Briefe meiner Eltern

1973 -1981

 

Diese Briefe aus den letzten acht Jahren des Lebens meiner Eltern hat Barbara gesammelt. Es waren wohl einmal mehr, und unsere Briefe an die Eltern sind auch verloren gegangen, so ist dies eine unvollständige und einseitige Sammlung der Korrespondenz überwiegend zwischen, meiner Mutter und Barbara, die einander sehr nah waren.

Während der letzten sieben Jahre kam es, unter Barbaras Einfluss, auch zu einem gegelmässigen Briefaustausch zwischen Vater und mir. Ein fruchtbarer Gedankenaustausch wurde es nicht mehr. Es war zu spät. Vater fühlte sich nicht mehr imstande, meine oftmals scharfen, ihm fremden Fragen zu beantworten. Diesem vergeblichen Unternehmen nochmals beizuwohnen, ist das ernüchternde Erlebnis dieser, meiner langen Abschreibearbeit.

Trotzdem geben die Briefe eine tiefe Einsicht in das Leben unserer Eltern, deren Kinder über die halbe Erde verstreut waren. Sie klagen selten über dieses Schicksal und freuen sich über jeden Brief der Enkelkinder, jede Beschreibung unseres Lebens. Es steht viel darin über uns, meine Geschwister und Mutters immer dringlichere Versuche, Vater vor dem Aufgeben zu retten. Die Welt, in der er lebte, war schon lange untergegangen.

Pacific Palisades, Juli 2005

P.s. Die Abschrift folgt getreu den Originalen. Ich habe nichts weggelassen oder dazugetan ausser einigen Kommentaren in [....] Klammern..

 














Brief meiner Mutter 6. 10. 1973

Liebe Ba !

Heut bekamen wir die Unterlagen von Brigitte Deissners Club über Flugreisen. Bisher sind es die einzigen Reisen, die direkt nach Los Angeles gehen. Wir bitten, Dich mit Gerhards in Verbindung zu setzen, ob Euch die Zeit vom 23.3 - 18.4. passen würde? Dies ist für 1973 der erste Flug nach L.A [Vaters Einschub: World Airways. Ist im April die Wüste oder gar die Sierra, Yosemite, Tahoe lohnend?]. Wir müssten dazu bald dem Klub "Freunde europäischer Kultur" - für 5 Mark pro Person und Jahr beitreten. Der Hin- und Rückflug kostet 752 Mark. Also so preiswert, wie es bisher kein Reisebüro anbot.

Auch ist dieser Brief an Dich ja längst überfällig. Wir hatten uns für Deine Ferienbeschreibung vom 3. 9. 73 noch gar nicht bedankt. Ich kann mir vorstellen, dass das Zeltleben viel beschwerlich ist und besonders Du erlöst warst, als Ihr in die Hütte übersiedeln konntet. Tine ging das auf ihren "Wanderungen" durch Europa ähnlich. - Aber Ihr habt den Vorteil, noch unbegangene Plätze und unverschmutzte Wasserläufe zu finden. Der Lake Tahoe muss ja bezaubernd sein. Wahrscheinlich haben dies Mal die beiden Geburtstagskinder vom September keine Post von uns bekommen. Wir wussten nicht, ob sie daheim zu erreichen waren. Der Trainingsanzug für Cornelius kam hoffentlich gut an. Passt er ihm? - Auf beiliegendem Blatt bitte ich Dich die Masse der Kinder einzutragen. Ich plante für Weihnachten alles durch!

Vor einigen Tagen hörten wir im Rundfunk den Bericht Deines Bruders Dieter über seine Amerika Reise. Was er von der Stellungnahme der studentischen Jugend in den Staaten berichtet, war neu und recht interessant. Und wir fanden diese sehr sympathisch. Hier beobachtete ich bei den amerikanischen Soldaten und Familien auch ein weit zurückhaltendes und bescheideneres Auftreten. Ist das durch die Geldverknappung oder durch die deutsch-freundliche Haltung des neuen Captains gekommen? - Habt Ihr Dieters bei Euch zu Hause gehabt? [Dieter und Evelyn besuchten uns für 10 Tage]. - Nun bist Du durch Eckehards Besuch wieder beschäftigt. Sind die Zwillingsbrüder wieder in Hamburg? [Eckard und Gerd Lattmann besuchten uns zweimal in diesem Sommer].

Wir haben die letzte Zeit viel unternommen. Ich weiss nicht, ob wir von der Bus- und Schiffsreise nach London berichteten. London selbst fand ich scheusslich. Aber Brügge und auch sonst Belgien war baulich interessant. Zur Wasserfahrt hatten wir strahlendes Wetter und ruhige See. - Dann fuhr der Geschichtsverein nach dem Elsass. Die Fahrten sind immer landschaftlich, baulich und geschichtlich fabelhaft geplant, da erlebt man was dabei. Ich wusste gar nicht, dass die Vogesen solch ausgedehntes Gebirge sind, eine Höhenstrasse führte quer durch die Berge. [Der} Strassburger Münster - die grosse Fenster Rosette - war wieder schön. - Nun werden wir vom 19. - 26. [10. 73] zu Felmbergs (Vaters Mitarbeiterin in Breslau) nach Halle fahren und einen Abstecher nach Quedlinburg machen. - Auch waren wir ein paar Tage bei den Eltern Geibel in Braunfels. Sie haben sich ein sehr hübsches Altersheim eingerichtet. Der Vater war erstaunlich frisch. Die Mutter chauffierte uns in der Gegend herum, es war so schönes Wetter.

Anschliessend an diese Unternehmung soll Malte für 8 Tage herkommen. Er bekam die Mandeln entfernt, und man hofft, dass die rheumatischen Erscheinungen ganz schwinden. Dieter hatte sich ob dieser natürlich sehr geängstigt. Er ist selbst wieder gar nicht gut dran. Trotzdem hat er einen Kursus in Triest [gegeben] und 1 Woche in Kopenhagen bei Bohr [verbracht]. - Tines sind auf einem abenteuerlichen Flug zurückgekommen. In Damaskus hatte das Flugzeug Notlandung wegen eines Schadens. So wurden sie mit Bussen bis Beirut gefahren, was 7 Stunden dauerte. In Hong Kong kamen sie einen Tag später an. - Jetzt hausen sie wieder im Hotel. Dort gibt es keine Kochmöglichkeit. Auf eine Wohnung ist vor Weihnachten nicht zu rechnen.

Wir geniessen noch warme Tage. Überall bekomme ich Obst geschenkt und wecke ein. Ob Ihr davon werdet essen können? - Vater ist im Garten und bei seiner Kartothek emsig fleissig, es geht ihm gut.

Seid lieb gegrüsst von

Vati und Mutti

 

 

 

Brief meiner Mutter 25. 11. 73

Liebe Ba !

Zuerst lass Dir danken für die Bestätigung des Schecks und dafür, dass Du die Luftangelegenheit in die Wege leitest. Hoffentlich kommt durch die Ölkrise nicht was dazwischen. Unsere Tel. Nr. ist 06051-7126. Ich bitte Euch, uns auch Eure Nr. anzugeben, Von Gerhard hab ich folgende 001-213-378-6345 Stimmt die noch? Unter dieser Nummer kann man durchwählen. Es ist wohl besser, sie zu wissen, wenn etwas dazwischen kommt.

Wir haben heut den ersten Sonntag Auto Fahrverbot. Für uns macht es ja nichts aus - im Gegenteil, die Strassen sind Fussgängerzone - wir waren gerade auf dem Friedhof! Und unsere Öltanks wurden vor der Verknappung gefüllt. Das dürfte bis zum Frühjahr reichen - zumal wir während unsere Abwesenheit (Feb - März) die Heizung ganz niedrig stellen. - Aber wie steht es bei Euch? Aus den Meldungen hier werden wir nicht ganz schlau. Ich hoffe jedoch, bei den vielen Ölpumpen in Eurem California dürfte es zu keiner Katastrophe kommen. Schreib mal darüber.

Im Augenblick seid Ihr sicher in den Bergen über den Thanksgiving Day. Peter wünschte sich das doch so sehr. - Ich bin froh, dass wir nun nicht der Brigitte Deissner in ihre Pläne nach dort [LA] zu kommen, dazwischen kommen. Wir hatten von diesen keine Ahnung, zumal auch die Eltern Geibel bei unserem Dortsein nichts erwähnten.

Unser Besuch in Braunfels war ja längst fällig. Zumal es gar nicht weit - wenn auch umständlich - ist. Es war auch restlos nett. Vor allem fanden wir den alten Herrn wieder frisch. Und die Mutter ist immer gleich fröhlich und tätig, trotz mancher körperlichen Hemmnisse. Früher fand ich es oberflächlich, nun wo ich mehr von ihr weiss, bewundere ich ihre Haltung. Anneliese hat ja auch diese fröhliche Art - Rolf sagt das "rheinische Temperament". Aber bei Gerhards Veranlagung ist dies wohl ein guter Ausgleich! In Steinau [Gerhard, Anneliese und Peter hatten sich mit den Eltern und Dieter, Evelyn, Nele und Malte dort getroffen] waren beide so enttäuscht und Gerhard körperlich gar nicht wohl. Jetzt nachträglich mache ich mir Vorwürfe, dass ich nicht mehr geholfen habe und mich zu sehr um Dieters Belange gekümmert habe. Dort ist es schwer, dass er sich durch seine körperlichen Schwierigkeiten in fixe Ideen um Malte steigert. Malte hatte doch einen Anfall von rheumatischem Fieber, was Dieter sooo - erschreckte. Eine Ansteckung ist dabei durch ihn doch unmöglich. Und der Anfall ging so rasch vorbei. Die Gründlichkeit der heutigen Medizin, bei ihm mit erneuten nachforschenden Blutproben, erschreckt zu sehr. Wie oft waren meine Vier krank, und wir haben es überwunden ! Wie elend war der Patrick mit 6-8 Jahren und was für ein Bursche ist er jetzt. - Barbara, und was bei Dieters Aufzucht noch verhängnisvoller ist, dass er den Malte als überbegabt ansieht und alle körperlichen Fähigkeiten vernachlässigt. Evelyn sieht das deutlicher. Leider versinkt sie ganz in der Arbeit mit ihren Kindern und dem Haushalt. Sie "schluckt" weiter daran, nicht "wissenschaftlich" arbeiten zu können. Traurig ist es auch, dass sie sich gänzlich abkapselt - übrigens auch mir gegenüber.

Dagegen war es mir eine Freude, Anneliese näher gekommen zu sein. Sie ist durchaus gutmütig. Und künstlerisch hat sie so viele Ideen. Auch mit Peter kamen wir gut zurecht. - Mein Tinle hat sich wie in ihrer Kindheit angeschmiegt. Und ihre Zwei sind sehr liebe Wesen. Sie hofft in diesen Tagen, eine Wohnung von anderen Leuten vorübergehend übernehmen zu können, damit sie über Weihnachten nicht im Hotel bleiben müssen, wo sie ja nichts kochen kann. Noch ist das Wetter so, dass sie oft am Strand grillen, wobei die ganze Familie nach Dereks Anweisungen mitarbeitet.

Wie geht es Rolf? Was hat der Test ergeben? Ob sein hoher Blutdruck und die häufige Abgeschlagenheit nicht mit der Schilddrüse zusammenhängt? Dagegen gibt es doch Mittel. Ich erlebte es nach der Zwillinge Geburt.

Wir wollen uns in den nächsten Tagen gegen Grippe schutzimpfen lassen. Müssen wir eine Pockenimpfung vor der Reise machen lassen? Oder fällt diese in unserem Alter fort?

Unsere Fahrt nach Halle war einerseits rührend und andrerseits erschreckend. In 2 kleinen Zimmern hausen die Schwestern Felmberg, in denen sie durch allerlei Umstellungen uns beide unterbrachten. Dann in einem Hotel 3 Tage, wo die Heizung und das Waschwasser kalt waren - also die Dusche nicht zu benutzen war. Dabei mussten wir Westzonalen die doppelte Menge bezahlen. Die Häuserstrassen sind verwahrlost. Alle Fahrgelegenheiten ratterten und stossen. Die schönen Dome von Quedlinburg, Gernrode und Halberstadt sind wenig restauriert. Jedenfalls waren wir froh, wieder daheim zu sein. Und doch hatte ich seit meiner Jugend diese Kirchen sehen wollen. Wir waren über den Renstieg nicht hinaus gekommen.

Ulrichs Freund Kaschner starb, während seine Frau völlig gelähmt seit 1-1/2 Jahren in einem Pflegeheim zubringt und lebt.

Seid alle herzlich gegrüsst von Eurer Mutti.

 

 

Weihnachtsbrief beider Eltern 15. 12. 73

Vaters Brief

Ihr Lieben in der Albright Street !

Heute kam ein dicker Luftpostbrief von Susanne. Dem Gefühl nach (Schnürchen) ist ein Kalender drin. Ob das eine Handarbeit unserer grössten Enkeltochter ist? Hat sie wohl gar die Anschrift auf der Verpackung selbst so schwungvoll geschrieben? Aber aufmachen werden wir es erst am 24.

Unser Päckchen vom Anfang November wird hoffentlich rechtzeitig eintreffen. Etwas später folgte eine Buchsendung. Darin als Taschenbuch der "Exodus" von Leon Uris. Zwar ein alter Bestseller, aber doch vielleicht Euch unbekannt. Lehrreich als Frühgeschichte des Staates Israel, aber als Roman zu oberflächlich und zugleich rührselig. Darf ich sagen: wie ein zweitrangiger Wildwestfilm.

Im Zuge unseres Geschichtsseminars habe ich mich etwas mit der Geschichte der mohammedanischen Länder von Marokko bis Indonesien (Schwerpunkt: Türkei) befasst. Ich lese (schaffte am Tag zwei Taschenbücher aus der [Reihe] "Fischer Weltgeschichte". Der Verfasser Prof. Grunebaum (wohl Wiener Jude) an der UCLA-Los Angeles scheint nicht nur ein Sachkenner sondern auch Philosoph zu sein. Seine Mitarbeiter (davon 4 UCLA Professoren) sind z.T. Araber, Inder u.s.w.. Der 1. Band: gross-arabische Geschichte vor 1300 stammt von einem Franzosen, Prof. an der Sorbonne. Sehr merkwürdig ist die afrikanische Geschichte vor dem Eindringen der Europäer. Viel "populärer" und anschaulicher sind die bei RoRoRo herausgekommenen "Sachbücher" zur Geschichte, Übersetzungen nach "Life". Die Bebilderung ist etwas "manieristisch".

Ich habe vor, Euch im Februar noch einige Platten mitzubringen. (Hoffentlich [habt] Ihr dann wieder Flug-Benzin.) Ebenso Bildkalender, die es dann wahrscheinlich zum halben Preis gibt. Habt Ihr sonst Wünsche in diesem Sinne? Das Schulbild von Cornelius hat hier trotz Barbaras abschätzigem Urteil sehr gefallen. Es kommt an Mutters Bilderwand. Ich hätte gern noch einen Abzug für Jochen Schmidt. Hat Susanne auch Schulbilder bekommen?

Meine besten Weihnachts- und Neujahrsgrüsse verbinde ich mit der Hoffnung auf ein gesundes Wiedersehen im Februar.

Euer Grossvater in G.

[Meine Mutter schreibt auf denselben Bogen]

Ihr Lieben!

Als letztes nun an Euch Herzliche Weihnachtsgrüsse. Es ist erstaunlich, dass durch unsere 10 Wohnsitze [?] für mich 35 Karten zu verschicken waren. Aber es ist mir auch lieb zu wissen, wie viel Freunde es für uns gibt. Diese Woche kommt Liese Reichelt her, die dann zu den Feiertagen zur Familie ihres Sohnes weiterfährt. Von Gerda Popp bekam ich gerad Bescheid von ihrem Schwager, nachdem sie über ein Jahr im Krankenhaus zubrachte, um das erste Gelenk zu entfernen. Mein Bruder Gerhard fährt über Weihnachten zur "Nichte" [sein Adoptivkind] nach Leipzig - laut schimpfend, weil er für jeden Tag 20 DM West im Osten eintauschen muss. Und auch der Ernst ist versorgt, er fährt zu Bärbel nach London. So ist das Fest für uns geruhsam und durch genügend Öl auch warm. So können wir Kräfte sammeln zu unserem Ausflug zu Euch. Hoffentlich ist der für Euch nicht zu beschwerlich! Bitte im Essen auch alles einfach zu richten - schon wegen der "schlanken" Linie und Vaters Verdauung!

Wir liessen uns gegen Grippe impfen. So schreibt mal, ob eine Impfung gegen Pocken (bei 75-jährigen?) auch nötig ist.

Alles Liebe Eure Mutti und Oma.

 

 

Brief meiner Mutter 30. 12. 1973

Liebe Ba, lieber Rolf!

Zum Jahresschluss sende ich Euch liebe Grüsse. Möchtet Ihr gesund und zufrieden das Jahr beschliessen. Es hat Euch viel Gutes gebracht. Das Einleben in Californien [nach unserem 1-1/2-jährigen Aufenthalt in München] habt Ihr gemeistert. Rolf hat das grosse Unterfangen des Fachbuches angefangen. Ein Wunsch, den er schon als Schuljunge hatte! Und vor allem könnt Ihr froh über Eure Kinder sein. Das was Ihr über Susanne berichtet, ist so erstaunlich. Du Barbara machtest Dir damals in Deutschland so viel Sorge um sie. Und nun packt sie ihr Leben bewusst und zielstrebig. Der Skiaufenthalt jetzt ist wunderschön für sie und wird sie mit ihrer Schulgemeinschaft noch enger verbinden. - Und Cornelius geht klug seinen Weg. Das Schulbild von ihm gefällt uns sehr. [Einschub meines Vaters] Ich hätte gern noch solche ein Bild. - Es zeigt, dass er aus seinem Kindsein herausgewachsen ist. Seine rüpeligen Unternehmungen bewiesen auch seine Selbständigkeit. - Da gerät er wohl nach meinem Rölfchen! Jedenfalls sind wir schon gespannt auf die Enkelkinder! - Zum Fest haben sich beide so reizende Geschenke ausgedacht. Opa hat ja gerade geschrieben, wie wir uns darüber gefreut haben. - Und Du Barbara hast Dir wieder so etwas passendes ausgedacht! Ich bin immer gerührt, wie Ihr Töchter mich verwöhnt. Die Grösse der Decke ist schön, da können die Stühle darunter geschoben werden. Und die Farbe in blau ist so passend zu der Umgebung. Ob Ihr im April zusammen schon auf der Terrasse mit uns sitzen könnt und die passende Decke bewundern könnt? Es wäre so nett, wenn Du Ba auch herkämest! - Nun mal in Deutschland, werdet Ihr auch nach hier kommen können, und besonders wenn der Flug nach Frankfurt geht.

Wir hatten sehr geruhsame Weihnachten. Da es im Augenblick draussen nebliges Schlapperwetter ist - der Schnee schmolz schon nach kurzen Tagen im Dezember - wir bleiben in der warmen, gemütlichen Stube. Ein wunderbarer Tannenbaum steht da. Vater hat sich ihn was kosten lassen! Unter ihm lagen von allen die Pakete und wurden mit Spannung ausgepackt. Zuvor waren wir in der Marienkirche. Der Besuch war einmalig, und die Predigt von unserem neuen Dekan auch mal ganz anders, der ist zeitweilig Pfarrer in den Staaten gewesen! Bis zum Heiligen Abend hatte ich die Liese Reichelt bei uns. Sie ist jetzt auf ihrem Dorf sehr einsam, hat aber nicht das Geld nach Göttingen zu ziehen. Dann besuchten wir unsere Freunde Holleben [alte Freunde von Vater, die für lange Zeit in Chile lebten und vor den "Kommunisten" geflohen waren] in Wächtersbach. Diese wollen auch morgen über Sylvester bei uns sein. Die Aufgeschlossenheit der beiden Männer ist mir eine rechte Freude. Bei unserem Nachbarn Kienzler bröckelt das Verstehen immer mehr ab. Er ist schon alt und kindisch, sie oft bösartig, weil sie beide fast nichts mehr sehen. - Zu Weihnachten telephonierte Dieter. Im Hintergrund Kinder Gezwitscher. Er hat ein fabelhaftes Puppenhaus gebaut mit Treppe, Balkon und "Spül-" Klosett. Die Kleine spielt nun reizend mit dem Bruder! [Anmerkung des Abschreibers: vornehmlich mit vertauschten Rollen] Dieter hat nun die Bestätigung für Berlin und auch die, in seinem Hause wohnen zu bleiben. - Christine zog am 20. in eine Wohnung, die ihr Leute während ihres Urlaubs überlassen haben. Das erste war, dass sie einen Christbaum (aus den Staaten) besorgten. Kati hat gleich in der Küche Kuchen gebacken!

Nun noch zu unserem [Charter-] Flug. Bekommen wir die Flugkarten zugeschickt? Eine Anweisung fürs Visum, Impfungen, Abflug, Zeit, Maschine! Das war vor 5 Jahren an uns gesandt [worden], und wir mussten aufs Konsulat in Frankfurt. Kann in unserem Alter die Pockenimpfung unterbleiben? Jedenfalls ist doch Anfang Januar das [alles] zu unternehmen. Aber vielleicht sind die Bestimmungen jetzt anders. Läute doch mal in Santa Monica bei dem Klub an. So allmählich werden wir uns auf das Unternehmen einrichten. Macht aber weder im Essen noch im Schlafen Umstände mit uns.

Alles Gute fürs Neue Jahr. Es soll bei Euch daheim ohne "Wolken" sein und die Wolken draussen sich auch immer mehr verziehen.

In Liebe Eure Mutti

 

 

 

 

 

Brief meiner Mutter 30. 6. 74

Meine liebe Ba !

Zu Deinem Geburtstag meine besten Glückwünsche! Vor allem, dass Du gesund bleiben möchtest, dass Dir der Rücken keine Schmerzen machen möchte!

Nun hast Du Dich wieder gut eingelebt und bisst gewiss glücklich daheim. Jetzt in den Ferien hast Du's etwas leichter, wenn Du nicht mehr wegen der Kinder so früh heraus musst. Bald geht Cornelius in das Ferienlager. Peter schrieb davon. Es ist hübsch, dass die beiden gemeinsam das Erleben haben. Hoffentlich wird es schön. - Und zugleich mit Deiner Geburtstagsfeier wirst Du mit Susanne Abschied feiern [Susanne flog allein nach Deutschland]. Vater wird morgen auf einem Reisebüro die Fahrkarten für sie zusammenstellen und an den "neuen" Vetter [Ecki Lattmann] in dieser Woche senden. Wir werden heut in einer Woche aufbrechen, zuvor am Donnerstag mit Dieter [Gross] unsere Fahrt auf einander abstimmen; er kommt am Mittwoch aus den Staaten zurück, wo er ein grosses Programm abwickelte. Hoffentlich hat es ihn nicht zu sehr angestrengt.

Die Tage mit Deinen Eltern waren reizend. Der Vater so entzückt begeistert von allem. Und Marga ist mir bisher nicht so nahe gekommen wie diesmal. Hoffentlich ist ihr Programm in Thüringen nicht zu anstrengend. - Bis Freitag waren Lengyels da. Die Männer schwätzten ununterbrochen und wälzten vergangene und augenblickliche Probleme. Und mit Frau Lenyel gings recht gut. Sie sprach täglich besser Deutsch. Sie ist eine warme, so lebhafte Person. - Nun habe ich alles für Steinau zu richten. Für die Kinder habe ich reizende kleine Zootiere. Ein grosser Karton und einige Schächtelchen und bunte Papiere sollen den Berliner Zoo zaubern. Da haben sie was auch bei Regenwetter vor. - Wir denken voll Dankbarkeit an die schöne Zeit bei Euch. Was habt Ihr alle so viel Liebes für uns erdacht. Nun können wir uns Euer Leben richtig vorstellen. Das ist schön. Christine hat nun eine Wohnung bezogen mit phantastischem Blick.

In Liebe Mutti

Im selben Umschlag ein Brief meines Vaters 30. 6. 74

Liebe Barbara !

