Ausflüge gemacht. Auch später mit Lehrer Müller ( Kalpaus Sümpfe, Guben – Linnaea!).

Missionsfeste mit Verlosungen.

1901: Sony und Großmutter: Besuch Juli1901.

1901: Ulrich geboren (Göhren! Scheußliche Hitze!).

1901: Bernstadt 7. – 16. 10. (Trg [Traugott?] Schneck).

[1902: Ab Januar 1902 gab Werner Groß für seine vier Gemeinden ein kirchliches Gemeinde-Monatsblatt heraus. Die ersten Seiten solcher Gemeindeblätter wurden durch eine zentrale Redaktion gefüllt, die letzten Seiten standen den beteiligten Gemeinden für Gemeindenachrichten zur Verfügung. Werner Groß gab sich große Mühe, hier Themen zu behandeln, für die er auf größeres Interesse hoffen durfte: Gemeindeleben, Geschichtliches, Kommentare zur politischen Entwicklung, Nachrichten aus dem Weltkrieg (besonders Mitteilungen von Kriegsteilnehmern der Gemeinden), Erklärung von Orts- und Flurnamen, Familienereignisse, gelegentlich auch Berichte aus den Familien seiner Kinder (z. B. Briefe aus Bolivien, wo die Tochter Käthe von 1930 bis 1933 lebte) oder über die Entwicklung in der Sowjetunion, für die er sich wegen der Familie seines Bruders sehr interessierte. Das Gemeindeblatt hat mehrfach seinen Titel variiert, teilweise unter dem Zwang der Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, die finanzielle Basis der Zeitschrift zu erweitern.

Zuerst: „Gemeinde-Monatsblatt der Parochie Sacro. Sacro, Jähnsdorf, Naundorf und Bohrau“. Ab Februar 1916 (wohl um das Fremdwort „Parochie“ zu vermeiden): „Gemeindeblatt des Kirchspiels Sakro. Sakro, Jähnsdorf, Naundorf und Bohrau“. Ab Januar/Februar 1921: „Gemeindeblatt der Kirchspiele Sakro und Pförten“. Ab April 1921: „Gemeindeblatt der Kirchspiele Sakro – Pförten – Kohlo“. Ab März 1924, also nach dem Ende der Inflation: „Gemeindeblatt des Kirchspiels Sakro (Sakro – Jähnsdorf – Naundorf – Bohrau)“. Der letzte mir bekannte Jahrgang stammt von 1930, HS].

1904: Während Schulprüfung Käthe geboren. Käthes Taufe: Die pünktliche Nachtigall Frankes.

1905: In Tharandt bei Dr. Haupt im Sanatorium ¼ Jahr kuriert.

1905: Besuch Sony und Konrad: Nach Großmutters Tod [wohl Elisabeth Groß, gestorben 2.9.1905 in Sacro].

1906 [wohl etwas später ?]: Kraniche nach Halle verkauft (ca. 10 Jahre alt ?).

1913/14: Ich im Lutherstift [Frankfurt] operiert.

[Undatiert, Erster Weltkrieg:] Gedächtnis-Schild in der Kirche genagelt.

[Undatiert] Seilermädels zu uns: Strohrutschen in der Scheune. Ulrich bewillkommt Onkel Seiler [den Superintendenten] mit Salutschüssen.

1918/19: Scheiblers weggezogen. Heinrici. Baronin von Manteuffel (tot).

1925: Käthe in Gnadenfrei. Ulrich in Woislowitz.



Generalkirchenvisitation 1910 (die erste nach 55 Jahren)14

Ein Glanzpunkt war die Generalkirchenvisitation unter Generalsuperintendent D. Kessler im Juli 1910. An ihr nahmen teil: D. Kessler/Berlin, Vizegeneralsuper­inten­dent Pfeifer/Lübben, Superintendent Kuhnert/Cottbus, Superintendent Seiler/ Forst, Superintendent Brandin/Berlin, Pfarrer Dürselen/Berlin, Pfarrer Gelfert/Dahlem, Ober­pfarrer Voß/Kattowitz, Regierungsrat Dr. Schneider/Frankfurt15, Landrat von Bredow­/ Sorau, Fabrikbesitzer von Dobschütz/Döbern, Oberbürgermeister Lehmann/ Forst, Direktor Machule/Forst, Fabrikbesitzer Heinrich/Forst, Stadtrat Vater/Forst, Lehrer Pren­tzel/Forst, Gemeindevorsteher Müller/Jehser. Sie besuchten alle Gemeinden des Kirchenkreises. In Sakro wurde die Woche durch feierliches Turmblasen eröffnet. Kriegerverein, Feuerwehren, Gewerbeverein, Frauenhülfe, standen am Hauptein­gang zur Kirche, an der zweiten Ehrenpforte Schuljugend und Lehrer und begrüßten die Ankommenden mit Gesang. Nach der gegenseitigen Begrüßung und Vorstellung des Gemeinde-Kirchenrates und der Lehrer gingen wir über den Kirchhof ins Pfarr­haus, während die 40 Mitglieder des Jung-Frauenvereins zu beiden Seiten, mit Rosen­kränzen im Haar Spalier bildeten, Anna Semisch überreichte dem General­superintendenten einen schönen Blumenstrauß und trug folgendes Gedicht vor:

Von der Heimatflur ein Blütenstrauß

grüßt euch hier am Gotteshaus.

Gottes Wort auf Gottes Land

streuet aus mit voller Hand,

daß es Blüten treibe, Früchte bringe

Gott, dem Herrn und Schöpfer aller Dinge,

daß wir Gottes Kinder werden,

Selge Menschen schon auf Erden!“

Unter Glockengeläut vom Dorfeingange an, geleitet von Jungfrauenverein und Frauenhülfe, ging danach der Zug vom Pfarrhause zur Kirche, wobei sechs kleine Mädchen, darunter Käthe, Blumen streuend vorangingen. Auch die Kirche selbst war mit Kränzen und Gewinden prächtig ausgeschmückt, wozu alles geholfen hatte. Beim Eintritt der Gäste erhob sich die ganze Gemeinde. Ich hielt die Festpredigt über den mir vorgeschriebenen Text Joh. 12, 35-36. Die Lieder „Einer ist König“, „O selig Haus“, „Großer Gott, wir loben dich“, die wir schon so oft und gerne gesungen hatten, brachten die Stimmung des Tages und der Gemeinde zum rechten Ausdruck. Die Ansprachen des Oberpfarrers Voß (unser alter Bekannter von Rügen her!) und des Generalsuperintendenten gingen im gleichen hohen Ton. Im Pfarrhause (Gemeinde­saal) sprach der Generalsuperintendent mit den Ältesten über den Stand des Gemein­­de­lebens. Schulrat Schneider prüfte inzwischen die Schule. Ebenso feierlich, wenn auch etwas einfacher, war der Empfang in der Filialgemeinde Naundorf. Abends fand Familienabend im Hermannschen Saale statt mit verschiede­nen Ansprachen bei gewaltiger Hitze und Sturm, der eine große Akazie des Pfarrgartens fast entwurzelte.

Nach diesem Festtage ging das Leben seinen gewöhnlichen Gang fort.



Die Kinder Ulrich und Käthe (und die Enkel Peter und Jochen)

Ulrich ist 1901 geboren; seine erste Wärterin war durch Vermittlung des Fabrik­besitzers Noack [?] in Forst zu uns gekommen. Er machte ihr aber nicht viel Freude, da er ununterbrochen schrie und brüllte, wenn er nicht schlief. Wie viele Nächte haben wir ihn, meine Frau und ich, immer abwechselnd herumgetragen, um ihn einzu­schläfern, meist ohne Erfolg!

Käthe war viel ruhiger und friedlicher. Als sie geboren war, kam die dicke Ida Scholz mir nach, der ich gerade Schulprüfung beim lieben Beneditz hatte, klopfte an und sagte, als ich öffnete, in die Klasse hinein: „Ein dickes Mädel!“ und verschwand. Ich aber mußte erst die Prüfung zu Ende führen und konnte mir erst dann „das dicke Mädel“ ansehn. Ulrich betrachtete es erstaunt und nachdenklich.

Ulrich war schon in seiner frühen Jugend sehr beredsam. Als Missionssuperintendent Meransky bei uns war, ging er mit diesem im Garten spazieren und nachher, als ich herunterkam, sagte dieser: „Ich bin schon von allem durch Ihren Sohn unterrichtet“. Als Ulrich später in Forst zur Schule ging, wurde er manchmal auf dem Nachhause­wege von Marktleuten, z. B. der Mattken, mitgenommen. Die erzählten mir dann, was er ihnen alles erzählt hatte, z. B. (aus den geliebten „Braunen Büchern“) von der „amboinischen Segeleidechse“ [wohl von der Molukkeninsel Amboina] und von der „geperlten Leiereidechse“ etc., worüber die Zuhörer Maul und Nase aufsperrten oder es vielleicht für Schwindel halten mochten.

Die Kinder fuhren im Winter mit Rochlitzens Georg (Bäckersohn) mit im Bäcker­wagen von Sakro nach Forst, nachdem sie nicht mehr die Dorfschule besuchten. Gewöhnlich waren sie mit allerlei Besorgungspaketen ziemlich bepackt.

Einmal fanden wir ein ganz junges Reh, das wir mit nach Hause nahmen und das dann oft in einer Sofa-Ecke seine Flasche trank, während Ulrich in der andern Ecke trank.

Dann unsre, in der ganzen Gegend bekannten „Maxen“, zwei zahme Kraniche, die wir viele Jahre hatten und die uns viel Spaß machten. Der eine, wenn Käthe sich ein Bilderbuch besah, setzte sich ganz ernsthaft neben sie, indem er seine langen Beine zusammenklappte, und sah mit in das Buch!

Als lange danach unsre lieben Enkel oft wochenlang bei uns waren, Peter [Schmidt] und Gogo [Jochen Schmidt], machte ich auch mit ihnen Waldpartien und einmal brach Peter in die Worte aus, als er wohl höchstens 4-5 Jahre alt war: „Du bist doch ein guter Opa; Du erzählst uns immer etwas, was wir lernen können!“ – Ich hatte ihnen grade den Unterschied zwischen Pflaumen- und Weidenbäumen gezeigt.



Reisen in der Sacroer Zeit

[Einige Bleistiftdaten bleiben unsicher, weil sehr schwer zu entziffern und teilweise auch mit unterschiedlichen Jahresangaben notiert. Bei unkommentierten Ortsanga­ben sind oft nur Tagesfahrten gemeint]

1902: Görlitz.

1903: Wir alle in Göhren. Baron von Feldheim/Rügen und Ulrich, Möveneier.

1906: Mit Grete und Kindern Riesengebirge. Grete in Landeck [Riesengebirge, nördlich von Habelschwerdt]. Bernstadt; Neuzelle; Dresden; Berlin.

1907: Bernstadt. Mit Pastor Zibelius in Südtirol [über Prag]. Schlern. Seißer Alm! bei Oberrauchs. Dort Dr. Botzong [Geologe] und Toepffers [im Juli] kennengelernt. Lange Freundschaft. Dr. Botzong brachte ich aus dem Bachgeröll ein schönes großes Ammonshorn, das er in dem vulkanischen [wohl Irrtum, die Dolomiten sind aus Meereskalk] Gelände (Korallenriffe) des Schlern als „äußerste Seltenheit“ bezeichnete. Mit Toepffers sehr viel botanisiert, er besonders Weiden, sein Spezialfach. Erzählung von Dr. Enan­der aus Schweden, der Toepffer in München mit mächtigem eisenbeschlagenen Felleisen (Inhalt: getrocknete Weiden­herbarien) besuchte, von da nach Rom, Madrid, Paris etc. und wieder nach München reiste, um eine seltne Weide zu sehen; dann schnell nach Stockholm zu einer Reichsrats­sitzung fuhr. Bald danach in Alaska gestorben. Seine Pfarre während sol­cher Weltreisen vom Vikar geführt. – [Nach Bad] Ratzes.

[Zu Toepffers: Im Besitz von Werner Groß befanden sich drei recht gute, gerahmte und von Johanna Toepffer signierte Bilder, zwei Lithographien mit Münchner Motiven [Altes Rathaus und Sendlinger Tor] und ein Ölgemälde [„Sonniger Herbsttag bei Dachau“ mit der rückseitigen Beschriftung: „Herzlichen Glückwunsch zum Neuen Jahre senden unserm verehrten Pastor im Verein mit der ganzen werten Familie Adolph, Martha und Johanna Toepffer, München im December 1911“].

1907 (?) [Variante: 1906]: Reise mit Superintendent Seiler nach Füssen ins Allgäu, Wohnung beim Ortsvorsteher. Abends in der Bier-Notzeit Stammtisch mit Bergführer, Poplerbauer, Tischler u.a., wo wir sangen usw. Schluß am letzten Abend, wo sie wissen wollten, was wir seien und rieten: „Professor“, „Apotheker“ usw. und alles stumm wurde, als ich sagte: „Superintendent, so eine Art Bischof“ und einer nach langem Schweigen krachend auf den Tisch hieb und ausbrach: „Wenn doch unsere a so wören!“ Professor V. Tubeuf am Alatsee. Mittags bei Gastwirt Zeno Geigl im Goldenen Löwen, sehr gemütlich. Besuch des Klosters vom heiligen Magnus in Füssen. Erzählung der Castellanin von König Ludwigs Ende. Schwansee und Burg.