Zuerst möchte ich Dir meine besten Glückwünsche zum Geburtstag schicken. Der Tag möge Dir einen neuen Auftrieb geben.

Dann habe ich Dir herzlich zu danken für Deinen langen Brief vom 20., mit dem Du meinen etwa gleichzeitigen Kurzbrief betr. Susannes Fahrkarten im wesentlichen beantwortet hast. Ich werde also morgen auf ein Reisebüro gehen und nach Deinem Plan bestellen, ohne Rücksicht auf Umsteigen. Die verschiedenen Besuchten wird Susanne dann um einen schriftlichen Fahrplan für die Weiterfahrt bitten müssen.

Ich kann mir gut vorstellen, dass Rolf sich nicht so leicht an den "Toynbee" heranmachen wird. Ich halte es aber für wichtiger, einen international anerkannten Historiker über Kulturgeschichte zu lesen (in der doch wohl der Sinn des Lebens der Völker steckt) als solch verstiegenen Schnickschnack, wie ihn Dänecke oder der Fliegenpilzmann [John Allegro] von sich geben. Natürlich findet man auch darin Spuren exakten Denkens, aber eben nur Spuren. Ich verlasse mich durchaus nicht auf Toynbees Urteil. Aber es ist für mich interessant und z.T. erfreulich, einen so ausgesprochen englischen Forscher zu lesen.

Lenyel brachte mir ein Time-Life-Bilderbuch über (im wesentlichen) Stonehenge mit. Guter Text, teils reichlich naive Bilder. Wer hat ihn darauf gebracht? - Ich bewundere seine Schlagfertigkeit und sein Wissen in madjarischer Geschichte und - in klassischer deutscher Literatur. Das fehlt Eurer Generation und natürlich noch mehr den Neuamerikanern. Dereks Wort von den "Analphabeten in zwei Kulturen" ist leider zutreffend. Mir fallen zwei deutsche Schriftsteller ein, deren nach-klassische Sprachkultur aufs höchste entwickelt ist, nämlich Nietzsche und Burckhardt (Carl Jacob B.), auch Wilhelm Busch! Gibt es sowas unter den Amerikanern? Kann man das wirklich übersetzen? Ich habe mal versucht, ein bayerisches Volksstück (leider komme ich nicht auf den Namen des Verfassers) aus der Mundart ins Schaumburger Platt zu übersetzen. Meine Schüler haben es zwar ganz ordentlich gespielt, aber der "Schmelz" war weg. Ganz entsprechend geht's in der Volksmusik.

Bei Gelegenheit mehr! Herzlichst Vater.

 

Brief meiner Mutter 27.10.74

Liebe Ba !

Durch Deinen Brief bin ich wieder ganz bei Eurem Tun. Habe sehr Dank. Wie interessiert es uns, was Du über Susannes Pläne schreibst. Du hats ja so intensiv an ihnen teilgenommen und ihre Entschlüsse erleichtert. Ja, es ist so anders der Schulgang drüben und so anders als unser Werdeziel [?]. Ihr Interesse für Photographie wird ihr brennend sein. So wird sie mit Anneliese sich gut darüber unterhalten können, die gerade schrieb von ihrem Hobbykursus. Ich wünsche von Herzen, dass Susanne weiter die Begeisterung hat, auch die anfängliche eintönigen Behandlungen damit. - Empfindet sie auch die Nähe der Schule als schön und ein längeres Schlafen am Morgen und ein früheres Heimkommen! - Cornelius hat ja wieder Fussball vor und sein Judo. - Viel Spass daran.

Und Vater Rolf hat erneut grosse Pläne am Haus. Wie will er denn die Veranda umgestalten? Schreibt mal darüber. - Ja und Du? Machst Du noch Übersetzungen? Und wie geht es mit dem Rücken? - Von Eurem Zusammensein mit Gerhards schrieb Anneliese. Sie war begeistert davon und lobte Deine hervorragende Bewirtung. Es ist mir immer eine Freude, wenn ich von Eurer Harmonie höre!

Ich schreibe heut, ehe Malte zu uns kommt und mir [es] dann an der Zeit mangelt. Er soll mit dem Flugzeug landen. Denn auf der Bahn sind die Kontrollen so unberechenbar, da hat Dieter Angst für ihn allein. Vati und ich holen ihn vom Flughafen ab und werden am Sonntag darauf ihn auch wieder hin bringen. Er hat so spät und kurze Herbstferien. Hoffentlich hält nun das Wetter, wir hatten 14 Tage Dauerregen. Es war das schwierig, weil wir in der Zeit den Garten gründlich überholten. Zum Glück hat Vati dafür einen Gärtner genommen. Er selbst hat nur alle Blumenbeete umgegraben und jede Zwiebel herausgelesen. Als diese dann wieder neu gesetzt wurden, wollte ich dabei helfen! Aber ich hab das nicht geschafft! Schliesslich haben wir 2 Fuhren Äste, Abfälle abfahren lassen. Ja, der Spass hat 400 DM gekostet. Aber ich bin froh, dass sich Vati dazu umstellen liess. - Ich sagte immer wieder, Du brauchst ja das Geld nicht zur Hong Kong Fahrt! Wir haben die Pläne ganz begraben! Einmal rechnet man 10000 DM Fluggeld für uns zwei, und zum anderen hofft Tine nun jährlich 6 Wochen [bezahlten Flug] Urlaub zu machen. Derek soll in die dafür passende Stelle aufrücken.

Wie Du hörtest, hatte ich den ostzonalen Besuch beinah 4 Wochen hier. Das war mir zu viel. Und danach bekam ich eine Nervenentzündung am ganzen Körper, die scheusslich juckte. Der Hautarzt hat das beinahe weg gebracht, und ein Cortison Mittel war gut. Es ist eine Alterserscheinung, meinte er! - Ulrich geht es bei seiner ärztlichen Betreuung soweit gut. Freilich die Gartenarbeit war ihm schwer! Nun ist sie für das nächste Jahr geschafft.

Am Sonntag hatten wir eine Busfahrt vom Geschichtsverein an den Main. Über die Wegscheide bei Orb kamen wir in Schneetreiben. In Wertheim am Main dachte ich an der Jungen Wanderfahrten. Haben sie die Wehrkirche in Urfahr damals gesehen? [nein]. Interessant wie durch den Anbau an den ursprüngliche Wehrturm die Kirche entstand und sich durch die Jahre wieder durch Anbauten in allen Stilrichtungen erweiterte. Ein roter Frankenwein war bald so gut wie der Bocksbeutel und sah so wunderbar aus.

Recht herzlich grüsst Euch alle Eure Mutti

 

Im selben Umschlag zwei Briefe meines Vaters

Liebe Barbara !

Dein Bericht über Cornelius' Geburtstag war für mich eine ebenso grosse Freude, wie der über seine Gebirgswanderung mit dem Vater. Beides wird ihm Erinnerungen geben, die er für sein Leben lang bewahren wird. - Ich lege zwei Literaturberichte bei. Als Weihnachtsgruss für Dich habe ich einige Hefte eingelagert, die teils besonders gutes Deutsch (eines Schweizers), teils sprachliche Betrachtungen bringen. [In dieser Zeit versuchte sich Barbara im Übersetzen von amerikanischen Romanen, die sie aber nie unterbringen konnte.] - In letzter Zeit hörten wir im Rundfunk (Tänze der frühen Renaissance von Guilelmo della Torre, Malvezzi) Musikstücke, die ich Euch gern auf Platten geschickt hätte, aber bis jetzt nicht bekommen konnte. Besser klappte es mit Bachs Violinkonzert a-Moll BMV 1044, E-Dur, BMV 1042 und g-Moll BMV 105A, gespielt von Oistrach mit den Moskauer Philharmonikern. Weiter suche ich noch nach Bachs "Ouvertüre" Nr.3 in D-Dur ("strahlender Glanz" von 3 Trompeten mit Streichern, Oboen und Pauken) und das "Dettinger Tedeum" (Sieg Georg II über die Franzosen nahe Aschaffenburg) von G. Fr. Händel. Was meint Rolf dazu?

Hast Du mein Bilderbuch eines Pressefotografen (Hoffmann?) durchgesehen? Manches Bemerkenswerte (Französische SS-Division z. B.); aber im Ganzen für Susanne etwas abkühlend.

Gisela [Gernand] hat mir sehr gut gefallen, Charly weniger. Macht mal für unseren Bilderrahmen ein gutes Porträt von Susanne. Sie hatte so was etwa 9 x 12 von einer anderen.

Euch allen herzliche Grüsse !

Vater

Lieber Cornelius !

Schönen Dank für Deinen Brief. Seit wann heisst Du Nelson? Weist Du etwas von dem englischen Seehelden von Abukir und Trafalgar? Oder gar von Lady Nelson? "Socker" kenne ich nicht. - Judo ist sehr gut für Dich. Hier gibt es koreanischen Judo: Taekwando. Das soll vorsichtiger sein. Lass mir mal ein Bild von Deiner Judostunde machen. Spielt Susanne noch Tennis? Fechten wäre noch besser, oder auch Judo. Hast Du im camp Reiten gelernt? Gefällt Dir das Buch von der schönen Schrift?

Dich und Susanne grüsst vielmals

Dein Grossvater.

[Am Rand:] Was hat der Toynbee gekostet? Ich will ihn Derek schenken. Ich bin gar nicht einverstanden mit seiner Kulturtheorie, die ich für "unmenschlich" halte Aber das historische Wissen T's ist bewundernswert, - und ausgesprochen englisch, in jedem Sinne.

 

 

 

Brief meiner Mutter 22. Juli 1974

Liebe Ba, lieber Rolf!

Der Brief von Dir, Ba, war für mich ein lieber Empfangsgruss. [Rückkehr von Steinau] Eure Susanne läutete an in Steinau und meldete wie gut alles bis Hamburg verlaufen war. Wir waren sehr froh, das bald zu erfahren, denn unsere Gedanken verfolgten sie ab Frankfurt. Nun kommt sie morgen gegen 17:00 hier an. Wir werden sie beide abholen. Ich schreibe dann am Ende diese Briefes noch darüber. Im Augenblick ist im Haus alles getan, so mag ich schon vom anderen Erleben in Steinau berichten. Wir setzten die Berliner gleich in Wächtersbach in den Interzonenzug. Nach langem Überlegen fanden wir das doch richtiger, sie nicht nach hier mitzunehmen, zumal da Dieter im Herbst auf 1 Woche nach Heidelberg muss und in der Zeit Malte bei uns lassen will und danach hier [her] kommen will.

Wir hatten hässliches Wetter, das uns nur zwischendurch zu Waldspaziergängen lockte. Für Nele hatten wir einen Sportwagen. Dieter lief dies Jahr bedeutend besser als im vergangenen Jahr. Er ist aber recht mitgenommen. Und es ist erstaunlich, dass er nie klagt. So hat er damals in den Staaten nicht gewagt Euch anzurufen, um nicht zu klagen. Er hatte ein gerütteltes Mass von Verpflichtungen in den 3 Wochen. Auf Evelyn fällt natürlich manche Last, wo Dieter Koffer nicht tragen kann, sich schwer bücken kann. Ich bin darob sehr dankbar, dass Evelyn verständig hilft und treu zu ihrem Mann steht. Für beide sind die 2 Kinder ihre grosse Freude. Die Nele ist weit. Spricht alles, singt musikalisch und sagt mit Charme Kinderreime, die sie von einer Platte her kann. Reizend war der Wirt. Er nahm Malte zu allen Tieren in den Stall mit und erklärte ihm viele Fragen. Er durfte auf dem Trecker nach der Molkerei mitfahren. Ein ausrangiertes Auto war beider Kinder Freude. Sie konnten das Lenkrad drehen, die Hupe, den Scheibenwischer bedienen. - Ein Ereignis war der Transport eines 120 cm langen Schaukelpferds, das der Wirt für die Berliner gemacht hatte. Es wurde in Wächtersbach (wie ein Fahrrad) in den Gepäckwagen gestellt. In Berlin nahm Dieter ein Taxilaster, in dem sie und alles Gepäck heim fuhren. Dieter meldete abends von zu Hause die gute Ankunft.

[zweite Seite und Ende nicht auffindbar]

 

 

Beigelegter Brief meines Vaters 23. 7. 74

Liebe Barbara !

Eben habe ich mit Susanne den Zug nach München festgelegt. Ihre Fahrkarte gibt mir nur Dienstag-Mittwoch-Donnerstag, was 30% Preisermässigung bringt. Morgen werde ich mit ihr die weiteren Verbindungen im Reisebüro ermitteln. Sie ruft heute in München an, von dort aus die weiteren Gastgeber.

Für die [getrockneten] Aprikosen vielen Dank. Passen gut für den beliebten Quarkauflauf.

Ich lese immer noch im Toynbee. Der Mann hat eine erstaunenswerte Vielseitigkeit. Seine Theorie vom Wesen und Werdegang der Kulturen finde ich oft reichlich abstrakt. Aber wo er "praktisch" wird, kann ich ihm gern zustimmen. Mir persönlich ist die Fülle englischer lulturkritischer Schriftsteller (die er zitiert) eine wirkliche Überraschung. Sein Definition für "Barbaren", "Proletarier", "Militaristen" u.s.w. sind nicht weniger überraschend. Euch würden vielleicht die Abschnitte über den "selbstmörderischen Charakter des Militarismus" oder die sanftmütige "Religion des inneren Proletariats", die die herrschende (mit Gewalt) Minderheit allmählich überwindet, mehr erfreuen als mich. Die internationale, abendländische Zivilisation bezeichnet er als einen "Gesellschaftskörper", der die Volkskulturen auflöst und aufsaugt. In diesem Sinne sind die "Völker" für ihn mehr oder weniger Barbaren. Siehe daneben Zypern heute und besonders bei Lawrence Durrell!

Mit herzlichen Grüssen an alle

Ulrich Gross [!]

 

 

 

Brief meiner Mutter 6. 2. 1975

Lieber Rolf !

Wie Du weisst, besuchten wir Brigitte in Orb. Sie erzählte, dass der "Schnipp" [ein früher Verehrer von Brigitte und Konkurrent um ihre Gunst], der Mann von der Jugendfreundin Rosemi Koch [Nachbarn der Stölzels in Gelnhausen] von der AEG weggeht, weil er eine Professur an der TH in Darmstadt bekommt. Über seine Schwiegermutter verschafft ich mir gestern seine Anschrift und läutete ihn an. Er hat auf eine Ausschreibung der TH in der Wochenzeitschrift "Die Zeit" sich um die Stelle beworben. Eine jede freie Stelle der Universität muss öffentlich ausgeschrieben werden. Die erforderlichen Unterlagen sind angegeben und an wen diese zu richten sind. Daraufhin wurde der Schnipp Müller zu einer Vorlesung gebeten und gewählt. - Er meinte, es wären viele solcher Stellen im Augenblick angeboten, und gern Leute aus den Staaten bevorzugt. - Nun frage ich Dich, ob wir Anzeigen verfolgen sollen (welche Branchen?), oder ob Du Dir Die Zeit halten kannst und eventuell zu einem Angebot schneller gelangst. Die Zeit erscheint hier jede Woche am Donnerstag. Jedenfalls seien Bewerbungen durch dritte nicht erwünscht. - Freilich ist die Bezahlung auf dem Hochschul-Sektor gegen die Industrie geringer. Also überlege Dir alles, auch dürftest Du nach dem 50-ten Lebensjahr schwer Chancen haben.

Anneliese war mit der Mutter bei uns. Beide sind nun gefasst, d. h. auch die Mutter [nach dem Tod von Annelieses Vater]. Sie wird Dir berichten, dass Vati und ich in Sorge sind. Wegen der Augen wurde Vati zu einem Spezialisten vom hiesigen tüchtigen Augenarzt nach Frankfurt überwiesen, der uns am Mittwoch nach Frankfurt bestellte. Man befürchtet eine Netzhaut Ablösung. Augenblicklich wird diese mit Anschweissen behoben. Ich schreibe, wie es sich entwickelt am 12. 2.

Für Barbaras lieben Brief Dank. Auch Anneliese berichtete, dass es Ba nun besser geht. Darüber bin ich sehr froh.

Brigitte ist in einem Sanatorium [in Orb] gut aufgehoben, sie ist glücklich ohne Kindergeschrei zu sein und in Ruhe lesen zu können.

Seid alle lieb gegrüsst.

Deine Mutti.

 

Brief meines Vaters 7. 3. 76

Lieber Rolf !

Ich danke Dir sehr für Deinen langen Brief vom 10. 2. 76. Ehe ich darauf eingehe, möchte ich aber bitten, Deiner lieben Frau zu danken, dass sie uns so getreulich mit Nachrichten über Gerhard versorgt. Gestern Abend rief Dieter an. Er hatte einen von Gerhard selbst geschriebenen Brief, der Barbaras Beobachtungen bestätigte. Zweitens bestelle bitte Cornelius meinen besonderen Dank für seinen Brief vom 1. 2. 76. Seine Gedichte von Weihnachten machen mir den Eindruck, dass er schon ein Gefühl für Sprache, Ausdruck und Klang hat. Ich wünschte sehr, dass er das auch für Deutsch bekäme. Das ist immerhin ein wichtiger Zugang zur Kultur. Was macht denn sein Blockflötenspiel? Auch so ein Zugang! Mir fehlen Zeit und Spannkraft, um an alle zu schreiben, die es verdienen.

Kommst Du eigentlich noch zum Lesen.? Ich kaum. Dann versuche mal, das Buch des burischen[!] Herzverpflanzers Barbert von Gerhard zu bekommen (im wesentlichen von ihm selbst). Ich habe es ihm geschickt. Ebenso meine "Notizen" in Heftform [die bei mir sind].

Du hast schon recht, meine Ausdrucksfähigkeit in Briefen hat, wie die Lust zum Schreiben selbst, sehr nachgelassen. Briefliche Diskussionen sind mir kaum möglich. Bei mündlichen Diskussionen höre ich lieber zu. Was Du "Testamente" nennst, sind Bekenntnisse (also eigentlich keine Konstruktionen, eher analysierende Beiträge), die allerdings ein Echo erhoffen, aber nicht so sehr schnellen Widerspruch, der meist doch nur oberflächlich sein kann. Weil zum Ergründen Zeit gehört. Und Abstand. Und Selbstkritik. Also Deine Kritik an mir...

Ich weiss, dass ich keine Autorität bin. Also habe ich z.B. versucht in Form von Buchgeschenken, andere zu Euch sprechen zu lassen, die sich, und manchmal mich, besser, präziser oder einleuchtender ausdrücken können. Z.B. das Reisebuch des "romantischen" Schweden ist mir wertvoll als Aussage, wie ein gebildeter Mensch reisen sollte.

Einigermassen überrascht mich, dass Du mich für einen Rationalisten hältst. Richtig ist daran wohl nur, dass ich über Gefühle ungern spreche. Auch für mich ist die logische Konstruktion nur eine Arbeitshypothese, die oft der Wirklichkeit nicht gewachsen ist. Das gilt auch für alle -ismen und anti-ismen einschliesslich Marxismus, Individualismus u.,s.w. Dagegen sind die "historischen Gruppen" mit ihrer "Realität" nicht statistisch, sondern nur intuitiv ("mit dem Herzen") erfassbar, auch in ihren stets vorhandenen negativen Seiten. Du wirst das wieder für Dogmatik erklären. Vom Philosophischen her hätte ich durch gezielte Fragen Dich zu diesen Erkenntnissen planmässig zwingen müssen. Aber dazu bin ich selbst zu sehr "Gefühlsmensch" und weder Philosoph noch Pädagoge.

Die Tatsache, die hinter meinem "Glauben" (der sich keineswegs mit dem apostolischen deckt) steht, ist die, theologisch gesprochen, Wiedergeburt. Allerdings ein umstürzendes Erlebnis. Darüber steht einiges in den Heften, die z.Zt. Gerhard hat. Aber schon vorher (d.h. vor 1925) habe ich sehr deutlich erlebt, dass ich von "oben" geführt werde, zwar meist gegen meinen Willen, aber zu meinem Besten (seelischem, nicht materiellem). Darum kann ich mich darauf verlassen, auch in meinem Tode geführt zu werden. In diesem Sinne werde ich nicht allein sein.

Ich bekenne mich zum Monotheismus. Also nicht zur Polarität von Gott und Teufel, bzw. Gut und Böse. Wenn Gott die Welt "geschaffen" hat, so auch "den Teufel". In der Gefangenschaft in Glatz las ich in meinen "Losungen" den alttestamentarischen Spruch "Ich der Herr schaffe das Übel"(oder entsprechend). Dein Urgrossvater hatte Theologie studiert, wurde aber Realschulrektor. Bei einer Revision bemängelte man, dass seine Schüler nichts vom Teufel wusste. Da meinte er: "Der Herr ist mir nicht vorgestellt". (Bericht meines Vaters) Ich verkenne keineswegs den erzieherischen Wert des Teufels, des Fegefeuers wie des Jüngsten Gerichts. Aber in dem was Jesus "Glauben" nennt, kommen sie nicht vor. Wie so vieles, was orientalischer Mythologie (zum Beispiel dem persischem Dualismus) entstammt, die natürlich als jüdisch, auf den Menschen Jesus eingewirkt hat. Oder doch auf die Verfasser der Evangelien, die sich nicht immer mit den Aposteln decken, Dazu ist die evangelisch-katholische "Blaue Bibel" ein (sehr vorsichtiger) Führer. Habe ich sie Dir geschickt? Sonst fordere sie an. Interessant darin, was alles der Christ nicht "braucht".

Es ist mir "sehr lieb", wenn Du mit solchen Fragen zu mir kommst. Aber ich kann sie nicht immer und stets nur schwer und schlecht beantworten. Das musst Du mir verzeihen. Ich bin ein sehr mässiger Vater. Damit Gott befohlen!

Dein Vater

 

 

 

Briefe beider Eltern

Mutter: 5. 9. 76

Lieber Rolf !

Nun wird es Zeit zu diesem Geburtstagsbrief. Viele guten Wünsche ! Achte besonders auf Deine Gesundheit in neuen Lebensjahr. Wie wichtig das ist, siehst Du ja an Gerhard. Möchte uns allen solch ein schwerer Fall erspart bleiben. Ich habe gerade vor einiger Zeit mit Ba und beiden Kindern gesprochen. Die Lieben sagten mir alle Lebewohl. Alle waren so erfüllt, dass sie nun nach Hause kommen. Das "Vagabondenleben" haben sie satt. Sie sehnen sich nach richtiger Arbeit. Sie sehnen sich nach Dir. So wünsche ich Euch allen zusammen ein geruhsames Zusammensein. - Schön war das Zusammensein mit Deiner Ba. Viel Not konnte ich bei ihr abladen. Sie will auch weiter sich um Gerhard und Anneliese kümmern und uns berichten. Ja, könnte der Arme Junge von den vielen Schmerzen bald erlöst werden. Wie habt Ihr Peter gefunden? Ich hätte mich mehr um ihn kümmern sollen. Bas Besuch bei Mutter Geibel war für diese so notwendig, weil sie sah, dass es der Mutter doch besser geht, als wir alle dachten.

Bei uns hier hält das geruhsame Leben an. Vater hat seine Ahnenforschung aufgenommen und war deswegen über Land. Ich habe viel gewirkt, was liegen geblieben ist. Eine Riesenwäsche gehabt und einiges im Garten bergen müssen. Dann habe ich angefangen, mein Gwicht zu reduzieren. Die 3 Pfund, die ich durch das faule Schiffsleben bekommen hatte, mussten wieder herunter, vielleicht noch was mehr. Das schaffe ich schon! - Jetzt kamen viele Wünsche zu meinem Geburtstag und Anrufe, die wiederholt vergeblich gewesen waren. Rührend hat Anneliese geschickt. Alle Prospekte über Breslau und Glatz. Alles ganz polnisch - aber auch Absätze in Englisch und Deutsch. Dieter hatte sie mitgebracht und Gerhard geschickt [Dieter hatte auf einer Dienstreise nach Krakau Habelschwerdt besucht]. Unser Kleiner - er war 6 Jahre, als wir weggingen - wusste sich nicht zurechtzufinden, hat das Haus in Habelschwerdt nicht mehr gefunden. Er war bezaubert von der schönen Gegend. Gerhard hat ihm einen genauen Plan von zu Hause geschickt. Er war ja 11 Jahre. - Ja, viele Erinnerungen aus der schönenm, sorglosen Zeit stiegen wieder auf. Aber merkwürdig, ich trauerte ihr gar nicht nach, es ist danach zu viel über uns [hin]weggegangen. Un nun sind wir geborgen in unserem Häuschen. Es kommen alle Kinder mal her. Und das ist schön.