1908 [Variante: 1906]: Grete in Amrum mit Käthe. Bernstadt mit Ulrich.

1909: Mit Grete, Ulrich und Käthe 9.-21. 6. in Brückenberg bei Strietzel im Riesen­gebirge. Krummhübel. Käthe getragen.

1909: Apotheker Dietrich in Rietschen besucht (tot).

1910: Südtirol (Marshall): Moos – Ehrenbürger, 15. 8.-15. 9.; mit Großeltern in Runkelstein.

Ich allein [über Bernstadt] bei Herrn von Oheimb in Woislowitz bei Nimptsch [südöstlich von Schweidnitz/Schlesien; dicht dabei liegt Gnadenfrei]. Jeschken 10. 10. [Lausitzer Gebirge].

[Undatiert] Mit Heinrici über Dresden, Pirna nach Graupa. Käthe ein Jahr mit Liselotte [Hohlfeld] und Dannenberg in Sakro.

1911: 14. 7.–24. 8. mit Seiler in Südtirol, Berliner Hütte.

Mit Arnold. Gr. Mösele. Frau Blasius. Stolpmünde. Mahlknecht. Rietschen 21. 5.

1912: Thüringen (Georgenthal) 21. 7. –10. 8. Klempnows; 10. 6. Ebersbach/Sachsen [südlich Löbau]

1913: Sächsische Schweiz (Postelwitz) mit Eismann.

12.-24. 7. Südtirol [mit] Seiler, Gardasee Sirmione, Toblach.

1914: Heilbrunn in Bayern [Bayr. Wald] , Zwiesel 13. 7.- 1. 8.; Kriegsausbruch. 2. 6. Neuzelle.

1915: Oybin. Mit S[eiler] Löbauer Berg.

1916: Baiern 7.-21- 9.: Füssen, Faulenbach mit Seiler, Eichstädt, Kaufbeuren.

1917: Görlitz (Stieler) 10. 5. –18. 6.; – Brückenberg (Seiler, bei Knobloch [Variante: 1918]).

1918: Bei Klempnows in Thüringen, viel Versteinerungen. Staffelstein.

1925 [Variante 1935]: Füssen II mit Grete.

1926: Sextental (Südtirol), Villnös mit Käthe.

[127: Mit Tochter Käthe in Südtirol, erwähnt im Brief vom 8.9.1930, s. u.]

1930: Südtirol mit Dr. Moral16, Bad Dreikirchen, Wasserscharte.

[Werner Groß schrieb über diese Südtirolreise am 8. 9. 1930 aus Sacro einen langen Brief an Käthe Schmidt in La Paz, hier knapp zusammengefasst: 24. 7. – 9. 8. mit Dr. Moral in Dreikirchen überm Eisacktal. Mehrfach Erinne­rungen an die Südtirolreise mit Tochter Käthe im Jahr 1927. Von Dreikirchen wanderte W. G. z. B. auf die andere Eisackseite zur Trostburg bei Waidbruck (Begegnung mit dem fünfjährigen Grafen von Wolkenstein, der ihn zum Tee beim Papa einlud: „Die Burg ist meine“) und zum Kloster Säben. Am 10. August verließen Werner Groß und Dr. Moral Dreikirchen und liefen über Waid­bruck, Klausen, Villnös, dann in Sichtweite des Peitlerkofels und der Geislerspitzen zur Schlüterhütte, wo sie abends ankamen. Am nächsten Tag zum Peitlerkofel, schwere, fast lebensgefährliche Wanderung unter brennender Sonne zwischen Peitlerkofel und hoch oben an den Geislerspitzen zur Regensburger Hütte. Am nächsten Tag nach St. Christina im Grödnertal, von dort auf die Seißer Alm zur Prossliner Schwaige, dann nach Bad Ratzes. Am nächsten Tag nach Waidbruck, mit der Bahn nach Bozen, zu Fuß zum Runkel­stein, weiter ins Sarntal. Am nächsten Tag Werner Groß allein (ohne Dr. Moral) nach Riva am Gardasee, übernachtete bei Frau Ruhner, bei der er schon vor Jahren gewohnt hatte. Zu Fuß nach Arco, Nago, Torbole. Nach vier Tagen zurück nach Sacro]

1931: Millstädter See (Seeboden) mit Ulrich und Käthe [Groß].

1935: Brandbaude mit Grete.



Als Ruheständler in Frankfurt an der Oder

[Am 15. August 1936 hielt Werner Groß in Pförten noch einmal eine (ziemlich zeitkritische) Missionspredigt17. Im gleichen Jahr wurde er in Sacro pensioniert. Werner und Margarete zogen nach Frankfurt an der Oder in die Nähe des Musikheims, der damaligen Pädagogischen Hochschule und des Gemeindehauses der Kreuzkirchein in das Siedlungshäuschen Hellweg 52a, das Gerhard Schmidt für sie gekauft und vergrößert hatte: Anbau einer nicht unterkellerten Erweiterung mit dem großen Klavierzimmer, dem kleinen Zimmer von Opa Groß und der herrlichen großen Veranda, in der wir Kinder ab 1945 einen großen Teil unserer Zeit verbrach­ten (wenn die Sonne schien, warm von Februar bis Oktober).
Der im Hellweg von Werner Groß gepflanzte Ginkgo steht noch heute, 2008, in­zwischen registriert und unter Schutz. Außerdem gab es zwei Birnbäume „Gute Luise“, einen Birnbaum „Köstliche von Charneux“, drei Schattenmorellen, eine nor­male blaue Zwetschge, eine süße gelbe Pflaume (Mirabelle), eine faustgroße blaue Pflaume (für Schildkröten und Enkel), einen großen Quittenstrauch für das jährliche Quittengelee der Oma bzw. unserer Mutter („Omamapappap“), zwei gut tragende Aprikosen­bäume, einen großen gelben Apfel (wohl Winterkalville), einen nie tragen­den großen Apfelspalier­baum, eine Goldparmäne (für Weihnachten eingekellert), ein Beet mit Monats­erd­beeren und einen wunderbaren Nussbaum. Vor Wintereinbruch mussten, solange sie lebten, mehrere kleine Feigenbäume ins Haus gebracht wer­den. Es gab auch bis zum Kriegsende ein kleines Gewächshaus für die Schildkröten, aber dauerhaft Ro­sen­sträucher, echten und falschen Jasmin (und andere blühende Sträucher), ein langes Beet mit Pfingstrosen, massenhaft Tulpen, Leberblümchen, Trauben­hya­zinthen, Zillas, Salomonssiegel, (an der Hauswand) gelben Lerchen­sporn, Funkien und Glyzinien, das aus Bauschutt und Feldsteinen errichtete, begeh­bare „Gebirge“ mit vielen von Reisen mitgebrachten Alpenpflanzen, darunter Enzi­ane, Frauenschuh, Farne, Hauswurz, Steinbrechsorten; auch zwei kleine Seidel­baststräucher, mit deren Giftigkeit wir Kinder sorgfältig vertraut gemacht wurden. W. G. stand in Samen­tauschbeziehungen mit großen botanischen Gärten. Er besaß einen äußerlich schönen alten (immer verquollenen) Mahagoni-Samenschrank im Gang zum Keller und erhielt noch nach 1945 Samen­tauschangebote von einem schwedischen botanischen Garten. Im Krieg half W. G. einige Zeit, die Frankfurter Marienkirchbibliothek im Stumpf des Südturms der Marienkirche zu verwalten. Für seinen Garten holte er damals Taubenkot von den Türmen der Marienkirche und bereitete ihn für den Garten­gebrauch durch Einweichen in einem ausgedienten Ölfass auf. In einem zweiten alten Ölfass hatte er zum selben Zweck gelöschten Kalk]

1936 Zobelbaude mit Grete und Hartmut.

1937: Schmiedeberg mit Grete.

1938 Mit Grete in Dalmatien bei Konsul Anič. Erdbeben. Ulrich kam nach. Viel Seemöven-Eier auf Insel gefunden. Prachtvoll das blaue Meer. Vorher 8 Tage bei Siegfried Thiele und „Robin­son“-Thiele in Mlini-Platt [?]. Erzählung von den Engländern, die Robinsons Feigen abfraßen und die er mit Schießen „in die Beene“ bedrohte. Nach acht Tagen zu Anič umgezogen, dort feiner und gangbarer.

1938 Taufe Dieter in Habelschwerdt. Danach Grete in Bad Reinerz [Niederschlesien, bei Habelschwerdt] Silberquelle. 14 Tage nachher Gretes erste Operation, 1940 zweite Operation.

1939 in Kärnten bei Klauss im Ederhof. Grete und ich am Plöckenpass, zurück über Regensburg (Bischofshof), ich mit Moral in Südtirol.

1940: Zobten mit Ulrich.

[Etwa 1942 mit dem Enkel Hartmut nach Breslau (Jahrhunderthalle) und ins Riesengebirge]

[1945: Ende Februar oder Anfang März wurden Werner und Margarete Groß aus der „Festung“ Frankfurt nach Nauen, westlich von Berlin, evakuiert. Dort kampierten sie zuerst mit 30 anderen Evakuierten acht Tage auf Stroh in einer Schule, danach wur­den sie privat und freundlich von Frau Grigull, Hamburger Straße 26, aufge­nom­men. Sie kamen wohl schon im Mai nach Frankfurt in das inzwischen geplün­derte und völ­lig verdreckte Haus Hellweg 52a zurück und litten schweren Hunger. Ab Sommer 1945 wohnte dort auch Käthe Schmidt mit ihren fünf Kindern: Peter, Jochen, Hart­mut, Sabine und Eberhard.

Margarete Groß starb in Frankfurt am 21. 7. 1945, Werner Groß am 18.1.1947. Ihre Gräber auf einem 1945 provisorisch angelegten Teil des Hauptfriedhofs sind nicht mehr erhalten.]



[Weitere Notizen ohne genaue Zuordnung:] Onkel Emil. Klein­schmidt. Minkus. Dr. Rüdiger. Professor Dinter besucht. Professor Karl Krause in Breslau. Wichard von Möllendorff bei Mutter. Knoblochs in Berlin. Mit Seiler in der Brotbaude. Bachmann und Waldmann/Grönland. Superintendent Specht. Steinbock. Lomner. Frau Ruge. Geisler. Professor Kinzel seit 1913 (?).

[Ebenfalls ohne Datierung, für die Zeit von 1936 bis in den Krieg hinein:] Stammtisch [und vor allem Wandergruppe]: Ludwig, Splatt [?], Katte, Hipper, Böttcher. Wande­rungen in der Umgebung [z. B. nach Zweilinden und zurück [insgesamt 34km].



Anhang: Ergänzungen aus anderen Zusammenhängen

1. Julius Groß

Für Werner während seiner Universitätszeit

[Von Julius Groß bis 17 Tage vor seinem Tod geführte Liste über die an Werner gegebenen Geldmittel, alle Beträge in Mark]



26.4.88 Nach Breslau bar mitgegeben (voraussichtlich bis Pfingsten)100,00 M

Für verschiedene Esswaren, Kochgeräte usw. 13, 75

7.5. bar nach Breslaulaut Postschein (Zuschuss zu Kollegien) 25. 05

7.5. bar mitgegeben 80, 00

für verschiedene Esswaren 8, 00

1.7. bar nach Postschein 75, 00

durch Elisabeth mitgegeben Esswaren 5, 00

25.7. bar nach Breslau laut Postschein (für August 88) 22, 00

26.10. bar nach Breslau bei seiner Abreise zum II. Semester mit 150,00

während der großen Ferien Zuschuss zur Reise nach Ostpreußen 44, 00 An Lebensmitteln 14, 00

13.11. bar nach Breslau, Nachtrag zu November 88 25, 00

29.11 bar nach Breslau für December 1888 laut Postschein 75, 00

6.12. bar nach Breslau für Stiefelbesohlen 3, 00

17.1.89 bar mitgegeben für halben Januar 89 63, 00

Neue Kleider v. Totschek (1 Sommerüberzieher u. 1 Anzug 1888) 96, 00

30.1. bar nach Breslau für Februar 1889 laut Postschein 80, 00

24.2. bar nach Breslau für März 1889 u. Exmatrikel, l. Postschein 60, 00

Im März u. April 1889 f. Eisenbahnfracht u. verschied. Ausgaben 10, 00

30.4.89 bei seiner Abreise nach Tübingen zum III. Semester bar 158, 00

21.5.89 für Ende Mai und Juni 1889 bar laut Postschein 100, 00

22.6.89 für Ende Juni und Juli 1889 laut Postschein 100, 00

2.7. Nachtrag für Juli 1889 laut Postschein 20, 00

2.7. An Eduard Schultze für 6 Hemden 20, 10

24.7. für halben August, Reise, Exmatrikel, laut Postschein 80. 00

6.10. bei seiner Abreise nach Berlin zum IV. Semester bar 150, 00

Neue Kleider von Totschek (1 Winterüberzieher 54.M.,

1 Winterhose 19 M. 1 Sommeranzug 54 M.) 127, 00

2.11. Für November 1889 bar laut Postschein 100, 00

29.11. Für December 1889 bar laut Postschein 75, 00

24.12. 1 Schlafrock 16, 00

bar zum Verkneipen in den Ferien 6, 00

5.1.1890 bei seiner Abreise nach Berlin bar (Januar) 109, 00

[Summe vom 26. 4. 1888 (1. Semester) bis 5.1.1890 (im 4. Semester):2009,80 Mark]