Leb wohl mein Grosser und behalt uns alle lieb.

Deine Mutti.

[Randbemerkung von Vater:] Mutter liest genau einen deutschen "Führer" von Breslau, darin sind alle alten und neuen Kulturleistungen (Bauten) urpolnisch.

[Auf demselben Bogen schreibt Vater]

Lieber Rolf !

Über meine selbstverständlichen Glückwünsche hinaus möchte ich Dir besonders danken für die Tage, wo Du bei uns warst. Solche Aussprachen haben mir Jahrzehnte gefehlt. Wie abstrakt und weltfern ist alles Gerede von Völkerfreundschaft und Nächsten(!)liebe, wenn es das innerhalb der Familien so selten gibt. Ich hätte gern von Barbara erfahren, inwiefern Gerhard seine Eltern ablehnt. Es hat sich nicht machen lassen. Vielleicht kannst Du mir darüber schreiben.

Ich habe noch einen Wunsch nach einem guten Porträt von Susanne mit kurzen Haaren. Barbara hinterliess mir eine schwarz-weisse Aufnahme von Euch vieren im grossen Wohnzimmer. Darin sitzt Susanne zu sehr im Vordergrund, also für sie besonders unvorteilhaft. Der Haarschnitt ist auch noch etwas länger als bei ihrem Kurzbesuch (Abholung Peters), wo ich ihn besonders günstig fand. Du musst auch mal ein Foto von Susanne mit ihrer "Adoptivschwester" [Heike?] und "Nina"[?] machen.

Am Freitag Abend von 19-21 Uhr veranstalten die "Kleinhändler" der Oberstadt in der abgesperrten Langgasse eine Modeschau mit "Miss-Wahl". Rund 100 m Laufsteg und Sitzbänke vor dem Bürgersteig. Das wäre was für Euch alle gewesen. Vorführer (auch Männer und Kinder) zwischen 4 und 40 Jahren. Viele hundert Zuschauer, z.T. aus den Hausfenstern, Schianzüge, Trainingsanzüge, Mäntel, Strickzeug. Zum Schluss Abendkleider, vom hautengen, bodenlangen, aber völlig schulterfreiem Schlauch (offenbar ohne Unterwäsche, trotz herbstlich kalter Nacht) bis zu pompösen Chiffonwolken mit Straussenfeder-Boa. Die Miss-Wahl fiel dagegen ab. Nur 6 Konkurrentinnen und darunter nichts Besonderes. 1. Preis: ein Küsschen mit Rosenstrauss vom Bürgermeister (von Nakro, SPD) und eine Dreitagereise nach Amsterdam.

Von meinen drei Norwegenfilmen (einschliesslich Scharbeutz[?]) habe ich einen entwickelt zurück. Technisch guter Durchschnitt, etwa 10% über- und unterbelichtet. Auf dem Schiff hielt eine Professorin 3 Lichtbildvorträge über Norwegen (Geologie - Klimazonen - Industrie). Die Dias aus den Fjorden waren meist im Vordergrund unterbelichtet und in der Ferne (verschneites Hochgebirge) überbelichtet.

Das Schönste in Norwegen waren für mich die starken Bäche mit zahllosen Schnellen und Fällen im Süden. Das Merkwürdigste, dass die obere "Waldgrenze (in den Alpen bei 2000 m Hohe) im Riesengebirge (in der Formation dem norwegischen Gneis am ähnlichsten) bei 1000 m, nördlich der Lofoten bei "0" m liegt. Dort beginnt die Tundra, in der ausser Rentieren neuerdings grönländische Moschusochsen halbwild gehalten werden. Die Tiere wurden auf Ausflügen gezeigt, die wir der Kosten wegen nicht mitmachten. Ebensowenig haben wir die Eisengruben von Kiruna (schwedisch, östlich von Narvik) aufgesucht. Dort (in Narvik) wurde der Soldatenfriedhof gezeigt: 1500 Deutsche, 150 Engländer, 35 Franzosen. Nadelwald gibt es nur im Süden. Im Norden allenfalls Krüppelbirken (kein Knieholz = Krüppelkiefern) und Polarweiden. Selbst in Hammerfest blühte in den meisten Gärten Eisenhut besonders farbkräftig infolge starker UV-Strahlung. Desgleichen im Süden unsere Weidenröschen. Alpenrosen und Enzian scheint es nicht zu geben. Gammler gibt es glücklicherweise selten, Dänemark, Holland und Südschweden bevorzugen sie. Norwegische Bauern sah ich nur einmal, als sie mit zweirädrigen Einspännern die Fremden zum Gletscher fuhren (wir liefen). Sie machten einen guten Eindruck. Im Norden scheint doch viel lappisches Blut im Stadtvolk zu sein. In Hammerfest vermisste Käthe den Stock- und Klippfisch samt Geruch. Ein Polizist am Hafen meinte, das gäbe es noch, aber nicht in den Städten. Dafür Gefrierfischwerke.

Lies das mal Gerhard vor!

          Es grüsst Vater.

           

           

Brief meiner Mutter 15. 10. 76

Liebe Ba !

Heut habe ich endlich die Bluse bekommen [Barbara hatte ihr Seidenstoff geschenkt]. Sie ist bildhübsch geworden. Ich werde sie neue Woche zu einer Einladung einweihen. - Die Schneiderin war krank.

Habe Dank für Deinen Brief. Wie Du hörtest hatten wir bei Anneliese angerufen. Ehe Vater in die Ostzone fuhr, wollte er wissen, wie es stand [um Gerhard]. Es ist mir immer erstaunlich, wie ruhig und sachlich Anneliese am Telephon ist.

Zu meiner grossen Freude schrieb Gerhard die Tage. Der Gute wollte mir die Zeit des Alleinseins verkürzen. Er schrieb so spritzig über das Photo beim Empfang an Deck mit dem Captain. [die Eltern waren auf einer Norwegenfahrt gewesen] ! Und zog seine Mutti durch den "Kakao". Ich selbst hätte das auch getan. - Anneliese hatte zwei Abzüge von Gerhards Aufnahmen gemacht. Was sieht er elend aus, nach so vielen Schmerzen. Auf einem Bild ist Peter mit drauf. Der ist sehr lieb und freundlich.

Wie mögt Ihr mit Eurer Erkältungswelle weggekommen sein? Ich hatte auch eine Grippe ehe Ulrich fuhr. Der Arzt hat aber mit tadellosen Mitteln eingegriffen. So ist Ulrich gereist. Und heute ist alles wieder bestens.

Morgen kommt der Mann wieder. Mir ist die Zeit nicht lang geworden. Mein Bruder Gerhard war hier. Er wohnte bei Ernst [Stölzel]. Liess sich aber alle 2 Tage durchfüttern, z.T. der Ernst auch. Dort hat Gerhard energisch den Hausstand ergriffen. Bei dem Ernst war nachts eingebrochen worden. Er hat in, den Einbrecher, mit fabelhaftem Gebrüll bis auf die Strasse verfolgt. Da ein Hausschlüssel weggenommen wurde und die Haustür nicht zuzuschliessen (seit Jahren!!) ging, hat der Onkel [Gerhard] nun den Schlosser bestellt, der vorn und hinten neue Schlösser anbrachte. So ist in der Junggesellenwohnung allerlei zu verbessern. - Und ich hatte mal Zeit, mit dem Bruder von früher zu reden. Was stecken in dem für Verdrängungen! Es war wohl gut, dass er sich mal über vieles "frei" sprach.

Vater ist bei den Felmbergs und bei Tante Käthe. Letztere war mit den Söhnen Jochen und Peter in der Heuscheuer [bei Glatz] in Urlaub und hat einen Abstecher nach Habelschwerdt gemacht. Davon sollten sie berichten. Zumal, weil Dieter bei seinem Polenaufenthalt nichts wiedererkannt hatte.

Dieter ist noch bis Monatsende in Paris zu einer Gastvorlesung. Evelyn wirkt weiter im Haus. Sie entdeckte, dass alle Türen und Vertäfelungen hässlich überstrichen waren, darunter aber gutes Holz war. So ist sie dabei alles abzubeizen. - Maltes Ohr heilt nun. Der "Hammer" und das Trommelfell wurden künstlich ersetzt. Die Nele ist 5 Jahr geworden. Sie besteht darauf, Zöpfe wachsen zu lassen. Ihre Freundin hat welche.

Es erfreut mich, dass die "Töchter"[?] sich so wohl verstehen und Ihr an beiden fröhliche Hausgenossen habt. Cornelius soll nur einen neuen "Fussballmann" erkämpfen!

Eben kam von Deinem Vater ein Gruss, sie hätten sich so gut im Sanatorium erholt.

Seid gegrüsst von der

Omi

Brief meines Vaters 12. 11. 76

Lieber Rolf !

Vor kurzem ging als Weihnachtsgeschenk an Dich (Schiffspost) ein in der DDR erschienenes und von mir dort erworbenes Buch über altgeorgische Baukunst ab [Russudan Mepisaschvili und Wachtang Zinzadze, "Die Kunst des alten Georgiens" - die Quelle all meines Wissens über georgische Kirchen, Emaillen, Fresken und mehr]. Es bearbeitet auch den [Wunsch-] Gedanken einer Verbindung Georgiens mit der westeuropäischen Romanik. Ich neige zu der Ansicht, dass beide Bauformen ohne eigentlichen Zusammenhang antik-römische Vorstellungen weiterentwickelten, und gleichzeitig mit eigenem "nationalem" Geist erfüllten. Jedenfalls stammt die Basilika aus West-Rom und der Zentralbau aus syrisch-orientalischem Geist.[Karls des Grossen Kaiserdom in Aachen?]

Dann werde ich, sobald ich es habe, Dir ein Taschenbuch von Carl Friedrich v. Weizsäcker über "die Voraussetzungen naturwissenschaftlichen Denkens" schicken. Es enthält Vorträge: Die Sprache der Physik, Der Relativitätsbegriff, Die Unendlichkeit der Welt. Stark philosophisch aber mit französischer[!] Klarheit. Ursprünglich für meinen Patensohn Jochen Schmidt bestimmt, soll es jetzt auch an Dich und Dieter gehen. Ich hoffe auf Meinungsaustausch.

Gleichzeitig bekommst Du meinen "Aufsatz" über zwei Vorträge unserer "Ökumenischen Woche". Er geht auch an Gerhard und Dieter. Der Inhalt schien mir für uns interessanter als die (immer noch vorhandenen) Spannungen zwischen Katholiken und Protestanten, bzw. CDU und SPD-FDP; z.B. Abtreibung, Wehrdienst.

Wir haben z. Zt. mildes, aber etwas regnerisches Wetter. Wir haben beide etwas Grippe ohne Fieber und haben jeder zwei Vorderzähne verloren. Das ist insofern ungünstig, als die Kasse Zahnersatz nur bis zu einem Betrag von 150 DM (und dann noch zu 50%) bezahlt. (Weitere 50% von der [Landwirtschafts-] Kammer Hannover).

Du hast im Sommer mal vom traditionellen Christentum Deiner Eltern gesprochen. Du hast damit soweit recht, als Du damit die Teilnahme am Leben der Kirche und ihrer Gemeinde meinst. Das ist allerdings Tradition und Weiterentwicklung. Die Kirche ist meines Erachtens heute der wichtigste Rest des (ebenfalls überlieferten) Volkstums, also meiner Identität, auch Sitte und Brauchtum genannt. Vergleiche Anlage.

[Notiz am Rand] Das persönliche Verhältnis zu Christus, der Glaube an ihn, ist keine Gemeinschafts- oder gar Volkstumssache.

Die sozialistischen Länder versuchen krampfhaft, ein neues Brauchtum u.s.w. aufzubauen.

Über meine Buchsendungen u.s.w. bitte ich um Deine Meinung, sowohl Deinet- wie meinetwegen.

In Liebe Dein Vater.

 

 

[Auf demselben Bogen]

Liebe Barbara !

Dein Buch über die angeblichen Maya-Legende habe ich mit Dank und Freude gelesen. Es hat hohen dichterischen Wert. Ob es auch historisch-volkskundliche Aussagekraft hat, möchte ich bezweifeln. Dafür ist es zu romantisch und hängt zu sehr von den Meinungen gewisser intellektueller Kreise ab, die es allerdings schon vor der französischen Revolution gab. Die schon damals nicht neues Leben, sondern die Schreckenszeit brachten. Es ist immer peinlich, andere Zeiten, andere Völker (deren Kodizes man heute nicht wirklich lesen kann) zu idealisieren. Ein Beispiel: Vicki Baum, "Liebe und Tod auf Bali". Es ist immerhin der Wirklichkeit näher, wenigstens anscheinend. Vergleichbar sind viele andere Indianerbücher: Flucht aus der unromantischen Gegenwart. Verständlich, aber kein Zeichen von Kraft [!].

Um etwas anderes möchte ich Dich bitten. Sondiere vorsichtig bei Gerhard, ob er seine Eltern noch einmal zu sehen wünscht. Beim letzten Anruf schien er mir so schwach, dass es bald zu spät dafür sein könnte. Es wäre für alle Teile ein schweres Vorhaben, besonders der Abschied. Aber wenn er es wünscht? Ich vermute leider, er sagt "nein".

Inzwischen Dir, Susanne und Cornelius

herzliche Grüsse von Vater Gross.

 

 

Brief meiner Mutter 5.12. 76

Liebe Ba !

Wir telephonierten Sonntag mit [Annelieses] Mutter Geibel. Sie hatte genau wie wir grosse Unruhe um Gerhard und deshalb mit Anneliese gesprochen. So war Dein Bericht schon zuvor bei uns gelandet. Das heisst zum Teil.

Du schreibst wie schrecklich es für Gerhard war, als sein Mitlieger im [Krankenhaus-] Zimmer starb. Ich weiss, dass es im Krankenhaus meist so ist, dass Sterbende nicht separat gelegt werden, zumal wenn es nachts passiert. Und bei den meisten Mitkranken hinterlässt es einen Schock. Das ist kein Versäumnis der Ärzte und Schwestern. Freilich sind die längst abgestumpft.

Nun zu Gerhards Fall. Er hat wohl nie einen Sterbenden gesehen und sicher kein Sterben miterlebt. Ich denke, dass er danach gewiss Anneliese von dem Erlebnis erzählt hat. - Jetzt klammert er sich in seiner Not an sie. - So hast Du das Empfinden gehabt, bei Deinem Dortsein überflüssig zu sein, - Ba, es gibt so viel, wo ihr besonders Anneliese helfen könnt, wenn es auch nicht unbedingt bei Gerhard selbst sein wird. Sage Rolf, er sollte nicht nachlassen, zu Besuch zu gehen. Und still sich irgendwo in der Zeit seines Dortseins nützlich machen. Ihr seid für uns so dankbar bei Eurer Hilfe. Es ist oft schwer, dass wir nichts tun können. Aber unsere Anwesenheit würde nichts nützen. Mutter Geibel spricht meist darüber, und dass wir doch bei Euch wohnen könnten. Ach, das wäre auch negativ für die Beiden und für uns. Wir behalten Gerhard lieber in gesunder Erinnerung. - Sollte freilich der Wunsch unserer Anwesenheit bestehen, so schreib darüber. Ich wünschte Gerhard blieb nun zu Hause. Freilich ob Anneliese das schwere Sterben bis zum Ende pflegen kann? Und ins Haus kommt wohl keiner der Ärzte? Und ob er eine Morphin Spritze zuletzt ablehnt? Man sollte Gerhard nicht mehr quälen. Er hat alle Mittel über sich versucht und war darin heldenhaft.

Gott wird ihn nicht verlassen und ihm bei allem Schwersten beistehen, wenn auch die vielen Tröstungen ihm nichts bedeuten. Ich bitte oft um den Beistand für ihn. Diese Gebete sind ja auch das einzige was wir tun können.

Wir sollten heute mit Lotte v. Holleben noch eine Fahrt nach Mainz in ihrem Auto machen. Da telephonierte sie plötzlich ab. Sie ist von einer Grippespritze so elend! Ich sollte aber zu ihr kommen, es sei alles bei ihr durcheinander. Am 16. werden alle Sachen, die sie nach Chile gehen lässt zum Verladen nach Hamburg abgeholt, auch ihr VW. Anfang Dezember fliegt sie herüber [Die "Kommunisten" waren endlich durch Pinochet abgelöst worden]. Sie besucht erst ihren Sohn in Guatemala, Der, 34 Jahre alt, hat eine Negerfreundin und die Mutter ist entsetzt [Lotte war militant rechts, und erschreckend "rassisch".], dass er sie heiratet. "Und das ein von Holleben!"

Bei meinen Nachbarn, den jüngeren Kienzlers, ist auch Not. Die Mutter konnte (diese widerspenstige Frau) niemand pflegen. So kam sie in das Altersheim in Meersholz [20 km von Gelnhausen]. Dort in dem alten Schlossbau (17. Jahrhundert) ist es fürchterlich (ich besuchte sie neulich). Sie siecht da so hin. - Gott sollte uns vor solch einem Ende bewahren. - Eine Dame aus der Nachbarschaft hat durch eine Blutvergiftung den "Schwarzbrand." Sie wurde 3 Mal geschnitten, und nun fängt die Wunde an von neuem an zu eitern. Da soll ich trösten und hingehen. Obgleich uns beiden das Wesen und die Lebensauffassung der [Frau] gar nicht liegt.

Nun bitte ich bald um Weihnachtswünsche. - Für Cornelius habe ich den ärmellosen Schwitzer [Pullover!] fertig. Ob er passt? - Ob Peter auch einen gleichen haben will? Wieviel grösser als bei Cornelius? Und Ihr anderen? Für grosse Strickereien bin ich nicht mehr fähig.

Vati ist auf dem katholischen Pfarramt in Orb. Er "gräbt" nach Vorfahren für einen Holländer. Ja, es ist eine Ablenkung von all den traurigen Gedanken.

In der Ostzone war es oft enttäuschend. Allerlei Krankheit und bei allen Zwangseinsatz. Ja, und doch für alle keine Freiheit.

In Liebe denkt an Euch alle

Eure Mutti und Omi

 

Brief meines Vaters 12. 12. 76

Lieber Rolf !

Für Deinen langen Brief vom 15. 11. 76 möchte ich Dir sehr herzlich danken. Nicht nur deswegen, weil er nach Umfang und Inhalt eine Leistung darstellt, die ich heute nicht wiederholen kann. Sondern weil kaum jemals ein anderer mit mir auch über die letzten Dinge gesprochen hat. Leider auch nicht ich selber zu Dir. Ehe ich nun versuche, mich in etwas zu bessern, ein paar Worte zu den Anlagen. Du findest in diesem Umschlag einen Durchschlag unserer Gebet, die wir zu Gerhards Begräbnisstunde miteinander sprachen. Beschreibe mir doch einmal kurz, wie es in Wirklichkeit war. Dann lege ich Dir die gewünschten Ablichtung Deines Briefes bei. [Nicht mehr vorhanden] Unser Dekan hat sie gemacht. Eine zweite Ablichtung machte er, um sie mit seinem Ältesten zu diskutieren, der dieser Tage sein Studium: Theologie und Medizin, in Mainz beginnt. Ich hatte ihm Deinen Brief zu lesen gegeben, weil er uns recht nahe steht und Deine Ansichten vielfach teilt. Ich hatte gehofft, von ihm Hinweise wegen Sufi-Literatur zu bekommen, da er auf Reisen in Kleinasien dem Derwisch-Wesen (er hält die Derwische für die Protestanten des Islam) in Berührung gekommen ist. Vielleicht bekomme ich sie noch. Kürzlich bot mir ein Antiquariat ein Buch über "Schwarze Magie" an, aber das schien mir nicht das Richtige. Frag doch mal beim Rabbiner nach der Kabala!

Gleichzeitig schicke ich Dir als Drucksache eine Trauerkarte, wie wir sie an alle Bekannten (ebenso an Frau Geibel, zusammen 120 Stück) versandt haben. Ausserdem einen Bethel-Kalender [beides verloren]. Er kann Dir einen Eindruck geben, wie ein deutscher evangelischer Orden aussehen möchte. Drittens stecke ich drei norwegische Ansichtskarten hinein. Eine vierte gab ich ins Weihnachtspaket für meinen lieben Cornelius, weil er sich in Garching so um die norwegischen Fjorde bemühte. Die drei Postkarten gab ich einem hiesigen Fotografen mit dem Auftrag nach ihnen Reproduktionen 7 x 10 und Dias zu machen. Der Wasserfall des Gletscherbaches (siehe Karte) war für mich der grösste Eindruck der ganzen Reise. [alle verloren]

Nun so gut es geht noch einiges zu Deinen Ausführungen. Zuerst versuchsweise eine Begriffsbestimmung.

Glauben ist für mich nicht das wörtliche Fürwahrhalten des Apostolischen Glaubensbekenntnisses. (Mein Vater sagte immer: mit den Worten der Väter.) Schon deshalb nicht, weil der Christus der Evangelien es grossenteils nicht gelehrt hat. Sondern ich verstehe unter Glauben die persönliche Bindung des Gläubigen an Gott und Christus, erwachsen aus dem persönlichen Erlebnis der Gnade (Ziel der Mystiker).

Kirche halte ich für eine Methode der Menschenführung und Gemeinschaftsbildung, die aber Wesensgemeinschaft zur Voraussetzung hat (Nationalkirche). Das wirkliche Brauchtum ist der Kern jedweder Volkskultur.

Mystik ist nach Brockhaus das unmittelbare Erleben Gottes. Der Mensch erstrebt diese Erlebnis durch Ekstase, Askese, Meditation, Rausch, Exerzitien. Die alten Griechen hatten ihre Mysterienkulte und Geheimlehren, die Juden Kabala und Chassidismus, im Mittelalter gab es Eckart, Seuse und Tauler (Luther schätzte ihn), in der Neuzeit Jesuiten und Pietisten aller Art, In Amerika vielleicht die Methodisten. Die "Technik" ist nicht überall gleich. Auf die Dauer ist die "Umwelt" (früher sagte man Blut und Boden [!!]) Form bestimmend. Du schreibst von religiösen Erkenntnissen, die wohl nicht Produkte des Denkens sondern mehr Beobachtungen am eigenen Ich sein sollen. Früher nannte man das Offenbarungen. Es gibt sie in allen Religionen. Freilich sind viele so naiv (z.B. in der Frühzeit), an eine mythologisches Diktat oder gar Schriftsätze Gottes zu glauben. (Mormonen). Die Energie "an sich" ist nur an ihren Wirkungen wahrnehmbar, also real, aber eigentlich nicht erkennbar. Das alte Testament nennt zwar den Menschen nach dem Bilde Gottes gemacht, verbietet aber die Anfertigung materieller "Götzenbilder". (Ähnlich, aber gröber der Islam.) Des stärkeren Eindrucks wegen legt es ihm die Charakterzüge des orientalischen Despoten bei: Unberechenbarkeit, Rachedurst, Zorn, Eifersucht. Jesus dagegen spricht nur von der Liebe des Vaters, die der Mensch nach Luther nicht verdient und auch mit "Möncherei" - lies "mystische Technik" - nicht erzwingen kann.