  • Lied zum ersten Jahrestag des Todes von Julius Groß

(ein spätes Beispiel schlesischer Gedenkpoesie)

Aus: Neuer Görlitzer Anzeiger, 23. Januar 1891, Zweite Beilage zu N° 19, Bericht „Am heutigen Todestage des unvergeßlichen Rektors der höheren Bürgerschule Julius Groß, Görlitz, den 22. Januar 1891“

[Vor dem Abdruck der Ansprache des Stadtrats Rauthe, der über den Stand der „Rektor Gross-Stiftung“, die Herstellung einer Gedenktafel am Grab und eines Ölporträts des Schulgründers Julius Groß durch den Maler Schurig für die Schulaula berichtete, und der Mitteilung über die Porträt-Enthüllung in der Aula samt Ansprache des Rektors Dr. Baron, des Nachfolgers von Julius Groß, trug „der Sängerchor der Schule“ in der Aula „ein von dem Abiturienten Zestermann verfasstes und von Herrn Lehrer Adam komponirtes Lied“ vor, dessen Text hier wiedergegeben sei:]



Unsers Lehrers zu gedenken, der von uns gegangen ist:

Ihm zu danken, ihn zu ehren, den man ewig nicht vergißt:

Dazu töne du mein Lied aus dem innersten Gemüth.



Der auf Erden treu gewirket, der zum Besten stets bereit:

Dem sei heut’ an dieser Stelle unser Lied voll Dank geweiht:

Dazu töne du mein Lied aus dem innersten Gemüth.



Hier, in diesen ernsten Räumen, wo er oft mit uns geweilt,

Wo er oft zu uns gesprochen, eh’ der Tod ihn hat ereilt:

Hier ertöne du mein Lied aus dem innersten Gemüth.



Den wir heute nun beweinen, dank- und schmerzerfüllt zugleich,

Unserm Lehrer, ihm, dem treuen, der in einem schönen Reich:

Ihm zum Ruhm tön’ du mein Lied aus dem innersten Gemüth.



Er blickt jetzt auf uns hernieder, der so lange uns gelehrt,

Und wie heut’, so seh er immer, wie man dankerfüllt ihn ehrt,

Und auf ewig tön’ mein Lied aus dem innersten Gemüth.



2. Brief Paul Handtmanns an Werner Groß vor der Verlobung

Bernstadt in Schlesien, 9. 5. [18]99

Lieber Herr Werner,

Ihren Brief begrüße ich als einen Act der Ehrlichkeit, welchen ich erwartet habe, und für welchen ich Ihnen meinen Dank ausspreche.

Was Sie von meinem ungünstigen Urtheil über Sie wissen wollen, verstehe ich nicht. Niemals habe ich einen Grund oder ein Recht gehabt, an Ihrem Character oder guten Herzen zu zweifeln und kann Ähnliches nie ausgesprochen haben. Vielmehr habe ich die Zuversicht, daß auch wir beide Männer lernen werden, uns zu verstehen, und werde ich Sie hochschätzen und lieben, wie Sie mein Kind hochhalten und lieben werden. Meine Frau glaubt mit mir an Ihre Versicherung, daß Sie unsere Grete immer lieben werden, und geben wir gern unsere Zustimmung zu Ihrer Verlobung mit unserer Tochter.

Der Umstand, daß Sie auf eine Anstellung noch warten müssen, ist uns kein Hinderniß, sondern laden wir Sie zu baldigem Besuche ein. Unter einer heimlichen Verlobung, welche ich für unstatthaft halte, verstehe ich eine Verlobung ohne Zustimmung der Eltern, und bitte ich Sie, zunächst auch die Zustimmung Ihrer verehrten Frau Mutter einholen zu wollen. Nach dieser Zustimmung wird Ihrer Correspondenz und persönlichen Begegnung mit unserer Grete in unserm Hause nichts im Wege stehen.

Mit freundlichem Gruße auch von meiner Frau

Ihr ergebener

P.Handtmann



3. Postkarte von Liane Handtmann, geb. Kiepert an Paul Handtmann aus Sacro unmittelbar nach dem Einzug ihrer Tochter

Adresse: Herrn Director Handtmann, Bernstadt in Schlesien

Keine Straßenangabe in der Adresse, keine eigene Datierung, keine Absender­angabe

(Poststempel: 2. 5. 1900)

Glücklich hier angekommen, und gleich herausgefahren, da die Möbel schon draußen waren. Sie waren schon Sonntag Abend in Forst. Jetzt steht Alles an Ort und Stelle, und morgen wird der Tischler anfangen. Die Stuben sehen jetzt wirklich sehr freundlich aus, und ist Grete’s Baudoir geradezu großstädtisch. Wenn das das Muckimuttel selber sagt !!! - !!! - !!! Leider hat der Tischler hier nicht Wort gehalten, der Tapezier wird Donnerstag kommen. Ich fange morgen mit Porcellan an, da das Büffet zuerst vom Tischler in Ordnung gebracht wird. Der Flügel ist auch da, er hat eine sehr hübsche Form. Werner gefällt alles ausgezeichnet. Sein Sopha [über 2m lang, mit großem Bettkasten unter der Sitzfläche, so noch im Hellweg in Gebrauch] ist grade recht für ihn.

Mucki.

Einen schönen Gruß an Euch beide Waisen!