 

 

[Fortgesetzt] 16. 12 76

Ich habe den Eindruck, dass der mystische Weg zu Gott keineswegs gleichartig über alle Kulturen, Klimate, oder Völker und selbst Einzelcharaktere hinweg gefunden werden kann. Ich muss freilich zugeben, dass mir jede "Internationale" wesensfremd, machtverdächtig und gottfeindlich vorkommt. Mir scheint die Ordensmystik (trotz Loyola) asiatisch, vielleicht sogar ostasiatisch bedingt zu sein. Das soll kein Werturteil sein, sondern eine Charakteristik. Der deutsche Theologe Thielecke, der mir in vielem durchaus sympathisch ist, bekennt sich tief beeindruckt von gewissen japanischen und indischen Sektenführerern [!]. Ebenso der bedeutende schweizerische Historiker (und seinerzeit Kommissar von Danzig) Carl Jakob Burckhardt in seiner "Kleinasiatischen Reise" zu den Derwischen von Konya. (Noch mal "Internationale' : Betrifft auch die Katholische Kirche und die sogenannt Ökumene.)

Ich bin leider nicht dazu gekommen, im (Dir geschickten) Weizsäcker, den Aufsatz über die Sprache der Physik zu lesen. Von der höheren Mathematik habe ich immer angenommen, dass sie ausserhalb des menschlichen Gehirns nicht eigentlich real sei, wohl aber eine Denknotwendigkeit. Ist sie etwa eine ausgesprochen westliche Angelegenheit, die im Osten nur wenig Bedeutung hat? Sind die mathematischen Ableitungen in der Physik nicht mehr Arbeitshypothesen, also Denkmöglichkeiten und Abstraktionen ohne eigene "Kraft"?

Ich habe den Verdacht, dass die Hochkulturen im Nahen Osten einschliesslich Spaniens wenig mit eigentlichen Arabern, d.h. Beduinen zu tun haben. Ich vermute bei all ihren Grössen persischen, jüdischen, berberischen Einschlag. Sie unterwarfen die Nachbarn und andere Kulturen aus Machtgier oder einfach Raublust. So "raubten" sie auch das Wissen der Griechen. Die türkische Geschichte (sie waren niemals Araber) aber auch idie Bücher der Salcia Landmann geben viele Hinweise.

Du schreibst, dass Gedanken wie die Deinen "hier" sehr verbreitet seien. Es gab Menschen, die für chinesische oder indische Denker schwärmten. Philip Eden, Bärbels [Stölzel] Mann, neigt angeblich sehr zum Buddhismus. [er ist noch immer ein Mitglied der "Buddhistischen Gesellschaft Englands" - Theravada]. Unser Dekan Haupt meinte sofort, dass in Kalifornien ostasiatischer Einfluss auch und gerade unter den Theologen sehr verbreitet sei.

Du wirst von meinen Briefen wahrscheinlich sehr enttäuscht sein. Aber lass Dich's nicht verdriessen und schreibe wieder, wenn Du was neues gefunden hast. Es wird mich immer freuen, auch wenn ich Dir nicht oder nicht mehr folgen kann.

Dir, Deiner lieben Frau und Deinen mir ebenso lieben Kindern gelte meine herzlichsten Gedanken zu Weihnachten und Neujahr!

Dein Vater.

Anhang zu diesem Brief von Vater mit der Maschine geschrieben:

Am Donnerstag dem 9. Dezember 1976 um 20 Uhr, zu der Stunde, als Gerhard begraben wurde, läutete in Gelnhausen die Abendglocke und wir, seine Eltern, haben zusammen gebetet:

Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen.

Wen suchen wir, der Hilfe tu, dass wir Gnad empfangen?

Das bist Du, Herr, alleine.

Uns reut unsere Missetat

die Dich, Herr, erzürnt hat.

Heiliger Herre Gott,

Heiliger starker Gott,

Heiligster barmherziger Heiland, du ewiger Gott,

Lass uns nicht versinken in des bitteren Todes Not!

Kyrie eleison! (Altkirchlich)

Herr, Gott, du bist unsere Zuflucht für und für.

Ehe die Berge wurden und die Erde und die

Welt geschaffen wurden, bist du, Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit,

der du die Menschen lässt sterben und sprichst:

Kommt wieder, Menschenkinder!

Denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag,

der gestern vergangen ist, und wie die Nachtwache.

Du lässt sie dahin fahren wie ein Strom,

sie sind wie ein Schlaf, gleich wie ein Gras,

das doch bald welken wird, das da frühe blüht und bald welkt

und des Abends abgehauen wird und verdorrt.

Das macht dein Zorn, dass wir so vergehen,

und dein Grimm, dass wir so plötzlich dahin müssen.

Denn unsere Missetaten stellst du vor dich,

unsere erkannte Sünde ins Licht vor deinem Angesicht.

Darum fahren unsere Jahre hin wie ein Geschwätz.

Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn's hoch kommt,

sind's achtzig Jahre, und wenn's köstlich gewesen ist,

so ist es Mühe und Arbeit gewesen.

Denn es fährt schnell dahin, als flögen wir davon.

Wer glaubt aber, dass du so sehr zürnest,

und fürchtet sich vor solchem deinem Grimm?

Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen,

auf dass wir klug werden.

Herr, kehre dich doch wieder zu uns und sei deinen Knechten gnädig!

Fülle uns frühe mit deiner Gnad,

so wollen wir rühmen und fröhlich sein unser Leben lang.

Erfreue uns wieder, nachdem du uns so lange plagest,

nachdem wir so lange Unglück leiden.

Zeige deinen Knechten deine Werke und deine Ehre ihren Kindern.

Und der Herr unser Gott sei uns freundlich

Und fördere das Werk unserer Hände bei uns.

Ja, das Werk unserer Hände wolle er fördern. (90. Psalm)

Vater unser, der du bist im Himmel!

Geheiligt werde dein Name!

Dein Reich komme!

Dein Wille geschehe wie im Himmel, also auch auf Erden!

Unser täglich Brot gib uns heute!

Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern!

Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel,

Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.

Amen

 

 

Luftpostleichtbrief beider Eltern 29. 12. 76

Mutter:

Liebe Ba, lieber Rolf, liebe Kinder !

Zum Jahresschluss sende ich Euch sehr herzliche Grüsse. Bleibt alle gesund und erfolgreich. In den freien Tagen habt Ihr wohl neue Kraft für die Anforderungen von "77" geschöpft. Hoffentlich war es bei Illa [Forrest] gut gelungen. Und eine Beruhigung auch für Euch, dass Anneliese und Peter [bei ihrer Mutter] gut aufgehoben sind. Wir sprachen telephonisch 2 Mal [mit ihnen]. Am Heiligen Abend holte sie [und] die Mutter der Schwager [Annelieses ab]. Dort war der Trubel das rechte, und Peter ging ganz im Spiel mit den Nachbarjungen auf. So werden wir sie wohl erst vor ihrem Heimflug sehen, zumal [bei den] grossen Schneefällen bei -10 bis -5 [Grad C] ein Fahren mit Oma Geibels Auto nicht möglich sein wird. - So waren wir 2 ganz still für uns. Hatten aber Freude, dass viele unserer Nachbarn sehr lieb zu uns waren. Und von unseren früheren Bekannten kam rührende Post. - Am Heiligen Abend packte ich als erstes Annelieses neuen Kalender aus, da lag ein Glückwunsch von Gerhard drin, gewiss ein letztes Schriftstück. Da habe ich erstmal sehr geheult. - Danach kam Eure Sendung dran. Du Rolf hast so originell den Druck vom "Johannes"[Prodromos] als Wunschblatt gewählt und der Cornelius hat sich so produktiv erwiesen. Den Bilderrahmen hat er wohl selber gemacht (was ich ebenso bewundere wie das Bild des Koala! Ich hing es vorhin in die Gaststube. Vaters Münzen-[Brief-] Beschwerer steht auf seinem Schreibtisch. Und Ba hat sich so exakt an Lederarbeit gewagt. Euer persisches Buch haben wir bisher nur angesehen; das kommt später noch mal dran. - Für meine Bilder zu Neujahr wünsche ich mir noch Ergänzung. Zu Cornelius soll Peter neu [hinzu-] kommen und von Susanne habe ich nur ein uraltes Bild. Und Ihr beiden Eltern solltet auch einmal recht hübsch von der Wand zu mir gucken!! Lebt wohl! Wir denken oft an Euch. Eure Mutti

Vater:

Ihr Lieben !

Den Dankesworten der Oma kann ich mich nur anschliessen, ebenso ihren Bilderwünschen. Sind die Münzen [in dem Briefbeschwerer] im Giessharz echt? Der Koala sieht gerade aus wie der in C's Tasche. Ich gewöhne mich allmählich an eine grosse Zahnprothese. Zwei zoll-lange Brücken wurden entfernt (nur Gold-Platinum-Legierung). Will Rolf sie zu Anhängern umbauen? Frau Ruff [Christines alte Beschützerin in Istanbul] fährt alle Jahre zu den Derwisch [Tänzen] nach Konya. Ich habe sie um Literatur gebeten.

Alles Gute für 1977! Vater.

 

 

 

Brief meiner Mutter 15. 1. 77

Meine liebe Ba, lieber Rolf !

Es ist gut, dass heut der Brief von Ba kam, ich hatte mir vorgenommen, einen Bericht über Annelieses und Peters Besuch zu senden.

Es war gut, dass beide erste einen Abstand bei Geibels und Deissners machten.. Dort hatte Anneliese durch die 3 Kleinen Zerstreuung, fand die Gegend im Forstbereich schön - leider ohne Schnee. Und Peter war bei den 2 Nachbarjungen ganz fröhlich beschäftigt. Er hat seine Familie kaum beachtet. - Ich bin erschüttert, wie Annelieses Haltung dann bei uns war. Sie ist ja so tapfer. - Peter hat uns Freude gemacht. Äusserlich ist er ein grosser, schlanker Bub geworden und recht hübsch. In reizender Besorgnis war er um seine Mutter. Beide liefen vergnügt sich jagend durch den Wald. Und freuten sich an allerlei Kleinigkeiten. - An dem letzten Bildband über Gerhard hat Anneliese alle Stadien des letzten, so schweren Jahres mir aufgerollt. Sie berichtete so ausführlich. Ja, was hat sie geleistet. Und noch lebte sie in Erinnerung ganz in dieser Fürsorge. - Ich glaube Schweres wird über sie kommen, wenn sie wieder zu Hause ist, wenn sie dort nicht mehr Gerhard umsorgt und ihn überall vermisst. - So ist es ein Segen, dass ihre Mutter nun mit nach Palos Verdes kommen wird. Neue Woche denkt sie in Wetzlar den Flug festzulegen. -

Wir sind dankbar, dass wir von den letzten so entsetzlich schweren Tagen von Gerhard genaues wissen. Er ist umsorgt worden, wie es nur möglich war. Der Gedanke, dass alle Qual nun überwunden ist, soll uns ruhig machen. - Und ich glaube sicher, dass diese tüchtige Frau ihr und des Jungen Leben meistern wird. Z.Zt. will sie mit der Seminar Genossin, die bei Max-Planck angestellt geblieben ist, die Arbeitslage ergründen, sie kommt übers Wochenende zur Mutter. - Mir macht dabei Sorge, dass Anneliese viel Rückenschmerzen hat. Hier zu einem Arzt zu gehen, war die Zeit zu kurz. Das viele Bücken und Heben kann der Grund sein. Vielleicht achtet Ihr zwei darauf, dass sie sich mal zu Hause untersuchen lässt. Man sagt ja, dass Krebs nicht übertragbar ist. - Dieter hat lange mit ihr telephoniert. Vater eingehend alles besprochen. Und wir zwei haben uns lieb gehabt und zusammen ein bissel geheult. - Ich bin dankbar, dass ich die beiden bei mir hatte. Peter war auch so zutraulich.

Von Susanne kam das hübsche Nadelkissen. Schönen Dank. - Auf die Bilder freue ich mich schon. Ich will meine Serie in der Schlafstube auf neuesten Stand bringen. Warte auch auf Bilder von Hong Kong und Berlin. - Ihr hattet schöne Tage bei Forrests. Und zuvor einen schönen Weihnachtstag daheim. Schön, dass Heike sich so ganz in die Familie eingliedert. Anneliese hat davon auch berichtet. -

Wir hatten 1 Tag Schnee. Nun nur Regen. Da bleiben wir gemütlich im Zimmer. Hatten noch den Christbaum stehen und noch echte Wachskerzen drauf.

Sei lieb gegrüsst von Eurer Omi.

[Zusatz meines Vaters.]

Lieber Rolf !

Wegen der Sufi hatte ich an Dr. Ruff geschrieben und erhielt beiliegende Antwort [abhanden gekommen] Frau Ruff besuchte mehrmals die Tanzenden Derwische in Konya-Ikonium. Hast Du ausser dem Georgienbuch den "Weizsäcker" bekommen? Gingen am 15. 11 ab. Auf Annelieses Wunsch lege ich eine Trauerkarte bei.

Liebe Susanne ! Deine Bilder sind zwar noch nicht da, aber ich freue mich schon jetzt drauf. Hoffentlich ist auch ein 10 x 15 Porträt von dir mit kurzen Haaren dabei. Schön, dass die Bezüge gefallen.

Lieber Cornelius ! Ich danke Dir sehr für den langen Brief vom 6. 1. Da Du von Deinem Taschengeld so viel in den Briefbeschwerer eingebaut hast (er liegt immer auf meinem Schreibtisch), schicke ich Dir heute einen 10 DM-Schein zum Ausgleich. Du musst ihn auf Eurer Bank einwechseln.

Euch allen vier herzliche Grüsse

Grossvater G,

 

 

Luftpostleichtbrief meines Vaters 14. 2. 77

Liebe Barbara !

Für Deinen Brief vom 2. 2. 77 danken wir Dir herzlich. Wir dachten schon daran, bei Anneliese anzurufen, weil sie sich nicht zurück meldete. Sage ihr und den ihrigen schöne Grüsse. Ich bedaure nur, ihr auf dem Flughafen kein Sträusschen Schneeglöckchen mitgegeben zu haben. Im Garten fing die Blüte damals an. Ich hatte es vor, aber als wir zur Bahn mussten, hab ich's vergessen. Jetzt blühen sie schon überall, ebenso die gelben Winterlinge. Bald auch Forsythien. Heute (14.) war nach leichtem Nachtfrost ein sonniger Frühlingstag, und darum Waschtag. Die Wildkrokusse fangen an zu blühen im Rasen, und meine Goldfische sind aufgetaucht und stehen um Futter an.

Heute ist Käthe wieder mal zum "Schlankheitsseminar" der Volkshochschule und Krankenkasse im Rathaus. Diesmal gibt's Koch- und Ess-Proben. In 2 Stunde will ich sie abholen. Sie hat schon mehrere kg abgenommen, aber der Oberbauch will nicht weichen. Ich glaube auch nicht daran.

Nebenbei liest sie den Simplicissimus. Du solltest ihn auch mal lesen. Meines Wissens habe ich das Buch mal an Rolf geschickt.

Nun sammle ich wieder Bücher zum Verschenken. Für Rolf habe ich heute 2 kleine Arbeiten über Meditation und dergleichen bekommen. Lesen kann ich sie nicht, wegen Zeitmangels. Käthe hat im Ausverkauf Wäsche für die Enkelkinder und Eltern erstanden. Ich bitte sehr mir geeignete Wünsche von Dir, Anneliese, Susanne, Peter und Cornelius mitzuteilen !! Wenn ihr mal wieder nach hier kommt, sollten wir doch einmal zusammen nach Mainz - Worms - Speyer fahren, aber jeweils ganztägig.

Susanne hat uns so einen lieben Brief mit Bildern geschickt (konnte sie Anneliese auf dem Flughafen zeigen), dass ich ihr zunächst einmal herzlich danken möchte.

Ich muss noch mal an Lotte v. Holleben schreiben. Sie schickte uns 3 lange Briefe aus Guatemala. Käthe erzählte mir, dass L. v. H. unsere Anneliese für ihren Sohn haben möchte, also als Schwiegertochter. Sie gefiel ihr ausnehmend. Der Mann gefällt mir recht gut, verdient auch gut, hat A.'s Grösse und Alter. Warum nicht, aber wie sollen sie zusammenkommen?

Inzwischen Euch allen herzliche Grüsse ! Und denk an Eure Wünsche, je eher desto besser!

In alter Verbundenheit U. Gross

 

Brief meiner Mutter 1. 3. 77

Meine liebe Ba !

Vater schreibt seit gestern an Rolf. Ich bin beglückt, dass der Briefwechsel mit dem Sohn so viel Anregung für Vater bringt. Und die Aussicht ihn hier wieder zu sprechen, beglückt uns beide. Ich möchte noch manches von dem Austausch der beiden Brüder in der letzten Zeit erfahren. Es ist mir doch noch recht einsam in der Erinnerung an Gerhard. - Anneliese hat rührend an Hand ihrer vielen Photos vom letzten Jahr das Geschehen [vor] uns abrollen lassen. Sie war auch da bewundernd gefasst dabei. Und so war unser Zusammensein eine gute Zeit für beide. - Der Abschied auf dem Flughafen ging natürlich etwas hektisch von statten. Erschrocken waren wir über Mutter Geibels Zustand, wie mag ihr nun Calfornia bekommen? Wir haben uns gerade ausgerechnet, wann wir morgen mal in Palos Verdes anrufen. Früh um sieben Uhr bei uns, ist's bei Euch 10 Uhr abends. Da werden wir sie wochentags wohl erreichen. - Ich möchte so viel wissen, was Du mir am besten demnächst schreibst. Aus Deinem Brief an Vater lese ich, dass Anneliese auch zu Euren Freunden mitgekommen ist - und all den Nachkram greift sie tapfer an. - Braucht sie geldlich eine Unterstützung? Das fragte mich Dieters auch. Hat sie eine bestimmte Pensions Zahlung für sich, für Peter? - Wie richtet sich Peter in der Schule ein? Mutter Geibel war ganz erschrocken, dass er in der langen Zeit bei ihr und Brigitte [Deissner] sich strickt weigerte, ein Schulbuch anzurühren. (Er hatte aber seine Schultasche voll Bücher auch bei uns mit.) Leider leidet Anneliese an diesem Verhalten des Sohnes und hat keinen Einfluss auf ihn. Ich beschimpfe mich, dass eine Unterredung mit dem Jungen so lasch verlief, da hätte ich halt auch mehr Energie aufwenden sollen. - Aber Vater und ich hatten Freude an dem Jungen bis auf dieses leidige Thema. - Ja, so sind die Enkel verschieden!

Es freut mich, dass Susanne viel Begeisterung und Talent für ihre graphischen Studien und nun auch für München, [für eine Weile hoffte Barbara, Susanne in einer Photoschule in M. unterbringen zu können.] eine Aussicht diese weiter zu führen, hat. Das wird ihr den Einstieg in die hiesige Welt erleichtern. Uns freuen immer ihre aufgeschlossenen, fröhlichen Briefe nach Deutschland. Das ist doch eine Leistung, die wir an den der anderen englisch sprechenden Enkelkindern vergleichen können. - Was hat sie mit ihren Stimmbändern? Das ist eine schwere Aufgabe, darauf einzuwirken. Schreibe mal genaueres darüber. - Eure [ich war in der USSR] [6-wöchentliche Camping-!] Reise zu Viert (also mit Heike!) nach Canada finde ich fabelhaft. Ein schöner Abschluss für die beiden Freundinnen.

Rolfs Begeisterung für seine Reise nach Russland kann ich mir so vorstellen. Es mögen alle Pläne Wirklichkeit werden.

Gestern berichtete mir Evelyn am Telephon, Dieter sei wiedermal nach Frankreich abgereist zu einer Tagung im Süden und nach Grenoble. Dieter hat eine ständige Unruhe überall Anregungen mitzunehmen. Gesundheitlich scheint er das zu verkraften. Seine Ärzten sei bei der letzten grossen Überprüfung zufrieden gewesen. Evelyn wirkt noch immer am Haus. Sie hat Weihnachten aus dem Nachlass einer alten Tante Sachen (Wäsche, Geschirr und Möbel) geerbt, die sie ja im grossen Haus gut brauchen kann. - Augenblicklich versucht sie Nele im August in die Schule zu bringen. Den Test hat sie bestanden, aber die Ärztin findet sie zu klein und schmächtig. - Der Malte ist einer Bastelgruppe für Elektronik beigetreten, die ein Student führt.

Ich habe mein Schlankheitsseminar vorzeitig beendet. - Das war zu blöde! Aber meine Zunahme vom Schiff und Weihnachten sind wieder runter. Meine patente Hilfsfrau hat alle Kleider enger abgesteckt.

Mit Vati gehe ich täglich spazieren. Er wird jetzt sichtlich alt. Schlecht hören wir nun beide!

Udo und Ernst waren beide zu [Vaters] Geburtstagsfeier einen ganzen Tag bei uns. Freunde kamen gratulieren. Unser Fenster steht voller Frühlingsblumen. Im Garten ruht noch alles.

Seid alle lieb gegrüsst.

Deine Mutti

 

 

Undatierter Brief meines Vaters [aus demselben Umschlag: 1. 3. 77]

Lieber Rolf !

Dein Brief vom 11. 1. Berührte bei mir wieder einmal verwandte Saiten. Wenn ich auch von Mystikern aller Fakultäten und insbesondere den Sufis nicht viel Ahnung habe. Dagegen ist infolge der hiesigen "Gespräche über die Bibel" meine Achtung vor dem Alten Testament und seinen Verfassern einigermassen gestiegen. Nur darf man nicht vergessen, dass sie im babilonischen Exil schrieben. Das entspricht nur sehr von weitem den nach 1945 nach Sibirien deportierten Deutschen. Ich meinen nicht die Kriegsgefangenen, sondern die Siebenbürger, Wolgadeutschen, Ostpreussen u.s.w. - Dass die italienische Renaissance wenigstens zum Teil auf die Einfuhr griechischer Texte durch Flüchtlinge aus Konstantinopel (wo sie im 15. Jahrhundert kaum in der öffentlichen Anerkennung standen) zurück zu führen sei, ist eine alte Lehrmeinung. Allerdings waren die politischen Zustände in der italienischen Renaissance ebenso schauderhaft wie im klassischen Griechenland. Ich lese z.Zt. ein Buch über die neuen Ausgrabungen in Attika, Syrien und anderswo. Die Philhellenen vor 150 Jahren waren doch recht ahnungslose Bürger. Aber sie wollten die gebildete deutsche Jugend zu "klassischen" Demokraten erziehen. Bismarck wurde in seiner Schulzeit im Grauen Kloster zu Berlin zum "Republikaner" (im altrömischen Sinne) erzogen, wie er selber berichtet. - Was die arabischen Übersetzungen griechischer Texte anbelangt, so glaube ich mich zu erinnern, dass sie erst nach dem Fall Konstantinopels auf Befehl der durchaus gebildeten Kalifen angefertigt wurden. Im übrigen lagen klassisch-römische [spät-lateinische!] Texte in den Klöstern Fulda und Hersfeld bei den Benediktinern. Im späten Mittelalter waren sie m.W. vergessen.

Die Bilderstürmer, Wiedertäufer und ähnliche kleine Geister (Thomas Münzer, Knipperdolling), aber nicht William Penn oder der alte Bodelschwingh, gehörten stets zum Bodensatz der Gesellschaft, zum Proletariat [??], nie zur Führungsschicht [???]. Die ersten Christen ausser dem römischen Bürger Paulus sind auch nicht weit ab. So erklärt sich manches im Neuen Testament.

Heute herrscht wohl die Ansicht vor, dass z.Zt. der Kreuzzüge die "Türken" den Europäern kulturell überlegen waren, wenigstens in der Oberschicht. Die türkischen Heere das 15. - 17. Jahrhundert bestanden aus Sklaven des Sultans, meist europäischer Herkunft. Die Sultane (damals noch Kalifen) hatten wenig arabisches oder türkisches Blut, denn in ihren Harems fanden sich (überwiegend?) tscherkessische, griechische, armenische und selbst nordeuropäische, gekaufte Frauen. Versteht sich, dass jeder neue Sultan erstmal die konkurrierenden Halbbrüder mit Gift und Strang ausrotten musste [eine altaische Sitte!] Ähnlich in der italienischen Renaissance.

Schreib mir mal Näheres über den Sufismus!