Der sprachlose Schwiegersohn

4. Ein Beispiel der Gebrauchslyrik von Werner Groß

[Werner Groß hat, wie es gerade in Schlesien weithin üblich war, bei vielen Anlässen Freunde und Verwandte mit Gelegenheitspoesie bedacht. Der Amts- oder Land­gerichts­rat Dr. Moral war einer seiner Wanderpartner in den Alpen. Ihm hat er zu Weihnachten 1930, nach der gefährlichen Wanderung um die Geisler­spitzen im selben Jahr, ein Buch, eine Widmung und ein Gedicht zugesandt]

  • [Das Buch:] Staatsanwalt Bartels, Schöne Sträucher und Blüten

  • [Die Widmung:] Dem treuen Wandergefährten und erfahrnen Reisementor von Dreikirchen, Rittnerhorn, forcella d’acqua, Seißer Alm und vielen andern unver­ngeßlichen Höhenwegen und Höhentagen zur Herzstärkung im Alltage!

  • [Das Gedicht:]



Der Mensch bleibt ewig doch das größte Rätsel hier!

Wenn Du es lösen kannst, so sage bitte mir:

Wie kann ein strenger Staatsanwalt die Pflänzlein lieben

Und sich in diesen sanften, zarten Künsten üben?



Doch halt! Ich denke jüngstvergangner goldner Tage

Voll Wanderlust und Sonnenglanz und – Rucksackplage!

Da blüht ein Lichtstrahl hell in meine Dunkelheit:

Übt nicht ein Amtsgerichtsrat gleichen „Treibverzeit“?



Der mit dem Staatsanwalt das Schwert Justitias schleift;

Freut sich am kleinsten Blümlein, jauchzt, wenns Beerlein reift! –

So paart sich Strenge immer noch mit Zarten,

Daß es uns helfe, einer edlern Zukunft warten!



Drum wenn der Bösen Ränke gar zu sehr Dich hetzen,

Laß Herz und Aug sich still an diesen Bildern letzen.

Und sursum cor! Denn jede Blüte, jedes Blatt:

Ein Gruß von dem, der aller Schönheit Fülle hat!



[sursum cor: „hoch das Herz!“]

[Kommentar von W. G. auf der Kopie seines Gedichts: „Das Wort „Treibverzeit“ dürfte neu sein, aber es reimt sich, und das ist die Hauptsache beim Dichten!]



5. Aus Briefen von Werner und Margarete Groß im Jahr 1945

  • Werner Groß am 19. 2. 1945 [Textauszug]

Gestern Abend, als ich endlich Licht gemacht hatte und Oma in der Küche zu tun hatte, habe ich lange allein gesessen und mir immer wieder die hübschen Zeichnungen angesehen, die mir der gute Jochen zu Weihnachten angefertigt hatte: Der Weihnachtsbaum mit dem Paddelboot und der Uhr und den Weihnachtsbaumzweig mit den bunten Lichtern für Oma, sowie die Schrift mit dem Abziehbildchen vom Eberhard! Wie hat mich das doch alles gefreut! Wie oft werde ich mir das noch in einsamen Stunden ansehen und dabei immer an euch denken! Wenn ich und die Oma, die auch so oft an euch denkt, Euch doch noch einmal alle wiedersehen könnte! Und sagt doch der Mamma, daß sie uns auch einmal schreiben soll, wie es euch dort [im Evakuierungsort Tharandt bei Dres­den] geht. [...] In der Hindenburgstraße haben die Soldaten große Barrikaden gebaut an allen Ecken und umgestürzte Straßenbahnwagen davor gelegt gegen die Bolschwisten, wenn sie endlich kommen sollten. Die Fabrik [Koehlmanns] ist auch schon von mancher Kugel getroffen worden, sogar unsre Fenster hier in der Giebelstube haben mehrere Löcher in den Scheiben. Die Straßen hier im Hellweg sind ganz leer geworden [...]. Auch von Onkel Ulrich und der Tante Käthe und ihren Kindern haben wir gar nichts mehr gehört, ob er und sie in Breslau sind. Bloß Tante Käthe hat einmal geschrieben aus Habelschwerdt; es ist etwa eine Woche her. [...] Den ganzen Tag geht mit geringen Pausen das Gedonner der großen Feldkanonen von den Bolschewisten, die am rechten Oderufer sitzen, zu uns her und zurück, daß oft die Fenster zittern und man sich wundern muß, daß sie noch halten. Besonders nachts hört es sich immer an, als ob sie ganz nahe an unserm Hause stünden. [...]

In herzlicher Liebe zu Euch allen

Euer Opa

Mehrere Tage hatten wir weder Licht noch Wasser! Das war bisher das Schlimmste!!



  • Margarete Groß am 19. 2. 1945

Mein liebes Käthel!

Zwar schrieb ich Dir jetzt jeden Tag, aber zu Opas Brief muß ich doch eine Ergänzung schreiben, er verwechselt jetzt viel, besonders in Geldsachen, die er durchaus allein leiten möchte. [...]

Wenn Du noch länger dort bleibst und doch wohl keine Schule ist, so laß doch Peter und Jochen irgend eine Hilfsarbeit übernehmen, daß sie sich daran gewöhnen. Vielleicht bei Handwerkern oder Bauern. Die Habelschwerdter scheinen darin schon recht weit zu sein und das ist doch sicher gut für so große Jungen, daß sie die Pflicht fühlen, für ihren Lebensunterhalt mitzuwirken und sich auszubilden und viel sicherer, als auf Pension zu warten, wo die Auszahlung immer schwieriger wird. Vorläufig nehme ich ja an, daß Du mit Geld versehen bist, aber wie lange wird es seinen Wert behalten? Es ist ja ein Segen, daß Du selbst zu arbeiten verstehst, aber doch gehen unsere Gedanken immerfort zu Dir hin und zu Deinen Fünf, gerade für die nächste Zukunft. [...] Sehr viele Frauen kommen täglich, um hier Essen und Sachen zu holen für ihre Notunterkunft, die sehr knapp versorgt sein soll meistens. Lutherstift arbeitet weiter wie bisher, [das städtische] Krankenhaus wohl auch, wie lange, weiß Gott allein. Heute kamen sehr viel Flieger vorüber, ohne etwas abzuwerfen, vielleicht in Berlin, Sirenen gehen jetzt gar nicht mehr. So haben wir ziemlich ruhige Zeit, wenn nur nicht immerfort die Gedanken zu Euch und den Habelschwerdtern und Ulrich gingen. Da [Nachbar] Fobe heute Post bekam, ist es also möglich, daß wir’s bekämen, wenn unsre Kinder nur schreiben wollten, worum wir herzlich bitten und immer wieder nachfragen werden, so müde der weite Weg [zur Hauptpost] freilich macht. Heute fragten wir erfolglos bei Waschanstalten an, so mußte ich eben selbst einweichen und selbst waschen, es wird zuviel.