Ich habe immer wieder den Eindruck, dass die Kulturblüte im Südosten bzw., Spanien vor 1400 eben nicht von den Arabern, Türken oder Berbern getragen wurde, sondern gerade von dem Unterworfenen und Verschleppten, also Juden und afrikanischen Römern, kurz Hellenisten. Die Züge Alexanders müssen auch die Welt befruchtet haben, im Guten wie im Bösen, natürlich auch im wörtlichen Sinne, und zwar besonders in den jeweiligen Führungsschichten.

Es ist schade, dass Dir Weizsäcker nichts gibt [ein Vorurteil meinerseits. Ich hörte seine Vorlesungen in Göttingen und war von seinen allgmeinen Ansichten nicht angetan]. Er sollte ja mal Bundespräsident werde [nicht C.F. der Physiker, sein Onkel?]. Ich selber habe das Buch nur zum Teil gelesen. Die "Sprache" der Physik geht mir nicht ein. - Als "Mitarbeiter" des hiesigen Pfarramts erhielt ich eine Schrift: "Ich frage nach dem Sinn des Lebens" von dem bekannten Sozialisten, Prof. Gollwitzer (Berlin), dem Freund Rudi Duschkes. Er sieht den Sinn des Lebens nicht im Leben selbst, sondern im Sozialismus, gibt aber zu, dass der praktische Sozialismus, selbst der angebliche frühchristliche Kommunismus (der ebenso wenig wie die Kirche selbst nicht von Christus begründet wurde) "noch" nicht das Reich Gottes auf Erden sei. Ich habe das Heft an Dieter geschickt, der übrigens eine Woche in Grenoble ist. - Dieters schenkten mir das Buch "Koexistenz" von Heer. Da ich es hier nicht bekommen konnte, hat es Evelyn auf meine Bitte an Dich geschickt. Es wird Dich hoffentlich mehr befriedigen. Besonders die Sprache. Wenn Heer auch mehr die Aufklärung lobt als die Mystik. Er ist österreichischer Katholik und meint nicht politische, sondern religiös-weltanschauliche Koexistenz. Manche seiner Sätze, besonders im Schlusskapitel finde ich ganz ausgezeichnet. Unser Dekan hält Heer für einen hochstehenden Verfechter der Ökumene (von der ich wenig begeistert bin), aber Weizsäcker für überaltert in jeder Beziehung.

Ich will dieses Durcheinander schliessen mit den herzlichsten Grüssen an Dich und Deine ganze Familie einschliesslich Frl. Heikes, die ich ja nun wenigstens im Bilde gesehen habe. Ich hoffe doch sehr, dass Du im Sommer die Gelegenheit einer Zwischenlandung in Frankfurt benutzt, um Deine alten Eltern noch einmal zu besuchen. Gestern sprach Mutter wieder einmal ausführlich über Telefon mit Evelyn in Berlin. Morgen früh wollen wir Anneliese anrufen. Meine Arbeit steckt immer noch in den Kinderschuhen.

      Vater

       

Brief meines Vaters 28. 4. 77

Lieber Rolf !

Dein Brief vom 21. 4. war uns eine freudige Überraschung, nicht so sehr wegen der amerikanischen Derwische (nächstes mal werden sie wohl "heulen" und später vielleicht Kriegstanzen á la Khartum) [warum nur diese unnötige Bemerkung?], als wegen Deiner Reisepläne [nach meiner Rückkehr aus der UdSSR, mit den Eltern 10 Tage auf der Seiser Alm zu verbringen]. Ich bin sofort zu meinem Reisebüro gegangen und habe für Dich gebucht (und von Scharnow telephonisch bestätigt erhalten) : Am Sonntag, den 31. Juli, etwa um Mitternacht in München (Genaues bekomme ich erst Anfang Juli. Hast Du in München eine Anschrift? Wenn nicht, wohin schreiben?) ab mit Liegewagen-Sonderzug im vermutlich gleichen Abteil mit uns, aber oben. Ankunft in Bozen etwa 10:00 Uhr. Weiter mit Bus nach Seis am Schlern. Dort im Hotel Diana Einzelzimmer (für Dich) mit Dusche und WC, Halbpension. Rückreise nach München mit gleichem Sonderzug am 8. August. Wir reisen am gleichen Tag von Bozen nach Marling bei Meran für 14 Tage (22. August). Vom 27. 7. - 31. 8. sind die Hogans bei uns. Sie sind wie üblich in Mölln-Oberösterreich. Deine Kosten für die Woche in Seis einschliesslich der Fahrt werden rund 450 DM betragen, die ich auslegen werde. Dazu kommt täglich ein Mittagessen, Busfahrten nach der Seiser Alm (wo mein Vater vor 65 Jahren so gerne war) und über die Dolomitenstrasse vielleicht auch mal nach Bozen, rund gerechnet 300 DM. Richtig wandern könne wir nicht mehr, höchsten 2-3 Stunden täglich. Du kannst aber von Seis aus den Schlern oder die Drei Zinnen besteigen. Wir freuen uns jedenfalls sehr auf Dich und Deine Fotos. - Was für Geburtstagsgeschenke schlägst Du für Dich und Cornelius vor?

Den Zeitungsausschnitt über Rezsö Lantos gib bitte an Prof. Lengyel und die Geburtstagskarte an Susanne. Grüsse herzlich Barbara und Cornelius und sei selbst vielmals gegrüsst von

Deinem Vater.

Mutter schreibt an den Rand;

Die Lösung mit Seis am Schlern ist wunderbar. Also sieh, dass Du in München am 31. 7. in unseren Zug steigst. Erfrage dort, wo der Extrazug von "Scharnow" hält. Ja, wohin können wir Dir noch nähere Informationen zukommen lassen, die wir jetzt noch nicht haben? - So hat die Mutti wirklich Ferien mit ihrem grossen Sohn, ohne zu kochen! - Dieter ist z.Zt. auf einer Tagung in Washington, und er wird Dich anrufen. Grüsse besonders Barbara!

Herzlich Mutti

 

Brief meiner Mutter 4. 5. 77

Liebe Ba, lieber Rolf !

Zum Geburtstag von eurer Susanne sende ich Euch gute Wünsche. In der Zeit wird sie mit ihrem Schuljahr fertig. Dann kommt für Euch die Loslösung aus dem Elternhau. Das ist besonders für die Mutter ein schwerer Einschnitt. Wie mag sich ein weiterer Werdegang gestalten? Bleibt sie in den Staaten? Schreibt mir darüber.

Unterdessen hat Rolf nun erfahren, wie wir Ferien im August mit ihm planen. Wir wollen die erste Augustwoche in Seis am Schlern nordöstlich von Bozen zubringen. Und Ulrich hat bei Scharnow einen Platz für Rolf mit Bahnfahrt ab München, wo er in den Sonderzug einsteigt, in dem wir ab Frankfurt sitzen. Das wäre am 31. 7 nachts zum 1. 8.. Die Zeiten wissen wir noch nicht! Wohin kann man Rolf eine Nachricht geben? Die Karten würden wir ihm dann im Zug übergeben. Hoffentlich klappt das. Nun Schreibe ich die Kosten, die Rolf haben wird, Denn Vater wird die schwer aufkommen [können], deswegen weiter unten!

[Anmerkung von Vater:] Im vorigen Brief habe ich rund 500 DM Kosten aufgezählt. Ich werde sie auslegen, kann aber nicht schenken. Ich habe vorsorglich Sparbücher gekündigt, die z.T. erst nächstes Jahr zur Auszahlung kommen (Zinsverlust). Im Notfall müssen wir uns auf dem Bahnsteig in München suchen.

[Mutter schreibt weiter] Ich bin glücklich über die Lösung. 1.) bin ich von aller Versorgung frei. 2.) Hat Vater, der freilich beschränkt laufen wird, einen Wanderkameraden. Ich falle für weite Touren aus.

[Zwischenbemerkung meines Vaters] Lauftouren weniger, aber Busfahrten. Italienisches Geld bringe ich mit. Wir werden Rolf in Bozen zum Zug nach München bringen.

[Mutter setzt fort] Wir werden am 8. 8. dann nach Marling übersiedeln und dort noch einmal 14 Tage bleiben. So sind wir wieder zu Hause, wenn Tine aus Österreich vom Bauernhof der Mirl Priller [alte Freundin meines Vaters aus der Nazi-Zeit!] zu uns kommen will. Wir sind z.Zt. etwas skeptisch, wie wir das geldlich schaffen, denn es kommt eine grosse Ausgabe neu auf uns zu. - Unsere Heizung ist kaputt. Der Heizkessel ist an mehreren Stellen rostig. Zunächst haben wir diese mit Radifix zugestrichen. Aber das hält nur begrenzt. Da die "Quelle" [die das billige Fertighaus erstellte] keinen Ersatz für den Kessel liefert, muss eine ganz neue Heizanlage geschaffen werden. Der alte Kessel kommt raus. An seine Stelle wird ein Schornstein hochgezogen. Ein neuer Kessel muss in den Keller gesetzt werden. Der Ölbrenner kann verwendet werden. Wir haben schon mit den Handwerkern verhandelt, und warten auf Angebote. Es muss ja auch wärmer werden, weil wir auf längere Zeit auf Heizung und warmes Wasser [werden verzichten] müssen. Jedenfalls rechnen wir die Kosten auf 6000 bis 8000 DM. - Aber es ist gut, dass wir die Ferienwochen geplant hatten, denn Ulrich hat diese sehr nötig.

Die Frostzeit im April hat den Obstbäumen, ebenso Rosen, Wilder Wein, sehr geschadet. Die Kirschen und Mirabellen sind erfroren und auch der Apfel hat gelitten. Schade, die Hogankinder haben sich schon auf das Ernten gefreut. - Ich bin nicht traurig, wenn ich nicht so viel haltbar machen muss.

Wir hatten Ostern den Malte für 14 Tage hier. Der kleine Kerl ist anschmiegsam. Seine Mutter tut wohl nicht hübsch mit ihm und der Vater bevorzugt Nele! - Der Udo kommt öfter her, er sucht jetzt eine Wohnung im Taunus. Am 24. 4. Waren wir mit ihm auf einer 2-Tage Fahrt mit dem Geschichtsverein im Taubertal. Haben die Riemenschneider Gruppe in Creglingen wieder gesehen und eine Grünewald Madonna in Stuppach. Oh, was waren die lohnend. - Auf einige Tage kommt Käthe Schmidt zu uns. Sie will in ihrer Maidenschule ein Wiedersehen feiern. [Einschub von Vater:] (Wöltingerrode im Harz) im Sommer wird sie in Itzehoe bei Eberhard die Kinder hüten. E.. ist dort Vertreter der Höchster Farbwerke.

An alle Grüsse von der Omi.

 

Aerogramm als Normalbrief mit Briefen beider Eltern

Eingelegter Brief meines Vaters 26. 12. 77

Liebe Barbara - Rolf - Susanne - und Cornelius !

Aus allerlei Gründen schreibe ich Euch heute schon, obwohl Mutter diesen Vorgriff auf freie Lesezeit beklagt. Da sind erstens Eure schönen, liebevollen Briefe. Barbara hoffte auf einen langen Weihnachtsbrief! Nun so was bringe ich heute auch nicht fertig, - leider. Rolfs Befürchtung vom Verhör teile ich gar nicht. Ich denke oft an Vergangenes. Aber davon sprechen - höchstens nachts unter vier Augen auf zweisamer Wanderung. Aber das kommt nicht mehr. Es ist auch für uns eine Enttäuschung, Bela und Birgit nicht zu treffen. Hoffen wir auf ein allerseits gesundes Treffen in Gelnhausen. Sag ihnen das! Ich wälze schon grosse Pläne, was ich den beiden zeigen möchte. Sie sollten sich ruhig eine Woche für diesen Besuch vorbehalten. Eine Einschiebung: Frau Gewecke und der Verein "Männertreu" [Wandervogelgruppe in Hannover] planen eine Buswoche im Raum Fulda-Gelnhausen-Ronneburg. Ich werde den Geschichtsverein für Organisation und Führung einschalten. Vielleicht kommt's zu einem Gegenbesuch in Hildesheim-Braunschweig einschliesslich geplantem Atomkraftwerk.

Wieder zu Bela: Dr. Ruff [in Istanbul, die Lengyels planten eine Reise nach Istanbul, Isfahan und Ost-Pakistan] arbeitet nicht mehr, weil er durch Star fast blind ist. Aber sie wirkt noch, aber nicht mehr in Karaköy (an Staatspost verkauft) sondern in Taxim. Lengyels müssen für Istanbul-Bursa-Bosphorus auch mindestens eine Woche haben. Meines Erachtens ist Bursa wichtiger als alle Istanbuler Moscheen zusammen einschliesslich alter Stadtmauer. Aber Serail und Antikenmuseum stehen vor Bursa. Ich möchte empfehlen, dass L.'s nicht bei Ruffs wohnen, [sondern] im Hilton oder ähnlich. Auch kleinere Häuser sollen gut sein.

Dann möchte ich Susanne für ihren kunstvollen und komplizierten Siebdruck und Cornelius für den langen und vielseitigen Brief sehr herzlich danken. Siebdrucke gibt's hier auch, aber die Technik ist mir unklar. Wie schön, dass Cornelius nun noch Klarinette lernt. Vielleicht tut er es auch noch mal meinem 4xUrgrossvater nach, der in seiner württembergischen Haus- und Hofkapelle Cello und Fagott spielte, malte u.s.w. (Sohn des Stabstrompeters)

Am Heiligen Abend bekam ich endlich die bei Quelle bestellten Bilder von Tines Jackett samt dazu passendem Kleid (hier privat geschneidert). Barbara weiss davon. Aber an den Weihnachtstagen trug Mutter ein dunkelblaues Kleid mit Cornelius' Kette! [Goldkettchen, das er selber gemacht hatte]. Sagt es ihm!

Ich schenkte "uns" ein antiquarisches Buch von Boguslav v. Achenholz; Bürger und Patrizier im deutschen Osten. Siehe da, der Verfasser beginnt mit Berlin und gibt im Anhang eine Stammtafel der v. Blankenfelde. Das sind Barbaras Ahnen. Sie sind mehrfach mit den Wins versippt, die Rolfs Ahnen sind (15. Jahrhundert). Die Breslauer v. Rehdiger (gleiches Buch) haben auch Verbindung mit den Wins. - Ein anderer Lattmann Ahne Fricke Twedorp, Ratsherr zu Braunschweig, war wie Oswald v. Wolkenstein Teilnehmer am Konzil von Konstanz, aber auf Seiten des Papstes Johann. Lies im "Ich Wolkenstein" nach! (Friedrich von Hohenzollern nach Berlin, Huss verbrannt.) Aber unsere Thilos gehen noch 200 Jahre weiter zurück, und das in Schlesien.

Zum Schluss möchte ich bemerken, dass wir am 7. Februar zu Euch fliegen sollen. Die Flugzeiten sind noch nicht bekannt und der Flug noch nicht bezahlt, aber vorgesehen. Ausserdem habe ich für 500 DM Dollars zu 2.29 DM gekauft, womit ich mich etwas rühmen kann. Seht mal zu, ob eine Fahrt zu den Seelöwen Inseln möglich ist.

Inzwischen Euch allen herzliche Grüsse Vater

 

 

 

 

Anschliessend Mutters Brief undatiert

Ihr Lieben !

Zum Jahreswechsel meine sehr herzlichen Wünsche. Bald ist es so weit, dass wir uns sehen. Das ist jetzt schon der Plan in unserem Tun. Und ich glaube, Vater freut sich genau so. - Habt schönen Dank für alle Weihnachts Sendungen. Oh! Alle habt Ihr geschrieben. Ihr 2 Enkelkinder seid die einzigen, die das taten! - Wir haben sehr erholsame Tage gehabt. Und da das Wetter so regnerisch war meistens gelesen und sind nur am 1. Feiertag zu einem längeren Spaziergang fort gewesen. Ich hatte den sehr dicken Roman von der Australierin McCullough "Die Dornenvögel", der mich so fesselte. Und Vati hat auch mal seine Kirchenakten liegen gelassen. Da wir von den Felmbergs einen ganz guten Stollen bekamen (er reicht noch bis Neujahr) habe ich nicht mal gebacken. Aber Neu Jahr gibt es einen Karpfen! So war ich bis heut zu faul zu schreiben. - Eben habe ich an Evelyn einen Brandbrief verfasst. Sie soll sich hier im Vogelsberg in einer sehr berühmten Klinik die Krampfadern operieren lassen. Die Familie könnte in der Zeit bei uns in den grossen Schulferien bleiben. Ich sprach Dieter am Telefon. Ja, es geht ihm weiter schlecht. Er hat mit den Füssen Beschwerden. Mein Gott, die müssten sich endlich ein Auto zulegen. Und es ist so nötig, dass Evelyn fit bleibt, auf ihr lastet ja so viel. - Es ist wahnsinnig, dass sie sich so gegen uns abkapseln und sich nie helfen lassen.

Seid sehr lieb gegrüsst von Eurer Mutti und Omi

 

Brief meiner Mutter 15. 3. 78

Liebü Ba, lieber Rolf !

Es tut mir leid, dass Ihr auch in Aufregung über unseren Heimflug gebracht worden seid. Ernst hat alles veranlasst. Er hat die Zeitverschiebung nicht beachtet und wohl einen Tag zu früh unsere Rückkehr in seinem Kalender eingetragen. Wir hatten ihm mit Willen keine Ankunftszeit mitgeteilt, um ihn nicht wieder auf den Flugplatz zu beordern, wo er im vergangenen Jahr eine falschen Koffer ergriffen hatte. - Kurz er rief überall an - bei Kienzler, im Flughafen, bei Dieter usw. - Wir waren erst gegen 22 Uhr zu Hause gelandet, riefen bei Ernst nicht an, weil er dann schon schläft - Kurz - uns ging es normal. Der Flug htte 1 Std. Verspätung. War aber auf dem freien Sitz (dank Bas Eingreifen und der Platz Verteilung in L.A.) gut zu ertragen. Die Verpflegung war schlecht! Schliesslich dauerte die Kofferabfertigung 2 Std. Dann fand mich Vater nicht, als er die Fahrkarten lösen ging, und ich mit der Kofferkarre sitzen blieb. So waren wir einigermassen gerädert und schliefen 13 Std. (mit Valium) durch. Am nächsten Mittag läutete es von allen Seiten, wo wir geblieben sind. So gab ich bald Ba durchs Telefon ein Lebenszeichen. - Hier im Haus war alles in Ordnung, nur einige Blumen, die dicht am Fenster standen, waren erfroren (es hatte -10 Grad gegeben). Jetzt habe ich alle Wäsche erledigt, Sonntag alle Telefon Gespräche getätigt. Lilo war sehr erfreut über Eure Grüsse. Sie lernen beide mit Schallplatten fleissig "Amerikanisch" und freuen sich sehr auf den Besuch bei Euch. Das Tablett will sie netterweise in Hamburg auf meine Rechnung kaufen. - Mit Mutter Geibel sprach ich. Sie möchte gern, wenn Lengyels her kommen, bei uns sein. Sie hat sich wohl mit Birgit [Lenyel] gut verstanden. Der Schwiegersohn [Deissner] hat eine Versetzung nach Bonn in Aussicht [aus der nichts wurde].. - Schliesslich fand ich eine Todesanzeige von Mutter Dziony [Mutters Putz- und Waschfrau und Freundin in Kreuzriehe]. Sie hatte schon in ihrer Weihnachtspost von ihrem schweren Kranksein geschrieben. Es war wohl Krebs. Sie war uns in den schweren Zeiten ein treuer Freund.

Vor allem muss ich von dem Anruf bei Evelyn berichten. Ich habe beinah 1 Std. mit ihr gesprochen. Frau Dr. Falk [Dieters Ärztin] ist z.Zt. im Urlaub. Evelyn hat mit [bei] ihrem Oberarzt genaue Informationen eingezogen. Sie [Evelyn] meint Fr. Falk sei nicht überzeugt, dass ein Kuraufenthalt [für Dieter] was nützen würde, und Dieter glaubt nicht daran. (So wird wohl daraus nichts!) Evelyn meint, eine Krankenhaus Behandlung sei wohl mal nötig, denn die inneren Organe seien nicht in Ordnung (welche wusste sie nicht). Das Blutbild, die Senkung sein schlecht. Fr. Falk hat Dieter [an] den ordentlichen Arzt in Nikolassee? Überwiesen, den Evelyn schon als Hausarzt all die Jahre hat. Es sind laufend Medikament (auch geringe Mengen Ammo) zu überwachen. Evelyn ist sich über die Schwere der Erkrankung sehr bewusst, wenn sie den Ausdruck Amyloidose auch nicht gesagt bekommen hat. Die Versteifung der Glieder sei nicht die Hauptsache, sondern die Versorgung durch die Durchblutung. Sie meinte: Ihr würdet Euch erschrecken, wie krumm er ist und elend aussieht! Noch tut er voll Dienst. Das ist das einzige, was ihn hochhält. Ich glaube auch, wenn er das nicht mehr kann. geht es rapid mit ihm zu Ende. Im Augenblick sei eine kleine Besserung zu verzeichnen. Nein, Rolf, so schnell kommt der Tod nicht, da sind für ihn und Evelyn noch schwerste Zeiten auszuleiden. Und auch für die armen Kinder. Malte ist so verständig. Er hat sich des Gartens angenommen, "er kennt jede Blume," sagt seine Mutter. Zum Glück hat der Vater ihm solch Teichbecken gekauft. Seit einem Jahr sei es des Jungen Idee. In der Schule geht es nun auch mit Englisch gut. Seine Mutter sucht für ihn sehr nach Kameradschaft und Freunden ausser[halb] des Schulbetriebs und ist durchaus vernünftig eingestellt. - Klein Nele sei nicht so schlau (Gott sei Dank!) Sie hat ein gutes Zeugnis heimgebracht und gliedert sich gut ein. Nähen ist z.Zt. ihr besonderes Hobby! -

So will ich den Brief endlich zum Kasten bringen.

Habt noch mal sehr Dank für alle Liebe (auch der Kinder) in den vergangenen Wochen. Es war uns so notwendig diese Gemeinsamkeit zu spüren. Für die Ski Tage viel Freude und Erholung. In Liebe Eure Mutti

Angehängt ein Brief von Vater 16. 3. 78

Lieber Rolf!

1.) Ausser den Seiser Bildern (Dias) muss ich Dir leider noch den Verlust von 3 Dias "Christine 1972", "Tintin 1977" und "Derek, älter" melden, von denen ("Patrick 1976"" + "Christine" da ist und wird hier vergrössert) Barbara Abzüge haben wollte. Lass Dir von Anneliese die 3 Vergrösserungen geben und mach Abfotos für Euch. Da ich von den genannten Motiven mehrere verschiedene Aufnahmen gemacht hatte, ist mir das Verschwinden der Dia Serie doppelt unverständlich.

2.) Da wir im Oktober noch einmal nach Marling wollen, bitte ich Dich um Zusendung der grossen farbigen Karte "Meran und Umgebung", die ich seinerzeit Ba für Dich mitgab.

Noch ein Gedanke, mit dem ich Euch keinesfalls ärgern will. "Kultur" ist für mich nicht so sehr künstlerische Leistungen einzelner Individuen. Im Sinne der Völkerkunde sind mir alle typischen Erscheinungen der "Volkheit, wie Volkskunst, Lieder, Sagen. Märchen, Sitten, Kriegswesen, Geschichte, Wirtschaft Auswirkungen einer Blutsgemeinschaft, nicht einer "Nation" oder "Gesellschaft". Sie allen haben Dauer und Verlässlichkeit, dass sie objektiv erforschbar sind. Psychische oder psycho-pathologische Erscheinungen sind dagegen nur Momentaufnahmen. Daher meine Vorliebe für "Typen", und meine Abneigung gegen Nur-Intellektuelle. [Uff!]