Also mein liebes Käthel, sei innig gegrüßt von Deiner Dich so

herzlich

liebenden Mutter



  • Margarete Groß, Postkarte vom 7. 3. 1945

[Absender:] Margarete Grosh, Nauen/Osthavelland, bei Frau Grigull, Hamburger Straße 26

[An:] Frau Käthe Schmidt bei Frau Hamann, Tharandt /Sachsen, Bezirk Dresden, Bismarckhöhe 8f

Mein liebes, liebes Käthel! Zwar schrieben wir schon mindestens 6mal an Dich, aber ich versuche es immer wieder, ob wir nicht ein Lebenszeichen von Euch erlangen können. Heut gedenken wir des 7. März [Käthes Geburts- und Hochzeitstag] in großer Wehmut, Du armes Herz. Aber solltet Ihr noch beisammen sein, so werden Dir die Kinder in Liebe nahe sein. Wir können nicht verstehen, warum keine Antwort von Euch kommt, es sei denn, die Flieger hätten Tharandt zerstört, werde da auch noch in Fürstenwalde anfragen [in Fürstenwalde befand sich ein Restbetrieb von Koehlmanns, nachdem das Frankfurter Werk abgeschnitten war]. Wir lagen eine Woche auf Stroh, zusammen mit 30 z. T. sehr unmanierlichen Männern und Frauen, ungeheizt, in Oberschule, aber mit Kesselessen und reichlich belegtem Brot freundlich versorgt. Heut Nacht endlich sehr angenehmes Quartier gefunden, sogar Federbetten und Matratzen, sehr liebe Wirtsleute, die uns in Allem beistehen, wenn nur Gott wollte, daß wir lange dort bleiben könnten. Leider blieb fast alle Marmelade daheim und so vieles, wir mußten in ½ Tag abfahren und hatten so viel Brot dummerweise zu schleppen. Aber es wird schon alles gehen, wenn wir nicht bald wieder fliehen müssen. Von Ulrich auch keine Nachricht mehr, trotzdem hier postlagernd viel ankommt, wir fragen täglich. Gesund sind wir. Forst ist ganz abgebrannt, in Sacro waren die Russen, Kirche mit Munition soll auch dahin sein. Wir trafen hier Frau Wunderlich, eine geborene Ploschenz, die uns freundlich begrüßten, aber Forster Einwohner zuletzt waren. Frankfurt soll noch wohl erhalten sein. Einen Hausschlüssel gaben wir einem Volkssturmmann Ellermann, Einheit Weichert, Hellweg 10, falls Du etwa hinfährst. Aber es soll ja höchstens mit Militärauto, eventuell ab Rosengarten möglich sein, hinein zu kommen. Russen 20 km zurückgedrängt.

Tausend Grüße, Deine alten Eltern



6. Auszüge aus der Missionspredigt vom 16. 8. 1936, sehr kritisch gegen den Zeitgeist. Das war wohl die letzte, oder eine der letzten Predigten von Werner Groß im Pfarramt (nach dem handschriftlichen Predigtentwurf)

Das soll ein Ermutigungswort sein für jeden einzelnen Missionsfreund und auch für das ganze Missionswerk. Wenn man nicht mehr im Sturm und Drang der Jugend steht, da tritt vieles an einen heran, was einen müde machen kann und mutlos. Und noch viel mehr, wenn wir als echte Missionsfreunde an das Missions­werk denken; manchmal möchte man meinen: Es ist doch alles umsonst; immer stärker wird die Geldnot, immer größer die Widerstände, immer unverfrorener der Gegner. Es sieht manchmal so aus, als ob die Zeit da wäre, von der die Bibel redet: Die Zeit, wo alle Gewalten der Erde sich sammeln werden zum letzten Sturmangriff auf die Gemeinde Christi. Aber dann wollen wir an den Mann denken, an den großen Missionshelden, der das Wort gesprochen hat: „Wir werden nie müde!“ Er hätte noch viel mehr Grund zum Müdewerden und mehr als einmal herauszurufen:“ Ich habe Lust abzuscheiden. Wer wird mich erlösen vom Leibe dieses Todes?“ Ein Ruf tiefster Todessehnsucht. Aber er hat nie verzagt, nie aufgehört zu kämpfen. [... ... ]. Wenn ringsum die Feindschaft der Ungläubigen immer höher brandet und das Reich der Welt immer mächtiger wird und immer mehr Zuzug erhält: Die Mission zeigt uns, Gottes Reich ist da und geht voran und bleibt doch zuletzt Sieger und sammelt die Völker bis an die Enden der Erde. Und wenn ringsum die Völker sich belauern, wie einer dem andern an den Hals springen kann, in der Mission sehen wir, der Geist bezwingt den Hass und sein Reich ist der wirkliche Völkerbund. [... ...]



7. Aus einem Beileidsbrief des Generalsuperintendenten und Bischofsamtsverwalters Dr. Günter Jacob vom 12. 10. 1984 zum Tod von Käthe Schmidt

Lieber Herr Dr. Schmidt,

haben Sie herzlichen Dank, daß Sie mir den Heimgang Ihrer lieben Mutter, der ich ja in vielen Jahren im Lutherstift besonders verbunden war, nicht zuletzt auf­grund unserer frühen Begegnungen in der Sacroer Zeit, angezeigt haben. ... ...

Was nun Ihren Großvater anbetrifft, so haben Sie aus der Lektüre alter Jahrgänge des Sacroer Gemeindeblattes einen ganz richtigen Eindruck gewonnen. Ich will es für die Zeit der dreißiger Jahre noch ein wenig ergänzen, und ich hoffe, Sie wer­den es verstehen, wenn ich meine Sicht etwas abgekürzt vortrage, ohne Takt und Respekt in meinen Urteilen im geringsten verletzen zu wollen. Als ich als 26-Jähriger am 1. Juli 1932 meine erste Pfarrstelle in Noßdorf bei Forst übernahm, sind wir uns ja sehr bald auf den amtlichen Pfarrkonventen des damaligen Kir­chen­kreises Forst und auch sonst gelegentlich begegnet. Ich sah in ihm einen alten gütigen Herrn, dessen naturwissenschaftliche und paläontologische Inter­essen und Sachkunde mich stark beeindruckten. Was seine politische Einstellung anbetraf, so erschien er uns Jungen als ein typischer Repräsentant seiner Pfar­rergeneration, noch immer stark dem Untergang des Kaiserreichs nachtrauernd und in seinem schwarzweißroten Geschichtsbild in tiefer Distanz zur Weimarer Republik. Da trennten uns wirklich Welten. Es ist daher auch nicht verwunderlich, daß er wie die meisten national-konservativen Bürgerlichen (und nicht zuletzt die Pfarrer!) die Machtübernahme Hitlers als den Anbruch der „nationalen Wieder­geburt“ begeistert begrüßte und tief bewegt war, daß endlich auch wieder schwarz­-weiß-rot geflaggt werden durfte. Hinzu kam, daß wir Jungen durch die umwälzenden theologischen Arbeiten von Karl Barth seit 1920 entscheidend ge­prägt waren und jetzt schockiert darauf reagierten, daß die älteren und alten Pfar­rer im Konvent davon auch nicht auf dem Weg über Bücher in all den Jahren über­haupt nur Kenntnis genommen hatten. Trotzdem hat dann Ihr Großvater En­de 1933 in Abscheu vor den Irrlehren und dem Ungeist der Deutschen Christen sich dem Pfarrernotbund und der Bekennenden Kirche angeschlossen. Das war natürlich die Grundlage für ein gutes Verhältnis über den Graben der Genera­tionen hinweg zwischen uns, auch wenn deutlich war, daß es ihm seinerseits nicht möglich war, den Weg Martin Niemöllers so mitzugehen, wie wir Jungen gerade in der Forster Ecke es von Anbeginn an taten. Ihn trieben konservativ-na­tionale Motive in eine gewisse kirchliche Opposition, und er ging ja dann auch bald in den Ruhestand, so daß ihm manches Bittere durch Staat, Gestapo und amtliche Kirchenbehörden erspart blieb.

Seien Sie herzlich gegrüßt,

Ihr Günter Jacob




Fussnoten:

1[Die Berufsanfänge von Julius Groß wohl genauer bei Eduard Anders, Histor. Statistik der Evangel. Kirche in Schlesien, Breslau 1867, S. 378: „Rector Groß in Striegau (572 Schüler), stud. In Univ. Breslau und Halle bis1854; Rector in Bernstadt 1857, 1860 Striegau, 1866 Görlitz.“]

2[Der „Neue Görlitzer Anzeiger“ vom 23. 1. 1891 enthält einen Bericht über die Gedenkfeier zum Jah­restag des Todes von Julius Groß. Inzwischen war aus freiwilligen Beiträgen eine vom Magistrat verwaltete „Rektor Gross-Stiftung“ mit mehr als 4000 Mark errichtet worden, die der „Unterstützung ar­mer, oder zur Belohnung be­­sonders fleißiger Schüler “ dienen sollte. Aus dem Kapital wurde zuerst eine Gedenktafel am Grab und ein Ölporträt des Verstorbenen durch den Maler Schurig für die Aula be­zahlt worden. Vgl. das bei dieser Gelegenheit vorgestellte Lied auf Julius Groß im Anhang, Nr. 1’’]

3[s. Anm. 13]

4[DFer Lieblingsspruch von Werner Groß uns Enkelkindern gegenüber, mit dem er oft unsere Streite­reien zu schlichten versuchte, war: „Siehe, wie fein und lieblich ist es, daß Brüder einträchtig beieinander wohnen!“ (Psalm 133, 1)]

5[Die Unterschrift des Gymnasialoberlehrers Nietzsche auf dem Abiturzeugnis hat eine verblüffende Ähnlichkeit mit der des Philosophen. Einen überlebenden Bruder hatte F. W. Nietzsche nicht, aber evtl. einen Görlitzer Cousin?]

6[Die Reisedaten und Altersangaben variieren etwas in den verschiedenen Schichten der Notizen. Die am wahrscheinlichsten scheinenden wurden ausgewählt. Leider variieren auch die Angaben in den Versuchen, tabellarische Übersichten herzustellen]

7[In anderem Text: „1887?“. Aber im September 1887 bekam er sein Abiturzeugnis und danach erkrankte er schwer, also ist die Angabe „1892“ wohl korrekt]

8[Als Variante auch: Der Bernstädter Onkel Theodor Groß „vermittelte auch, daß ich mit dem bekannten Geographen Heinrich Kiepert als Reisebegleiter eine Reise durchs Riesengebirge und Böhmen mitmachte. Dessen Schwiegervater, der Direktor der Bernstädter Zuckerfabrik war mit Onkel und Tante Theodor gut bekannt“]

9[Zu den Studienkosten der damaligen Zeit s. die Aufstellung von Julius Groß im Anhang, Nr. 1’]

10[Variante: „In Breslau war ich ½ Jahr lang Mitglied der Burschenschaft Arminia.“]

11[„Buch der Welt“, Stuttgart 1847 (ein Band der „Braunen Bücher“), S. 177: im Artikel „Der Bärenspinner“: „Der Augsburger Bär, auch Beifußspinner, Dame oder Matrone, Bombyx matronula, genannt“]

12[Hier gibt es ein Datierungsproblem: W. G. datiert die Zeit am Achensee teilweise auf 1896. Nach den Originalzeugnissen fand das 1. Theolog. Examen schon am 18. 9. 1895 statt und das 2. Theolog. Examen am 10. 1. 1898. Lag also der Urlaub am Achensee schon 1895? Teresa Carreños Zeugnis für W. G. ist aber wirklich im Oktober 1896 in Berlin unterzeichnet. Werner Groß war Hauslehrer für Teresa Carreños Tochter Teresita und ein weiteres Kind. Er hat Teresita zweimal auf von ihm mit „Januar“ und „Mai 1885“ datierten Bildern gezeichnet. Offenbar hat er sich hier zweimal um 10 Jahre im Datum geirrt. Möglich ist aber, dass er die Bilder von so datierten Fotos abgezeichnet hat, denn 1885 war er noch Gymnasiast. Seiner Tochter Käthe gab er als vierten Vornamen den Namen seiner Schülerin Teresita]

13[von Rabenau, Kustos der Naturforschenden Gesellschaft: Wenige Tage vor Julius Groß starb 1890 laut Görlitzer Zeitung Paul von Rabenau, Staatsanwalt in Oppeln. Auch die DDR hatte noch einen Kirchenjuristen von Rabenau und Heidelberg bis 2007 einen gleichnamigen Bürgermeister]

14[Der Bericht steht sehr ähnlich im „Gemeinde-Monatsblatt der Parochie Sacro“, Juli 1910, S. 3-4]

15[Das ist der Vater der Cembalistin Eta Harich-Schneider, der Stiefmutter von Wolfgang Harich und Mutter der Berliner Dichterin und Journalistin Susanne Kerckhoff (im Umfeld des Ulbricht-Gegners Rudolf Herrnstadt)]

16[Über Dr. Moral s. Anhang, Nr. 4]

17[Auszüge daraus im Anhang, Nr. 6]