Die Kultur des Individuums wie der Familie (als kleinster Blutsgemeinschaft, heute überwiegen Sache der Frauen) deckt sich wesentlich mit der Bejahung der Gemeinde und der Integration des Volkes. Beides fehlt in Amerika im allgemeinen und bei Euch im Besonderen. [!!!! Uff!] Darum bleibt Ihr im Individualismus stecken (der an sich hochwertig ist, aber seine angeborenen Pflichten gegenüber den Gemeinschaften nicht erfüllen kann). Der Bekanntenkreis Trost bedürftige Frauen [?!!] ist wohl ein Ersatz für eine Gemeinde. Wir haben hier auch so einen Kreis. Die Gemeinde in Gelnhausen ist durch die Aufnahme "Fremder" nicht mein Ideal. Am ehesten noch die Alten, 70 Jahre und mehr. Sie haben Adventsabende, Ausflüge und dergleichen, an denen wir teilnehmen.

Heute lege ich Euch den Durchschlag meines Aufsatzes für die Gelnhäuser Geschichtsblätter bei [der könnte noch irgendwo versteckt sein]. Die Arbeit an der Familienstammfolge samt neuartiger graphischer Darstellungen (Lebensalter, Kinderzahl und -Sterblichkeit, Auswanderung) macht viel Arbeit. Vielleicht bringe ich sie gar nicht mehr fertig. Ich will aber den Versuch machen, die Ursachen für den deutschen Untergang und seine Volkskultur, wie man es wohl nennen muss, offen zu legen. Schon vor 1918 war davon die Rede. Aber ein eigenes Urteil hatte ich nicht. Das will ich nachholen. Seit 1914 trat ich für die Ostmarkpolitik ein (planmässige Siedlung), die ja auch die Polen eifrig betrieben, wenn auch mit anderem Vorzeichen. Die Politik Hitlers, aber auch der Zionisten waren die logische Fortsetzung. In der Praxis hat Hitler die deutschen Siedler aus dem Osten zurückgerufen und nicht gefördert. Polen und Israelis haben uns dann gezeigt, wie man so etwas macht. Vom Minderheitenschutz des ehemaligen Völkerbundes will heute niemand mehr etwas wissen (20er Jahre). Aber die amerikanische Schmelztiegel-Theorie führt zur Vermassung, Proletarisierung, zum Kulturverfall, zur "Herrschaft der Minderwertigen"- nach C. G. Jung von 1925.

Auf Wiederhören!

Vater

 

 

Brief meines Vaters 2. 4. 78

Liebe Barbara, lieber Rolf !

Nachdem wir vor 14 Tagen noch mal tüchtig Schnee bekamen, allerdings bei 0 Grad, ist seit vorgestern sonniges Frühlingswetter mit -10 Grad nachts und 20 Grad mittags. Infolgedessen mehr Gartenarbeit mit Umgraben, Düngen, Pflanzen und Säen als mir lieb ist. Unsere Hilfe hat Herzbeschwerden. Aber übermorgen wird sie sich wohl wieder beteiligen. Die Obstbaumblüte hat glücklicherweise noch nicht begonnen. Anfang Mai gibt es immer noch mal Spätfrost. Dann muss die Blüte vorbei sein. In der Zeit der Krokus- und Schneeglöckchenblüte habe ich - ohne Sonne--die beiliegenden Aufnahmen gemacht. Zeigt sie Anneliese und werft sie dann fort. Jetzt blühen dafür viele gelbe Hyazinthen. Und was macht Euer Zitronenbaum? Das Füttern der Vögel habe ich eingestellt. In letzter Zeit frassen mir die Günfinken, Meisen und sogar Spatzen täglich einen Meisenkknödel zu 60 Pfennig auf. Das sind 6 cm dicke Bälle aus Sonnenblumenkernen und Talg. Wahrscheinlich füttert sonst niemand mehr.

Zweierlei haben wir von Euch übernommen, die cereals und den Brokkoli. Unsere Haferflocken sind grösser als Eure und werden beim Rösten ziemlich hart. Der Brokkoli kostet hier 3 DM das kg. Ausser dem Gemüse-Haldy führt ihn ein Türke [!], ehemaliger Gastarbeiter, jetzt selbständiger Ladenbesitzer. Käthe hat den Brokkoli beim ersten Versuch klein geschnitten, und mit Fleisch vermengt, Das minderte leider den Geschmack.

9. 4. 78

Heute erst komme ich zur Fortsetzung, Die ganze Woche war mit Garten- und Hausarbeit dicht besetzt. Nachts oft nahe 0 Grad, mittags über +22. Haferflocken und Brokkoli geraten jetzt gut, sind 20% billiger geworden. [Vaters Schrift wird immer kleiner in seinen letzten Briefen]

Nun zuerst zu Bas Brief vom 14. 3. - Der norwegische Ziegenkäse fand bei Sigrun Kienzler und Familie begeisterte Aufnahme. Wir selber finden französischen Valmeuse besser, aber fetter. - Beiliegendes Foto von Max könnt ihr ihm überlassen. Das von Catalina vielleicht an Anneliese. Wie heisst Euer gelbblühender Baum? - Hier kocht man "chinesisch" neuerdings im Dampftopf-Chinoise aus hartem Ton, auf Topf mit kochendem Wasser. Die Dias sind angekommen. Lotte v. Holleben wird für die Bilder gedankt haben. Sie fliegt mit dem Verein der Avocado-Anbauern vom 9. - 23. 5. Nach Kalifornien. In Los Angeles nur Durchfahrt mit Übernachtung im "Royal Inn" in Escondido. Versucht doch sie zu treffen mittels unmittelbarer Verabredung. In Chile ist z.Zt. grosse Trockenheit, sodass L.v.H. für die Ernte fürchtet. - Was ist aus dem Aufnahmeantrag Susannes im Art Center geworden? Ist der Schirm angekommen? - Die hessischen Juden in New York (darunter viele aus Gelnhausen) haben also das, was Ihr in Los Angeles nicht habt: eine fest geschlossene Kultur- und Kultusgemeinde. Bei unserem Besuch war das das Einzige, was mir fehlte. Wir waren am Gründonnerstag zum Abendmahl (Hammersche Tradition) und am Karfreitag zum Kirchenkonzert: Johannes Passion von Bach (besonders gute Solostimmen aus Heidelberg, 70 Sänger und -innen vom Heidelberger Studentenchor). Da wird die Gelnhäuser Gemeinde sichtbar, wenn wir sie auch nicht in allen Einzelheiten bejahen. Wie ist das: Haben eure Kinder in der Schule Religionsunterricht? Paul Tillich-Harvard schreibt, dass die amerikanische Verfassung "für viele" den Charakter eines höchsten Anliegens (= Glaubensbekenntnis) habe, obwohl er sonst das Nationalbewusstsein nahe an den "Götzendienst" rückt. Ich halte das Volkstum und also die Gemeinschaftskultur eine Volkes für sein höchstes Gut und für eine Gottesgabe, aber sie umfasst auch die Gestaltung eine Raumes. Damit wird sie "national". Übrigens ist in der Industriegesellschaft die Frau die Trägerin der Familie [beiden tibetischen Nomaden auch] und ihrer Kinder worin der Haushalt eine wichtige Rolle spielt [in Tibet besitzt die Frau sogar alle materiellen Güter einschl. der Herden - und 3-4 Ehemänner!!]. - Zum Thema typisch volksgebundener Literatur: Der polnische Bauern-Roman von Reymunt ist wirklich gut. Erhielt 1924 den lit. Nobelpreis [und ist Gott sei Dank vergessen seitdem]. Soll ich ihn Euch schicken? Ebenso, was ich jetzt lese, wenn auch sehr langsam: den Roman "Gabriele wie Zimt und Nelken" von dem Brasilianer Jorge Amado. Gut übersetzt. Gesellschaftskritik, Fortschritt, Beharrlichkeit der Eingeborenen (Halbindios, Mestizen), aber nicht spanisch, wie der Roman "Bolivar" (bei Anneliese) sondern neu portugiesisch! - Schickt mir bitte bald die Wanderkarte von Meran u. Umgebung. Ich will Einfluss auf das Programm im Oktober nehmen.

Mit vielen Grüssen

                  Vater

                   

Mutters beigelegter Brief ohne Datum

Liebste Ba ! Dein Brief ist vorigen Monat geschrieben. Erst heute bedanke ich mich. Wie mag der Skiausflug gewesen sein? Ist Susanne noch nachgekommen? Du schreibst von ihrem Erfolg bei dem Plattengeschäft. Geldlich ist das ja ein wirklicher Erfolg! Aber hoffentlich spannt man sie nun nicht noch mehr dafür ein, und sie kann es mit ihren beruflichen Punkten verkraften. Wie mag nur die Vorstellung im Art Center verlaufen sein? Schreibe mal darüber. - Wie ist die neue graue Hose geworden. Ihr Nähtalent erfreut mich. - Und wie geht es dem "Schnucki"? Ich sehe ihn noch vor dem Fenster mit seinem Rollbrett Touren ziehen. Wie ging es die Woche mit ihm und Peter? Peters Einsamkeit hat mir recht weh getan. Er muss die Erlebnisse der letzten 2 Jahre noch verkraften. Gut, dass Ihr da seid und ihm dabei helft.

Deine "Phantasie" beim Kochen hat mir sehr imponiert. Diesmal auf "chinesisch"! Ich habe Dein Müsli nun auch eingeführt. Jetzt hatte ich andere, nicht so grobe Haferflocken, da hat es noch besser geschmeckt. Am Freitag Vormittag hat Udo sich daran gelabt. Er kam kurz vorbei von einer anstrengenden Tagung. Er wollte berichten, dass er in Berlin mit Dieter telefonisch gesprochen hat. Dieser hatte wieder einen Besuch bei ihm zu Hause abgelehnt. Auch uns hat Dieter geschrieben, dass wir Pfingsten nicht zu ihnen kommen sollten, das wäre für Evelyn zu viel. Nun haben wir einen Überraschungsplan ausgedacht.

Mit einer Busfahrt werden wir 5 Tage von hier nach Berlin fahren, in einem guten Hotel absteigen und an einem Nachmittag bei Dieter erscheinen. Einen Tag nach Sanssoussi mitfahren und uns dort mit Evi Schmidt im Park treffen. Dazu brauchen Schmidts keine Einreisegenehmigung für uns zu beantragen. Schliesslich an einem Tag nach Ostberlin ins Pergamon Museum gehen, Dies soll erst am 13. Juli vor sich gehen. Wir sorgen uns doch so um Dieter und die Familie! - Sage Rolf, dass eine Beziehung to Lotte v. Hollebens Sohn und Anneliese nicht angeknüpft werden kann. Sie sind ja zu weit auseinander! - Vor kurzem schickte ich Dir einen Knirps! Die umhüllenden Taschentüchel sind für Susanne. Hast Du den grünen Stoff gekauft und ist ein Vorhang daraus etwas geworden? In Dankbarkeit denken wir an unsere Zeit bei Euch zurück. Wie hast Du alles so schön gemacht.

In Liebe Mutti

 

Luftpostleichtbrief meiner Mutter 19. 4. 78

Liebe Ba !

Vater ist auf dem Kirchenamt und geht einer Anfrage eines Amerikaners nach, So schreibe ich ungestört, um euch eine Feiertagsgruss zu senden.

Hab Dank für Deinen Brief. Gut, dass Ihr euch im Schnee so erholen konntet, Die Wüste ganz zugeschneit! Ein einmaliger Anblick. Da machte der Langlauf aber Spass, mehr als das Sausen vom Berg. Deine Bemerkung über Peters Gelöstheit hat mich recht gefreut. Wird er noch nach Deutschland kommen, bei den Nachbarjungen von Tante Brigitte ist er ja so gern. - Die Grossmutter Geibel sprach ich am Telefon, sie will kommen, wenn Lengyels da sind. Bela schrieb im Mai - aber nicht mit Birgit, sie will in der Zeit nach Schweden. - Das Zimmer haben wir die Woche gelüftet und gewaschen.

Fabelhaft finde ich die Übersetzung für den Geographie Professor, hoffentlich macht sie Dir nicht zu viel Mühe (habe mir meinen weicheren [Füll-]Halter geholt.) Grüss Traudl mal herzlich. Ich meine ein Sprung in eine neue Welt, würde ihr gut tun. Ob sie nicht mit ihrer Mutter eine Fremdenpension aufmachen könnte in Deutschland oder Österreich. Dieser energische Schritt ist besser, als in LA zu bleiben. Zu der Patentanten-Würde bei den Mays [Armin] gratuliere ich. Da werden nun 3 Kinder [?] im neuen Haus gross. - Schreibe mir so bald Susanne vom Art Center etwas hört.

Wir hatten vor einigen Tagen von Tine endlich Post. Der Pat hat schwere Zeiten durch gemacht. Sie fuhren auf eine Sandbank auf, der Motor hatte Schaden. Derek hat durch französische Beziehungen Ersatzteile nach den Philippinen mit Flugzeug schicken können. Alle Mann bekamen Grippe und wurden auf einer Missionsstation gepflegt. So kamen sie verspätet nach Australien. Patrick will von Darwin nach Hause fliegen. Vielleicht ist er am 22. zu Vaters Geburtstag schon da. Vor einiger Zeit sprach Vati mit Evelyn am Telefon. Sie war sehr einverstanden, dass wir jetzt zu Pfingsten oder zu Dieters Geburtstag zu ihnen kommen möchten. Einige Tage danach schrieb Dieter ab, es sei für Evelyn zu viel, zumal sie sich Pfingsten erholen soll, und wir ihr ja noch mehr Arbeit mit unserem Besuch machten. Daraufhin habe ich in einem hiesigen Reisebüro eine Fahrt nach Berlin gebucht. Erst vom 13.-17. Juli. Wir können hier mit Gepäck in einen Bus steigen. In einem Hotel in Berlin wohnen. Am 14. bei Dieters sein, am 15. in Potsdam mit Schmidts uns treffen, am 16. eventuell ins Pergamon Museum im Osten gehen. - Ich habe mir vorgenommen, kein abfälliges Urteil über Dieter zu fällen. Und wir wollen uns freuen, die Kinder zu sehen. Dieter hat die Zusage für seine Kur bekommen. Wann wusste er noch nicht. - Udo hat lange mit ihm in seinem Büro gesprochen, als er dienstlich in Berlin war.

Ich bekam Tabletten gegen Gedächtnisschwäche, obs wirkt?.

Seid alle gegrüsst von Opa und Omi

 

 

Brief von beiden Eltern 25. 6. 78

Vater:

Liebe Barbara !

Mein Geburtstagsbrief fange ich heute schon an, weil ich in den nächsten Tage kaum zum Briefeschreiben komme, z.B. ist im Garten die Erdbeer- und Himbeerernte in vollem Gange. Dann gibt es eine Einladung in der Nachbarschaft, eine Aufführung der h-Moll-Messe von J. S. Bach unter einem hervorragenden Frankfurter Chorleiter. Am 9. Juli machen wir mit dem Geschichtsverein eine Fahrt in den Odenwald (Michelstadt mit Puppenmuseum, Einhardsbasilika bei Steinbach (der Erbauer Einhard lebte am Hofe Karls des Grosse, liebte, obwohl Kleriker eine der Töchter Karls, schrieb dessen "Vita", starb in Seligenstadt) Schloss Fürstenau (16. Jahrhundert), Burg Breuberg (staufisch).

Heute fliegt Derek nach London, Die Familie 4 Tage später. Vom 9. - 22. Juli segelt Kate-Tintin mit dem zivilen englischen Schulschiff rund um Schottland. Das gleiche Schiff "Winston Churchill" unternimmt vom 13. Juli bis 19. August an einer Zielfahrt der grossen Segler nach Oslo. Patrick nimmt teil. Vom 31. Juli bis 12 August sind Derek und Tine wie alle Jahre in Mölln-Oberösterreich. An den Wochenenden vor und nach diesem Zwischenakt sind sie bei uns. Nach ihrer "Schiffsjungen"-Fahrt geht Kate mit einer fanzösischen Jugendgruppe in die französischen Alpen. Mitte August ist sie noch mal bei uns. Dann fliegt die Familie nach Hong Kong zurück. Patrick kommt allein nach.

Vorige Woche habe ich endlich die vermissten Dias der Hogan-Familie wiedergefunden. Ich schicke Euch die Abzüge. Anneliese bekommt sie auch unmittelbar.

Den polnischen Bauernroman schicke ich mit Schiffspost. Desgleichen einen schönen Bildband mit gutem Text über sie Athener Akropolis. Er wird auch Dir gefallen. Für Rolf und Cornelius' Bauvorhaben wird er wohl leider zu spät kommen. Vielleicht nützt er den Beiden aber doch noch. Ich bekam ihn zum Geburtstag von unserem Egerländer Nachbarn Hofmann. Übrigen haben wir uns für 1979 für eine Kreuzfahrt mit einem italienischen Schiff vormerken lassen: Venedig, Korfu, Athen, Rhodos. Anfahrt und Rückfahrt von Venedig 2-tägig mit Bus unserer Kreiswerke. Hat jetzt Schlafsessel, WC und Kühlschrank. Mit dem gleichen Vehikel fahren wir jetzt nach Berlin-Potsdam und im Oktober nach Marling-Meran und Gardasee.

Anfang Juli kommen die Maler ins Haus: Küche, Wohnzimmer, Geländer, Kellervorraum, Aussenwand hinter dem grosse Ligustenbusch. Im Garten grosse Erdbeer und Himberernte. Kirschen, Apfelbaum und Brombeeren versprechen auch einige Erntearbeit. Die Hecke an der Strasse muss fast wöchentlich geschnitten werden, da das Wetter im Juni kühl und nass ist.

Für heute schliesse ich mit wiederholten herzlichen Grüssen an alle, aber an Dich besonders!

Dein Schwiegervater

Mutter auf demselben Blatt:

Meine liebe Ba !

Zum Geburtstag sende ich Dir sehr herzliche Wünsche. Bleibe weiter so leistungsfähig und gesund wie im letzten Jahr. Du bist der Mittelpunkt der Familie und hast alle Stürme aufgefangen und geglättet. Mit viel Verstand bist Du auf jeden der Familie eingegangen und hast nicht an Dich sondern eines jeden Probleme gedacht. Von allen bist Du gleich geliebt auch über den Kreis der Deinen hinaus. Wir waren so glücklich bei Euch, und das brauchten wir zwei Alten nötig. Habe Dank.

Nun werden die Hamburger Geschwister in diesen Tagen aufkreuzen. Ich sprach Klaus vor 10 Tagen. Sie sind schon in freudiger Überraschung [Erwartung!] und haben sich bemüht sprachlich perfekt zu werden. Also viel Freude Euch allen!

Wir werden nun in den Juli Tagen bei Dieters aufkreuzen. Ich ängstige mich etwas davor. Die letzten Telefonate klangen gut. Er scheint Erleichterung zu haben von der ambulanten Behandlung in dem Rheuma Center in Wannsee. Dass er die Kur im letzten Moment absagte, hat uns sehr entsetzt. Aber darauf können wir absolut keinen Einfluss haben. Vor einigen Tagen waren Vater und ich bei Udo. Er zeigte stolz eine Anschaffungen in der Wohnung. Überall mit viel Überlegung und Geschmack und das Beste. Ja, er hat seiner Mutter Eleganz und Hammers technische Begabung. Irmgard muss nun schwer bei dem Alten [Walter, ihr Hausgenosse], er hat nun einen Herzschrittmacher und eine Staroperation. Bleibt aber im Bett und lässt Irmgard kaum aus seiner Nähe. - Ihre Kinder möchten sie so gern bei sich haben. Uns geht es gut. Vater hat viel im Garten zu tun und ich eine Malerei im Haus.

Euch allen liebe Grüsse

Eure Omi

 

 

Briefe beider Eltern 31. 8. 1978

Mutters zuerst:

Liebe Ba !

Gestern bin ich [meine] jahresmässige [jährliche] Kaffee-Einladung los geworden; Vater - als Gesellschafter ganz charmant - und Helfer sowie meine treue Hifsfrau haben mir beigestanden. Einmal war ich am Geburtstag von meinen eben abgereisten Kindern + Mutter Geibel recht ab, und dann sah ich rechtsseitig unmöglich blau und verschwollen aus (ich war im Garten auf einen Stein mit dem Gesicht gefallen). So habe ich mich erst am 30. 8. Zu der [Kaffee-] Unternehmung entschlossen. - Hogans Besuch war recht harmonisch. Tine sieht ohne Pferdeschwanz reizend aus. Derek glücklich "schlanker' geworden, und Kati kam mit allerlei "Missgeschick" auf ihrer Reise vergnügt an. Von Peter schon erwartet. Beide haben sich gern die Zeit mit Kirschenpflücken und Einkauf Bummel mit Opa vertrieben. Als Hogans weggefahren waren, war es mit Peter schwierig. Er hatte zu nichts Lust. Alle Bücher langweilten ihn. In seinen Ferien hatte er sich hauptsächlich mit den Kindern (5 Stück bei Bonses und 2 Nachbarjungen bei Brigitte) herumgetrieben. - Ich meine er müsste zu seiner Arbeit in der Schule angehalten werden. Vor allem sollte er während seiner Schularbeit nicht fernsehen. Ob Du oder Rolf gelegentlich mal ihm klar machst, dass er nun kein verspieltes Kind mehr ist und die Pflicht hat, in der Schule besseres zu leisten. - Ich weiss Anneliese kann sich schlecht darum auch noch kümmern. Aber Peter ist doch lenkbar, wenn er die schwere seines Lebens einsehen wird. - Lass meine Bemerkung Anneliese nicht wissen! - Sie schrieb mir einen sehr liebevollen Geburtstagsbrief. Ja, was fühlt sie sich einsam. - Es ist gut, dass sie an ihrer Arbeit Freude hat und gut mit den Mitarbeitern auskommt. -

Wir haben aus Berlin erneut schlechte Nachrichten bekommen. Ich läute am Wochenende mal an, dann ist von der Ärztin ein neuer Untersuchungsbericht da. Dieters Hüfte macht schmerzhafte Beschwerden, so dass das Laufen schwer fällt. Er hatte sich einige Wanderungen um Berlin mit den Kindern vorgenommen. - Ja, ich bin recht erschrocken. Denn bei unserem Dortsein ging es ihm viel besser. Ihr zu Hause ist wirklich bezaubernd. Die Wohnung und der Garten und die Umgebung in alten Park Bäumen. Evelyn müsste sich zum Autofahren entschliessen, dann hätte sie es leichter. Ich bin dankbar, dass sie so tapfer ihre schwere Lage meistert.

Es freut mich, dass Du eine eigene Schreibmaschine bekamst. Für mich auch ein Vorteil. Deine Schrift kann ich so schwer lesen. - Über die fabelhaften Anschaffungen [Kameras für Art Center] der Tochter freue ich mich mit. - Ihr Bild haben alle bewundert. Es steht vor mir im Schreibtischfach. Und über die Zeilen beider Kinder habe ich mich so sehr gefreut. Ja, unser Besuch bei Euch hat auf beiden Seiten freudiges Erleben geweckt.

Bei den Hamburgern war das auch der Fall, wie Lilo am Telefon berichtete.

Traudl Grüsse, nun hat sie ein eigenes schönes Reich und ihre liebe Mutti kommt zu ihr. Nächste Woche kommt mein Bruder [Gerhard]. Ende des Monats beide Felmbergs. Und einen Nachmittag Brigitte [Stölzel-Heinrich] mit 5 Kindern. Am 1. Oktober fahren wir nach Tirol. Felmbergs hüten hier Haus.

Lebt alle gesund und fröhlich und feiert Vaters Geburtstag.

Deine Omi

[Vater am Rand:] Esst Ihr Auberginen-Eierfrucht? Wenn ja, schicke uns mal ein Rezept !

Im Selben Umschlag: Brief von Vater: 27. 8. 78

Lieber Rolf !

Zum Geburtstag wünsche ich Dir das beste: Gesundheit und Erfüllung in der Arbeit, was nicht unbedingt "im Beruf" heissen soll, eher schon "in der Berufung". - Leider ist es mir nicht gelungen, Dein Bücherwünsche zu erfüllen. Von meinen Antiquaren bekam ich noch keine Antwort wegen Kästner bzw. Kaulbach. [das "Griechenlandbuch" habe ich schliesslich 2005 übers Internet gefunden!] Die "Kunst des Alten Georgiens" konnten die Felmberg Schwestern in Halle nicht auftreiben. Sie schickten mir das kleiner Buch, das ich Dir vor 2 Jahren aus der DDR mitbrachte. In seinem Literaturverzeichnis ist das "grosse" mit "im Erscheinen" aufgeführt. Ich vermute, es ist die deutsche Übersetzung des Werkes, das Du in georgischer Schrift hast. Ich habe schon vor Monaten Peter Schmidt darauf angesetzt. Er schrieb mir vor kurzem, dass man ihm "immer wieder Nachfragen" geantwortet hätte. Die erste Auflage sei, wie in der DDR üblich, schon beim Erscheinen vergriffen. An Tibet möchte ich mich erst heranwagen, wenn Georgien "geschafft" ist. Reiseführer wirst Du, vermute ich, in Amerika besser bekommen. Vielleicht sogar in einer öffentlichen Bibliothek.

Ich gestehe, Deine Pläne [?] haben mich etwas erschreckt. Ist das nun so eine Torschlusspanik, oder hast Du wirklich neue Möglichkeiten in Aussicht? Gerade jetzt, wo Deine Kinder rasch kostbarer werden? Tauschen die USA auch mit der Türkei, Persien, Afghanistan, Indien Wissenschaftler aus? Oder willst Du vom Berichte schreiben leben?

Dieters Hüfte ist wieder schlechter geworden, so dass alle Ferienpläne (Paris) hinfällig wurden. Aber wenigsten hat Dieter Urlaub genommen. Während alles die Grossstadt flieht, kommt die Familie nicht einmal nach Potsdam. Der Besuch von ein paar Museen ist lange nicht so viel Wert für Kinder wie ein paar Wochen Ostsee oder Gebirge. Freilich ist das Haus samt Garten sehr schön, aber die Anregung der Fremde fehlen. Die Hogankinder sind wohl älter, aber was haben sie für ein tätiges und vielseitiges Jugendleben. Patrick haben wir diesmal nicht gesehen.

[Fortsetzung, Vaters Schrift wird immer kleiner, oft nur schwer zu lesendes Gekritzel]

31. 8. 78

Deine Bücherwünsche kann ich diesmal nicht erfüllen. Ich habe "Ähnliches" eingepackt und hoffe immer noch auf das grosse Georgienbuch. Das Migräne-Kranit [ich hatte in der Zeit immer noch gelegentliche Migräneanfälle] folgt zusammen mit sweets und vielleicht [einem] VW-Pospekt. Im "Vorrat" habe ich noch ein Buch über die Hunnen in Europa und eins über die "Goldenen Horde" in Russland sowie ein Bilderwerk über altamerikanische Kunst. Ich schicke Dir und Ba ein Prospekt des Burckharthauses über neue deutsche Literatur. Fand ihn beachtenswert.

An Cornelius werde ich als "Überraschung" eine 50 DM Schein schicken. Ein Päckchen ist schon unterwegs. Schreibt uns Weihnachten Wünsche, die wir erfüllen können und in Deutschland preiswerter sind als bei Euch.

Ich stehe etwas unter Arbeitsdruck. Meine Kirchenbuchverkartung kommt nicht zum Ziel. Mein persönliches Ziel ist dabei: Die Entwicklung ganzer Grossfamilien graphisch anschaulich zu machen. Meine Idee bzw. ein erster Versuch der Darstellung kommt sehr langsam voran. Dabei ist es unwahrscheinlich, dass ich über das 80. Jahr hinaus noch arbeiten kann. Ausser dem Gehör (weniger in den Ohren als im Kopf sitzen die Schäden) lässt das Sehvermögen im linken Auge ständig nach. Operabel ist das alles nicht. Herz und Prostata werden auch langsam schlechter. Also weitermachen so lange es geht, wenn auch immer langsamer, auch im Garten. Da ist ein Spalier für die Himbeeren zu bauen und die Obstbäume sind durch eingreifenden Rückschnitt zugänglich zu machen. In diesem überwiegend kühl-feuchten Sommer nimmt das Unkraut überhand. Es muss ausgerissen werden, ehe es Samen wirft. Aber auf dem Kompost wuchert der Kürbis, müssen alle Gartenabfälle in die Sperrmüllsäcke kommen, die wiederum die Landschaft verschandeln.

Heute nachmittag trotz Regenschauern 15 Pfund Mirabellen gepflückt. Morgen Fortsetzung. Dann Einkochen [die alte Mutter!]. Aber sonst frisst sie unser Eichhörnchen. Derek entdeckte es in den Kirschen.

In jedem Falle, viele herzliche Grüsse von Deinem alten Vater.

 

 

 

Luftpostleichtbrief meiner Mutter 20. 10. 78

Meine liebe Ba !

Für Deinen Brief habe Dank. Besonders freut uns die Ankündigung Deines Besuches. Natürlich bist Du uns willkommen. Gewiss erscheinst Du im Anschluss an Deinen Flug nach Frankfurt. Letzte Zeit war wegen dichten Nebels 2 Tage eine Ankunft dort unmöglich und alles staute sich auf der Bahn. Aber heute scheint das erste Mal wieder die Sonne. - So ging es uns die erste Zeit in Tirol: Regen, Nebel und Schnee und Glatteis. Aber endlich hatten wir das überwunden und auf den Dolomiten war es klar. Wir dachten oft an Rolf, fuhren aber in umgekehrter Richtung. Es war diesmal durch die Busreisen einfacher. Das Publikum störte kaum, die Unterbringung in dem bekannten Hotel in Marling war wieder erstklassig. Hier daheim hatte die gesunde [Felmberg] Schwester vorzüglich Haus gehalten. Die Kranke war schwierig. Sie reisten vor 8 Tagen wieder ab. Danach habe ich eine enorme Wäsche gehabt, die bei dem Nebel nicht trocknen wollte. Und dann bekam ich einen Zentner Fallobst geschenkt, den ich mit Vaters rührender Hilfe zu Gelee und Apfelkompott verarbeitete. Ach ja, Köchin möchte ich nicht sein! - So komme ich erst heute zum Schreiben. Unterdessen schrieb Anneliese einen lieben Brief. Sie hat ja viel vor. Gut, dass Susanne ihr bei den Festlichkeiten [rheinischer Faschingsball im November] helfen wird. Als was wird sie sich verkleiden? Die Mexiko Reise zu Weihnachten ist eine willkommene Abwechslung nach dem strengen Arbeits Einsatz. Ganz natürlich, dass sie den Peter mit nimmt. Aber was sagt seine Schule dazu? Ich will an Peter schreiben, ob er sich bei dem Angebot mehr auf die "Hosen" setzt. Die Freundschaft mit dem Thomas ist sehr erfreulich. Geht er in seine Klasse? Warst Du bei den Lehrern? Und was kam dabei heraus? - Susannes schwarzer Führer möchte ihr ein Schock sein. Gut, dass sie schöne Arbeit für sie bald anfängt. Was macht ihr Autokauf? Habt ihr eine Pension für sie ausfindig gemacht? - Rolfs und Annelieses Sprachstudien sind erstaunlich. Lernt der Sohn auch Vokabeln? - seine schwache Seite! - Mein Bruder hat 2 kranke Hüftgelenke. Ich betrübe mich recht um ihn. Sollte er sich doch operieren lassen?

In Liebe Mutti

 

Luftpostleichtbrief meiner Mutter 15. 12. 78, Freitag Morgen.

Nun bist Du, liebe Ba, wieder glücklich daheim gelandet. Alle sind froh, Dich wieder da zu haben und morgen kommt Dein (mein!) Rolf. - Es war für uns und gewiss all die Deinen eine grosse Freude Dich hier zu haben. Und Du bist dankbar den Vater [Lattmann] so wohl gefunden zu haben und uns zwei desgleichen.

Ich war nun doch beim Unfallarzt. Er röntge gleich und stellte fest: 4 Rippen sind gebrochen. Da man an der Stelle nicht gipsen kann, holte ich mein altes Corsett hervor und zwängte mich hinein. Nachts bettete mich Ulrich auf sein kleines Sofa. So konnte ich sitzen und brauchte nicht immer hoch zu kommen. An den runter hängenden Beinen zog Ulrich dicke Ski Strümpfe von sich. Nun war alles warm und mit einer Nachtpille (die den Hustenreiz mit Codein nimmt) habe ich ganz schön geschlafen. Und mit der gleichen Tagpille geht es auch besser und alles geht im Haushalt in Ordnung und Ulrich tut, was mir schwer fällt. - Also siehst Du, dass Deine Schwiegermutter nicht so eigensinnig ist. - Gemein, dass die alten Knochen so schnell brechen. Bis Weihnachten ist es hoffentlich überwunden. - eine Überraschung fand ich auf meinem Nachttisch durch Dein Buch. Bis zum einschlafen habe ich noch gelesen. Habe schönen Dank. - Dein Nachthemd hast Du im Bad liegen lassen und desgleichen die Zahnseife. Ich schicke beides bald.

Wie ging es mit den Stiefeln?

Anneliese schönen Dank für ihren guten Brief. Zieht alle Wollsachen übereinander, dass Ihr nicht friert bei der Kälte!

Ihr [Anneliese] guten Flug, viel Wärme und viel Schönes

So den Brief schnell in den Kasten.

Allen liebe Grüsse

Von der Omi.

 

 

 

Brief meiner Mutter 29. 12. 1978

Ihr lieben Vier !

Nun ist Weihnachten wieder vorbei. Der Udo nicht mehr hier, er hat wieder Dienst. Zu Sylvester will er zur Schwester Renate in die Schweiz fahren. Seine Mutter, Tante [Gretel] und Brigitte hatten Päckchen an ihn geschickt, so fand er sie unter dem Christbaum und ging nicht leer aus. - Es war harmonisch, Vater hatte gute Aussprache. Wenn sie zuletzt [auch] zu viel wurde! Ich war froh, die Bewirtung zu schaffen. Ganz verändert, weil [Udos wegen] kein Fisch auf den Tisch kommen sollte. - Na zu Sylvester holen wir es mit Karpfen nach!

Einmal war ich noch bei dem Arzt. Er hält alles in Ordnung, mit den Rippen muss ich noch einige Zeit Geduld haben. Ich kann aber seit Weihnachten wieder in meinem Bett liegen. Es zwickt halt oft bei unbedachten Bewegungen. - Aber einen erneuten Schreck gab es, Dieter läutete am Heiligen Abend an. Sie mussten Nele in die Kinderklinik bringen. Seit Tagen hatte sie Bauchschmerzen und Blutungen aus dem Darm. Die Mutter darf bei ihr bleiben. Sie wird durch die Venen ernährt, Darm und Magen sollen still gelegt werden. Eine [Aus-] Spiegelung des Darms kann noch nicht gewagt werden. Evelyn ist tüchtig wie immer. Dieter ist sehr erschreckt und denkt es sei eine Vererbung von ihm her (Rolf weiss ja noch, dass wir ihn in Habelschwerdt ins Krankenhaus bringen mussten, darauf in die Breslauer Kinderklinik, und danach hatte er und die anderen 3 Scharlach. Vater und ich haben ihm gestern genau beschrieben, dass er seinen Scharlach erst nach der Bauchgeschichte bekam. Ja, und ich kann in meinem geprellten Zustand nicht beispringen. Die beiden Männer müssen ihren Haushalt halt allein fertig bringen. Malte soll tüchtig dabei helfen. Beide haben bis 8. 1. Ferien. So läuten wir halt täglich an.

Nun noch zu unserer Weihnachtsfeier. Vater war mit Udo zur Christmette in der Kirche. In der Zeit konnte ich in Ruhe alles richten. [So war es schon früher immer, ausser als wir ein Hausmädchen hatten]. Den sehr schönen Baum hatten die Männer am Morgen fertig gemacht. Wir packten bei echten Wachskerzen erst unsere Geschenke und danach die Pakete aus. Ihr Guten hattet ein jeder was geschickt. Rolfs Mozart Platte spielten wir ab - in Ermangelung unseres "Gesangs". Dein grosses Geschenk Ba, hat[te] mich neugierig gemacht! Ich kann es gut gebrauchen bei Kaffee Festen auf dem neu gedeckten Tischtuch von Tine! Susannchens hübsche Servietten sind auch dienlich. Ich hoffe diese auch mal ihr hier zu decken. Und die Eierhütchen sind schon eingeweiht. Cornelius, ich bin gerührt, dass Du auch Häkeln lernst in Deiner Handarbeitsstunde. - Hast Du nun eine Klarinette bekommen? Bei dem nächsten Besuch bei uns, musst Du sie mitbringen. Und diese Tage wird die Mutter mit Susanne auf Wohnungssuche gehen. Schreibt mal darüber. Ich halte "beide Daumen"!

Heute haben wir 2-erlei an Euch zur Post gebracht. Ba, Dein Hemd mit der Zahnputze drin. Und an Rolf einen Tirol Kalender. Wir hatten hier 5 verschieden Kalender. Da dachten wir die Bilder vom "Schlern" erfreuen Dich.

Wie mag es Anneliese mit ihrer Abreise gegangen sein? Mutter Geibel sagte am Telefon, Peter sei Grippe krank, hätte sie noch erfahren. - Ach, ich habe das grosse Los Angeles Buch noch nicht erwähnt. Alle bekannten Stellen haben wir wiedergefunden. So - es ist Zeit für das Berlin Gespräch. Ich schreibe noch mal kurz, was wir von dort hörten:

Die Infusion haben sie eingestellt und versuchen nun langsam mit leichter Nahrung. Dieter wird morgen Evelyn den ganzen Tag im Krankenhaus ablösen. Ich glaube, die "junge Dame" wird verwöhnt.

[Der Schluss des Briefes ist nicht aufzufinden.]

 

Brief meiner Mutter 4. 2. 1979

Meine liebe Ba !

Heut wird Susanne den ersten Sonntag in der Fremde sein. Ihr wie Euch zunächst noch schwer. Aber sei ohne Sorge, sie ist so Tatsachen betont, sie wird es gut schaffen. Zunächst ist der Riss von ihrem jetzigen Dasein so schwer. Ich habe aber den Eindruck, dass die neuen Anforderungen ihr gut tun. Sie wird merken, dass die Menschen um sie herum mehr verlangen, als ihre vorige Umgebung. Schreibe mir, wie es damit wird. Ob sie Anklang findet in der Arbeit, ob sie die Anforderungen schafft? Wie wird sie denn wohnen? Wie werdet Ihr die vielen Ausgaben schaffen? Dein Bericht über Cornelius Einsprung in das Orchester ist fabelhaft. Er spielt doch erst 1 Jahr die Klarinette. Und wie schön, dass nun Rolf mit ihm manchmal zusammen spielt, eine Freude für beide. - Deine Energie mit dem dunklen Brotbacken bewundere ich sehr. Ich habe jetzt mehrere fertige Kuchenpackungen entdeckt, die gut schmecken und unbedingt gelingen; nur Eier und Margarine oder Butter muss man dazu tun. - Am Montag ist Herren Abend mit 12 vom Vorstand des Geschichtsvereins. Ich mache eine Ananas Bowle. Und Tines grosses Tischtuch wird das Bild erhellen!

Von Anneliese hast Du von [über] Nele erfahren. Sie war von Evelyn in ihrer Not antelefoniert worden, Und ich habe nicht an Euch noch mal das gleiche geschrieben. Wir waren mit den Berlinern in grosser Sorge und läuteten alle 2 Tage an. Nun soll das Kind neue Woche aus der Klinik nach Hause kommen. Der grosse Bauchschnitt ist fasst zu, und die inneren Wunden soweit in Ordnung. Freilich hat sie jetzt Last, weil unkontrolliert der Stuhlgang alle halben Stunden erscheint. Aber mit Gummi-Hosen und Einlagen wird die Mutter auch damit fertig werden. Sie bekommt endlich natürliche Kost - weich Brei - und so wird sie sich allmählich erholen. Dieter hat eine Versteifung der Beine und im Rücken, und Schwierigkeiten beim Laufen und Aufstehen. Sie warten alle auf seine Einberufung in das Bechterew Sanatorium. In der Zeit könnte die Mutter sich mit Nele bei uns erholen, der Grossvater in den Osterferien mit Malte eine Bus Reise nach Österreich machen. Der Junge muss mal raus und eine Belohnung für Schneeschippen und "viele Einsern" im Zeugnis haben. Dieter meinte, "ich kann es doch nicht"! - Wir haben erneut Kälte Grade. Heut war es im Wald ganz vereist, wir konnten nur auf der Auto Strasse entlang gehen. - Aber ich bin ohne "Korsett" und ohne Schmerzen!

Lebt wohl. Grüsse an alle von Omi.

[Am Rand] Habt Ihr noch Kinderbücher für Nele? Sie kann noch nicht zur Schule gehen.

 

 

Lange Briefe beider Eltern

Von Vater 2. 3. 79

Liebe Susanne !

Herzlichen Dank für Deine Glückwunschkarte vom Big Bear Lake. In diese Gegend sind wir mal mit Gerhard gekommen. Er fuhr wohl öfters dorthin. Auf Winterbildern macht sie einen ganz europäischen, um nicht zu sagen, deutschen Eindruck. Kannst Du mir mal eine Schiaufnahme von Dir schicken? Von den grossen Schneestürmen in Nord- und Ostdeutschland haben wir hier nur einen bescheidenen Eindruck abgekriegt. Nur an schattigen Stellen liegt noch etwas Schnee. Seit heute haben wir keinen Frost mehr, nur nachts noch kalten Wind. Im Garten blühen Schneeglöckchen, Winterlinge und sogar Leberblümchen. Bei Glatz gab es einen ganzen Berg voller Leberblümchen und später Maiglöckchen oder Seidelbast. Wir sahen ihn ganz blau, als wir in ungeheizten Viehwagen nach Westen fuhren. Lass Dir von Deinem Vater davon erzählen! - Was wünschst Du Dir zum Geburtstag?

Es grüsst Dich

Dein Gelnhäuser Grossvater

 

Vier Seiten von Vater mit Maschine geschrieben 4. 3. 79

Liebe Barbara, lieber Rolf !

Ihr habt schon recht: so ausführliche und tiefschürfende Briefe sind das schönste Geburtstagsgeschenk für mich. Meine Antwort fällt leider mager aus. Obwohl meine Kirchenbuchverkartung ohnehin viel zu langsam vorwärts kommt und immer wieder durch Anfragen Auswärtiger mehrere Tage unterbrochen wird (so auch jetzt), habe ich sie für 14 Tage eingestellt. Neben täglich einem Dankesbrief (zwei bis drei liegen noch vor mir) wollte ich täglich in meinen neuen Büchern lesen. Die von Weihnachten sind noch nicht ausgelesen. Trotzdem habe ich mir selbst zwei neue geschenkt. Erstens den "Rommel" von David Irving, den ich vor Weihnachten Barbara im Laden zeigte. Vater Lattmann wird darin sechsmal zitiert und auch mal Onkel Martin. Der Verfasser bringt nicht nur spannende und eindrucksvolle Berichte vom Feldzug in Afrika und im Westen, sondern er [ist] bemüht den Gegnern gerecht zu werden, selbst den Italienern, Indern, Neuseeländern und Südafrikanern. Aber auch Rommels taktische und charakterliche Fehler schont er nicht. Der Erfolg der Westinvasion führt er zum Teil auf Verschleppungsmanöver der Kreisauer [Kreis gegen Hitler] [zurück], besonders Speidels (späterer Führer der Bundeswehr). Rommel selbst sei an dem Attentat [der Kreisauer] auf Hitler unschuldig. Ich werde das Buch hier noch einige Zeit brauchen. Zweitens kaufte ich auf Udo Hammers Rat das Buch "Was wird aus Frankreich?" von dem französischen Justizminister Peyrefitte (ehemaliger Gaullist). Sehr flüssig und leicht lesbar. P. kennt Deutschland und kritisiert den französischen Zentralismus und Parlamentarismus aus reinem Nationalismus. Ich habe nur mal hineingerochen. Z.Zt. liest es Mutter. Evelyn schickte ein Büchlein über die "Opposition" als für die Demokratie lebensnotwendig. Scheint etwas einseitig doktrinär.

Über Rolfs Lernsysteme möchte ich mich diesmal nicht äussern. Den Unterschied zwischen "Augen- und Ohrenmenschen" kenne ich schon lange. Vielleicht ist er auch landschaftsgebunden, umweltbedingt.

Zu Ostern werden wir, wenn alles gut geht, die ganze Dieterfamilie bei uns haben. Erst hatten wir nur Malte eingeladen und wollten ihn während der Feiertage auf eine fünftägige Busreise der Kreiswerke nach Österreich mitnehmen, um ihm Anschauungsunterricht über Deutschland zu geben. Dieter kann das nicht mehr, begrüsste es aber sehr. Er wollte dann (am Telefon) auch Evelyn und Nele herschicken. Sie sollte sich in den fünf Tagen selbst bewirtschaften und nur in guter Luft Spaziergänge mit der Kleinen machen. Für sich selbst hatte er bei der Bundesversicheungsanstalt eine Kur in einer Bechterew-Spezialklinik bei Regensburg beantragt. Sie wurde erstmal abgelehnt. Er hofft aber auf später. Für diesmal will er nun mit seiner Frau und Tochter in Gelnhausen Erholung suchen. Einen Essvorrat für die fünf Tage können wir schon im Keller und Kühlschrank anlegen. Um auch Evelyn zu entlasten, hat Mutter beschlossen, die Busfahrt nicht mitzumachen. Damit Ihr Euch eine Vorstellung machen könnt gebe ich Euch das Fahrtprogramm: [hier etwas gekürzt]

1. Gelnhausen - Würzburg - München - Salzburg - Wolfgangsee - Bad Ischl - Hallstadt.

2. Hallstädter Museum - Gosauer See -Seilbahn zur Zwieselalm - Hallstadt

3. Wallstedt - Bad Aussee - Admont - Maria Zell - St. Pölten - Krems - Melk - Maria Taferln

4. Spaziergang am Donautal bei Maria Taferl

5. Rückfahrt über Linz - Passau - Würzburg - Gelnhausen

Da abgesehen vom Sonnabend alles Feiertagen sind, [sind] Einkäufe von Lebensmitteln und Mitbringseln kaum möglich. Ausserdem gingen wir hier am Gründonnerstag zum traditionellen Abendmahl nach altpreussischem Ritus, also mit Beichtgebet und Absolution. Das hat mir sonst immer gefehlt. Weisst Du noch, Rolf, wie wir zum letzten Sylvester 1954 in Rodenberg nach meiner Rückkehr aus dem Rintelner Krankenhaus [schwere Gehirnhautentzündung] alle sechs zum Abendmahl gingen [ja. Es war mein letztes Abendmahl]? Das hätte ich gern zur Goldenen Hochzeit [Oktober 1929] wiederholt. Das ist doch mehr ein Fest der Familie und sogar der Gemeinde, als selbst ein 80. Geburtstag. Bürgermeister und Landrat haben ihren Besuch am Montag den 1. 10. schon angemeldet [es ist erst März !!]. Der Dekan wird sicher auch kommen, aber eine kirchliche Feier möchte ich vermeiden. Statt ihrer am Sonntag davor Gemeindegottesdiens mit Abendmahl. Es wäre ja schön, wenn wir dazu zu 16 auftreten könnten, aber das wird wohl nicht werden Nicht [nur] weil die nicht Getauften und noch weniger Konfirmierten nicht zugelassen werden. In New York hat der Dekan ja sogar Shintoisten und Buddhisten zugelassen. Bei Katholiken wäre das vielleicht schwieriger. Für mich hat das Abendmahl keine andere Bedeutung als "zu meinem Gedächtnis. Im Gegensatz zu Luther kann Christus gar nicht gemeint haben "dies ist mein Fleisch und Blut". Gemeinsames Essen und Trinken bringt symbolisch Gemeinschaft hervor, nämlich aus gleicher Speise entstehendes (bei allen Teilnehmern) gleiches Fleisch und Blut, das die Seele umfasst. Derartige Symbolik gibt es doch auch in anderen Kulturen. Die religiösen Gebräuche oder kirchlichen Sitten und Anschauungen bilden [im] völkerkundlichen Sinne den geistige Kern einer jeden Kultur. Der Eklektizismus (übervölkische Weltkultur) ist meines Erachtens ein sicheres Zeichen des nahen Untergangs und des Endes der Klassik. Wo steht die Romantik oder wie weit reicht die Renaissance? Oder gar der marxistische Fortschritt?

Fortsetzung am Dienstag, den 6. 3. abends.

Hier hat der Frühling angefangen. Im Garten blühen Massen von Schneeglöckchen und Winterlinge (gelbe klein Sterne), seit heute auch die frühen Wildkrokusse und sogar auch ein einsames Leberblümchen. Rolf, weisst Du noch, wie wir 1946 mit unserem Viehwagenzug unter der blühenden Weisskoppe bei Grafenort entlang fuhren? Gestern wurde mein Gartenteich eisfrei, und siehe da: nach drei Monaten Eiszeit ohne Fütterung kamen meine beiden Goldfische ganz munter wieder zum Vorschein. Nachdem im Herbst 1977 der ganze Bestand krepiert war, hatte ich im Frühsommer 1978 zwei erbärmliche kleine Fischchen hinein gesetzt. Sie liessen sich den Sommer über nicht blicken und wurden infolgedessen nicht gefüttert. Nur als ich im Herbst 78 Massen von Entengrütze abfischte, waren meine Fische plötzlich wieder da und sahen gut aus. Als wir in Berlin bei Dieters waren, stellte mir Malte seinen am Nikolassee erbeuteten Grasfrosch vor. Er hat freilich in dieser Einsamkeit nicht lange ausgehalten. Wenn ich im Garten aufräume oder abgeblühte Zimmerblumen (Krokusse, Märzbecher, Tulpen, Hyazinthen) eingrabe, erscheint meist sehr bald ein kleines Rotkehlchen und bettelt flügelschüttelnd um Futter. Vielleicht hat es auch Ungeziefer. Die Rotkehlchen sind auffallend zutraulich. Neulich setzte sich eins auf meinen Spatengriff, den ich weggestellt hatte. Sie kommen aber nicht ins Futterhaus, wahrscheinlich vertragen sie keine Sonnenblumenkerne. Ich biete ihnen Weichfutter an, aber bisher erfolglos.

Mutter hätte nie geglaubt, dass Dieter noch einmal nach Gelnhausen kommt. Ich habe erst Malte über seine Osterferien eingeladen und bekam eine Zusage. Dieter war sogar erfreut über meinen Busfahrt-Vorschlag. Er schlug selber vor, dass Evelyn und Nele während der Busfahrt in Gelnhausen wirtschaften sollten, um auch mal an andere Luft zu kommen. Er selbst hatte eine Kur in einer Bechterew-Spezialklinik bei Regensburg beantragt. Sie wurde aber zunächst abgelehnt. Er wird mit Unterstützung seiner Professorin weiter bohren. Er will nun über die Feiertagswoche selbst nach Gelnhausen kommen ! Allein kann er schlecht fahren, weil er keinen Koffer tragen kann. Mutter hat auf die Busfahrt verzichtet und wird Dieter versorgen. Wir werden dafür Vorräte anlegen. Seit die kleine Nele wieder daheim ist, hat Dieter wieder Mut geschöpft, auch für seine Arbeit. Nele bleibt weiter unter ärztlicher Aufsicht. Um den Darm zu schonen, isst sie hauptsächlich Kartoffeln und trinkt vom Arzt verordnetes Malzbier (ohne Kohlensäure). Der grösste Teil des Dickdarms wurde ihr herausgenommenen, der verlängerte Dünndarm an den After angenäht. Bis sich alles eingewöhnt hat, geht sie alle halbe Stunden aufs Klo, kann auch vorläufig nicht zur Schule. Das Kind weiss alles und ist sehr vernünftig. Am Telefon betont sie immer, es ginge ihr gut. Sie soll sich aber wirklich nach dem Elend in der Klinik erholt haben. Wochenlang wurde sie nur durch Tropfinfusion ernährt, war leichenblass bis in die Lippen und nach Aussage der Mutter so mager wie ein Strich. Sie selbst [Evelyn] lebte in der Hauptsache schon immer von dem, was ihre Kinder liegen [übrig]liessen. Als die Entscheidung fallen sollte, ob die Darmoperation gleich oder erst nach einer Erholung [stattfinden sollte], da waren wir alle für einen Aufschub, weil wir glaubten, die Kleine würde den Eingriff kaum überstehen. Wir haben in der Zeit alle drei Tage in Berlin angerufen. Nach gründlicher Aussprache mit dem Chirurgen hat Dieter sich für den sofortigen Eingriff entschlossen. Und bis jetzt ist ja alles gut gegangen. Hoffentlich geht die Wiedereinbürgerung in das bürgerliche Leben eben so glatt vor sich.

Wir schrieben Euch wohl schon, dass Ernst Stölzel eines Morgens mit dem Fahrrad in eine Schneewehe gestürzt ist und am Bordstein einen Beckenbruch produziert hat. Er muss im Krankenhaus einige Wochen auf dem Rücken liegen und darf das Bein noch nicht belasten. Wenn er gehen muss, nimmt er zwei Krücken. Er ist sehr zufrieden, dass er für Monate krank geschrieben wurde und inzwischen von seiner Nachbarin gut gefüttert wird. Zweimal wöchentlich bringt ihn das Unfallauto ins Krankenhaus zum Bewegungsbad. Wir haben ihn zweimal im Krankenhaus besucht, und er ruft uns seitdem noch öfter an als sonst. Er hat aber auch sonst viel Besuch.

Mutter ist ein Brücke zerbrochen, die seit 25 Jahren zwei Zahnstümpfe verband. Der Zahnarzt hält es wegen ihres Alters für unlohnend, sämtliche morschen Zähne oder Stümpfe zu ziehen und Vollprothesen zu bauen. Das sei unnötig schmerzhaft und würde die Kau-fähigkeit kaum verbessern, eher vermindern. Letztere kann ich nur bestätigen. Nicht nur das Kauen, sondern jede Unternehmung, selbst das Briefeschreiben, geht im Alter so unendlich langsam. Nur so lange man etwas schafft, und wenn es die Verkartung der Kirchenbücher ist, lohnt es sich zu leben. Und ich hoffe ja immer noch über Familiendiagramme zu Vergleichbarkeit und zur Verallgemeinerungen zu kommen. Ende März soll ich über die Anforderungen der Kreisheimatstelle über Ziel und Methoden der Familienforschung spreche. Leide ist meine Stimme ebenso schlecht wie Gedächtnis und Gehör.

Es wird Zeit, dass ich schliesse, aber Eure Briefe sind meinem weit voraus.

      In Liebe Euer Vater

Ulrich Gross

Brief meiner Mutter im selben Umschlag 17. 3. 79

Meine liebe Ba !

Hab Dank für Deine letzten Brief. Endlich schreibe ich auch wieder, nachdem Vater alle Briefschreiberei, als Dank für seine Geburtstags Gratulationen, all die Woche getätigt hatte.

Ich habe es so verfolgt als Susanne aufbrach und sich in ihrer neuen Lebensweise hereinfinden musste. Ich weiss, wie schwer es für eine Mutter ist, [wenn] ihr Kind das erste Mal von [zu] Hause weggeht. Rolf war mir als Berater in dieser Zeit so nötig und ans Herz gewachsen; ich habe seinen Fortgang besonders stark empfunden. Als nächstes ist es dann, wenn ein Kind heiratet und man es an die zukünftige Frau abgeben muss. Das ist für jede Mutter schwer. - Ja und die Tröstung, Susanne ist noch in der Nähe! Bei ihrem intensiven Einsatz einmal in der Ausbildung, zum anderen all die neuen Menschen in sich aufzunehmen, ist sie so sehr mit sich beschäftigt. Wohin kann man zu ihrem Geburtstag schreiben? - Aber schreibe mir, wie es mit ihr weitergeht. Ob sie das so anspruchsvolle [Art] Center schafft und glücklich dabei ist. - Sehr anerkennend sind Vater und ich über Cornelius Tun. Es ist ja erst vergangenes Jahr gewesen, als wir bei Euch waren, dass er seine Klarinette bekam, und nun ist er schon im fortgeschrittenen Orchester. Er ist, glaub ich, Vaters einziges musikalisches Enkelkind. In seinen Einser Noten konkurriert er mit Malte. Der lernt neben Latein und Englisch nun Russisch. Wie ist Cornelius auf Chinesisch und Persisch verfallen?

Vater wird Malte über Ostern zu einer Busfahrt nach [der] Steiermark[?] mitnehmen - Hallstadt - Sein Vater Dieter ist sehr froh darüber, denn er selbst kann bei seiner Behinderung dem Jungen ja nichts bieten. - Ich hätte ein Wunsch an Dich und Rolf, ob ihr Malte in deinen grossen Ferien (19. 7. - 1. 9.) zu euch einladen könntet? Eventuell würde er dann mit Rolf und Cornelius zurück kommen. [von Dieter und Evelyn energisch abgelehnt.] Weisst Du, Ba, mir ist so schwer, wie kummervoll es in Berlin geht. Dieter ist tatsächlich mit seiner Krankheit weiter fortgeschritten. Er hat mal eine erneute ärztliche Betreuung nötig. Die Ärztin, mit der wir damals korrespondierten (Du entsinnst Dich darauf) wird nur telefonisch konsultiert! Nun hat sich die Kur noch nicht ermöglicht, weil Berlin nicht in der Liste dieser Bechterew Heilanstalten stand. Die ist vielleicht später durchzusetzen. Zuerst war dort die Sorge um Nele so im Vordergrund. Das Kind ist fabelhaft schnell über die schweren Eingriffe hinweg gekommen. Seit dieser Woche geht sie wieder zur Schule. Alle 4 haben geplant, über Ostern zu uns zu kommen. Dann sehen mal alle "andere Tapeten". Mit anderer Hilfe kann Dieter die Reise wagen (Koffertragen), und Evelyn soll mal von allen Haushaltssorgen befreit, sich hier erholen. Ich habe gestern schon alle Betten gesonnt und gerichtet. - Sage Rolf mal, er soll grosse Geduld mit seinem Bruder haben, auch wenn er so gar nicht schreibt, weil er sich mit seinem Kranksein so verkriecht!

Grosse Freude hat uns das Bild "Rittersporn" von Gerhard gemacht. Rührend schickte Anneliese einen zerlegten Rahmen mit, den hat unser Nachbar (umsonst) zusammengesetzt und mit Glas versehen - der Glas-Hettrich - Mutter Geibel wird ja jetzt kommen. Ich freue mich sehr für Anneliese. - Durchs Telefon sagte sie mir, dass Anneliese im August wohl nicht zum Geburtstag hier sein würde, weil sich eine Tochter von Bonses (Freunde, die Peter letzten Sommer [nach Deutschland] mitnahmen) zu ihr kommen wollten. So viel Auskunft auf [um] 3 Ecken. - Wenn Du mal mit Anneliese sprechen könntest, ob sie das nicht gerade am 22. 8. vor hat.

Ich erlebte die letzten Tage einen ziemlichen Schock. Mein Zahnarzt erklärte, dass er mir eine Prothese im Unterkiefer nicht machen möchte bei meinen 80 Jahren. Wie lange ich noch leben wollte! Nun soll ich mit den alten Brücken und Kronen weiter leben. Dazu erkläre ich, dass Vater mit seiner neuen Zahnprothese gar nicht zurecht kommt. Ich bin immer entsetzt, wenn ich an Alters Behinderungen denken soll. - Wie seid Ihr mit Eurem neuen Dach zu frieden? Was hat es gekostet? Wir ziehen [Vor-] Anschläge für unsere Dachhaut heran. Die Schneemassen sind an Stellen durchgekommen.

Liebe Grüsse und gute Skifahrt.

In Liebe Mutti.

 

Brief meiner Mutter 22. 4. 79

Meine liebe Ba !

Ich hoffe der Brief erreicht Dich noch vor Deiner Vertragsreise [deutsche Touristen im Südwesten leiten] . Ich finde es so tüchtig, dass Du zu den Ausgaben für Susanne beitragen wirst. Die Idee einer Reiseführung ist fabelhaft. Du, bei Deiner Bildung, Sicherheit im Auftreten, Deiner Erscheinung bist fabelhaft geeignet für solchen Posten. Im übrigen dürfte Dich das Sehen neuer Gegenden und hoffentlich ansprechende Menschen auch locken. - Wann und wohin geht die Tour? Sind es amerikanische Gruppen? Wie bist Du dafür ausgebildet worden? Die 2 Männer daheim müssen ohne Dich auskommen und schaffen das auch! - Habe Dank für die Karte von der Skireise. Es war ja allerhand, mit 6 Kindern die zu unternehmen. Peter wird die neue Skiausrüstung begeistert benützt haben. Und Anneliese war sicher gern mit ihrer Mutti allein.

Wir haben die Ostertage dankbar erlebt. Die Kleine Nele war erstaunlich beieinander. Sie ist ein sprudelndes immer tätiges Menschenskind. Im Essen war es noch schwierig: Kartoffeln und Malzbier! Die wählerische Einstellung zu allem Essbaren, muss sich noch geben. Sie ist dabei noch recht verwöhnt. Aber mit dem "Verschwinden" [aufs Klo] ging es in Ordnung. Sie näht und malt reizend. Und vor allem liest sie viel, so dass sie sich stundenlang mit einem Buch beschäftigte. Ich hatte 5 Kinderbücher für sie ausgeborgt. Für den Malte war die Reise nach Hallstadt vom Reisbüro abgesagt. Ich war ganz erleichtert bei dem Schneewetter in den Alpen und auch wegen Opas Unpässlichkeit. Malte ist mit seiner Mutter in den hiesigen Wäldern viel gelaufen. Evelyn war so "hungrig" auf die Bewegung. Der Junge hat hier im Haus alle elektrischen Schäden beseitigt: Steckkontackte, Litzen, Lampen und Klingel in Ordnung gebracht.

Vater Dieter ist bedeutend elender dran. Die Wirbelsäule ist befallen, er kann nur schlecht laufen. Er ist aber geduldig, klagt nie. Frau und Kinder sind lieb mit dem Vater. - Freilich ist er oft verbittert über seine ausweglose Behinderung. Von der Kur im Juni am Chiemsee verspricht er sich nichts! - Ich war dankbar, dass er sich mal ausgesprochen hat und die Verklemmungen, uns nichts wissen zu lassen, fallen gelassen hat. Evelyn ist sehr tapfer, die dem Mann hilft, und die süsse, kleine Tochter ist Vaters Sonnenschein. Dank, dass sie erhalten blieb. - Zu den Sommerferien hat Evelyn mit Malte eine Wanderung im Schwarzwald vom Jugendherbergsverband gebucht. Ihre Freundin mit Tochter, auch 13 Jahre, geht mit ihnen. Es ist eine Studienrätin aus Berlin aus ihrer Nähe. Nele bleibt bei dem Vater, ob sie eventuell zu uns kommen, steht noch nicht fest.

Besorgt bin ich um Ulrich. Er ist ganz wortkarg und hat immer neue "Wehchen". Die Zahnprothese passt nicht, er kann nicht richtig essen. Er hört schlecht, läuft erschreckend langsam. Ihm war der Trubel wohl auch [zu] viel. Jetzt wo wir für uns sind geht es besser. Ich muss ihm ausreden, dass er ein alter Mann geworden ist. Er hat doch noch so viele Interessen und weiss viel. -

Inliegender Ausschnitt von Frau Ruff für Rolf. Sie wohnen jetzt Salzstrasse 1, 8229 Ainring, und zwei Bildchen von Nele in unserem Ölrüster[?].

Herzlich Mutti

 

 

Luftpostbrief von Mutter 14. 5. 79

Lieber Rolf !

Wie mag es Euch beiden Männern ohne die Mutti ergehen? Ich finde Bas Einsatz so tüchtig. Ich glaube, dass sie mit ihrem eleganten, freundlichen und klugem Wesen dafür so gut geeignet ist. Hoffentlich strengt sie alles nicht zu sehr an.

Ich schreibe Dir heut, welche Pläne ich für den August habe. Ob Du und Cornelius in die sich eingliedern kannst. Ich will den Geburtstag auf den 18. 8. vorverlegen. Es ist dies ein Sonnabend, an dem Stölzels (Brigitte will kommen) und Udo und einige Bekannten von hier am besten können. Alle will ich zu einer Kaffeetafel im Schlösschen laden. So habe ich am wenigsten Arbeit und bin die Fremden gemeinsam los. Tine schreibt, sie will Kati herschicken, die dann ihr Abitur hinter sich hat. Sie sind nun umgezogen. - Derek arbeitet als Beauftragter von England und nicht der Kolonie H.K. und musste die Wohnung der Kolonie aufgeben: 12 A Stanley Beach Rd., Stanley, Hong Kong.

Es ist direkt an der Bucht und Tine hofft durch die Seeluft Erleichterung vom Asthma. Das Ehepaar kann keinen Urlaub machen und Patrick in der [Segel-] Werft auch nicht. Er hat sich ein kleines Segelboot gekauft.

An Anneliese schrieb ich soeben auch und fragte, ob sie ihre Pläne auch so einrichten könnte und am 18. 8. bei uns sein könnte. - Übrigens wünsche ich mir für meine Wand in der Schlafstube neue Bilder von Euch und den Enkeln.

Wir waren gestern auf einer Fahrt mit dem Geschichtsverein in Aschaffenburg. Grosses Museum. Das letzte Bild vom Grünewald (Christi Grablegung) in der Stiftskirche. Ein schöner Kreuzgang. - Am 8. - 18. 6. geht die Ägäis Reise los. So wie wir Griechenland noch erleben können. - Zuvor wollen wir noch 1 Tag nach Marburg. - Schliesslich warten wir darauf, unser Flachdach frisch decken zu lassen, durch dieselbe Firma von allen Quelle Häusern. Wir sind ja schon 15 Jahre unter dem alten Dach!

Sei lieb gegrüsst von Eurer Omi.

 

 

Brief von Vater ohne Umschlag 27. 5. 79

Lieber Rolf !

Es freut mich sehr, dass wir Dich und Cornelius Ende Juli wiedersehen sollen. Mutter hat Dir ja ausführlich geschrieben, wie unser Plan ist. Wir hoffen sehr, dass Ihr zur Kaffeestunde auf dem Schlösschen kommen könnt. Hoffentlich hat Cornelius mehr Glück mit dem Wetter als damals in Tirol [?].

Von Ruffs bekam ich noch mehr Drucksachen für Dich über den berühmten Sufi [Rumi] aus Konya. Ich will sie einem alten Bekannten und Türkeikenner zeigen, der aber z.Zt. als Reiseleiter im Südwesten ist. Du bekommst sie, wenn Du hier bist. Ruffs sind nach Airing (Oberbayern) gezogen. Nur die Frau fährt noch alle Vierteljahr nach Istanbul, um dem Teilhaber am Geschäft auf die Finger zusehen.

Ausserdem will ich Dir nach unserer Ägäis-Fahrt ein Buch von Gaitanides (Deutsch-Grieche!) über die griechische Inselwelt (Landeskunde, Volkskunde, Wirtschaft, Geschichte) geben. Ich habe es für unsere Reise gekauft, obwohl es kein "Reiseführer" ist. Die Fahrt beginnt jetzt früh zeitig um 6:35 am 8. 6. Mit einem neuen Bus der Kreiswerke. Übernachtung in Inzing bei Innsbruck. Ankunft in Venedig nachmittags. Um 19:00 läuft das Schiff aus. Am 10. 6. in Bari, 14:00-16:00. Wir werden an Bord bleiben. 11. 6. Busfahrt von Katakolon nach Olympia (15:00-18:00). 12. 6. Santorini (8:00-11:00) und Heraklion (15:00-20:00) (Museum und Knossos). 13. 6. Rhodos (8:00-16:00) (Rundgang). 14. 6. Piräus: Athen 7:00-13:00 Rundfahrt. 15. 6. Rückfahrt. 16.6. 10:00 Landung. Übernachtung in Mestre (mein Vorschlag). Tags frei für Venedig. Was sollen wir uns ansehen? 17.-18. 6 Busrückfahrt, Übernachtung in Inzing. - Auf dem Schiff haben wir Innenkabine mit 2 Unterbetten im 2. Deck von unten. An Bord drei Schwimmbäder, Kino und Arzt. - Während unserer Norwegenfahrt starb ein älterer Mann. Man hat ihn in den Kühlraum gepackt zu den vielen geschlachteten Hammeln, die das griechische Schiff mitgebracht hatte (400 Mann griechische Besatzung für 600 Gäste). Diesmal ist es ein italienisches Schiff, etwas kleiner: 16000 ton. Im ganzen nicht so gut organisiert, wie bei der Touropa in Norwegen.

Ich habe mir für den Garten einen dunkelblauen Schlosseranzug von Quelle kommen lassen. Dazu für die kältere Zeit eine echte Levi-Strauss Weste 38 (Zoll?) von der schwerste dunkelblauen Sorte. Die viel aufgesetzten Taschen sind, wenn man sitzt, unzulänglich und das Anziehen ist wegen des engen Sitzes etwas beschwerlich. Aber sie passen in meine Gummistiefel. Nun trägt Dein alter Vater wirklich Blue Jeans.

Die Anlage gib bitte Susanne. Ihr langer Brief hat uns wirklich gefreut.

Euch allen viel Grüsse !

Vater

 

Brief von beiden Eltern

Von Mutter 29. 6 .79

Meine liebe Ba !

Zu Deinem Geburtstag sehr liebe Wünsche. Ich hoffe, Du kannst ihn zu Hause erleben, und Deine Familie kann sich mit Dir freuen. Es ist ja Sonntag, da wird Eure Susanne herüber kommen. Mit Freuden lese ich immer, wie sie so ganz in ihrer Arbeit aufgeht, wie die Berufsentscheidung das richtige war. Nun trägst auch Du dazu bei, sie ihr zu ermöglichen. Ich finde Deinen Eisatz bewundernswert. Möchtest Du dabei Deine Kräfte nicht überschätzen. Auf unsere Fahrt in Griechenland fanden wir sehr intelligente Fremdenführerinnen, die meist die Begeisterung für ihr Land und dessen Vergangenheit mit Liebe verständlich machten. Ich dachte manchmal an Deinen Job.

Vater hat mit viel Ausdauer seinen Bericht über die Fahrt nach der Ägäis fertig gemacht, den Ihr Kinder alle erhalten werdet. Ich freue mich über den Bericht, weil er mir das Wertvolle für mich so hervorhebt. Ich war von der Vergangenheit beeindruckt, aber von der Gegenwart abgestossen. Wie herabgekommen und primitiv ist das Land und seine Menschen. Dazu waren die Menschen auf dem Schiff für uns so wenig entsprechend. Besonders die lauten Italiener, grässlich. Wir sind auch für den Trubel und die Hektik des Unternehmens zu alt. Und die Menschen und ihre Aufnahme und das grossartige Land in Norwegen hat mich mehr angesprochen.

Nun habe ich hier im Hause wieder alles im Griff! Die Säuberung von Haus und Garten mit Hilfe von Vater und meiner fleissigen Frau ist fertig. Augenblicklich kommt eine Menge von Beeren zu verarbeiten und bald die vielen Kirschen. Du weisst, dass mir solches Tun schwer fällt. Neue Woche soll die zweite Seite im Unterkiefer vorgenommen werden. Durch Zufall geriet ich an einen reizenden alten Arzt (der erste, der Vater versorgt hat, war in Urlaub). Er sagte gleich: "sie sind ganz stabil" und nicht "sie sind zu alt". Jedenfalls ging das "Weh,Weh" am Ende der Reise nicht auszuhalten. Es war auch tragisch, dass der Arzt auf dem Schiff kein Wort Deutsch verstand und weniger Englisch. So bin ich aber durch Penicillin Spritze und Tabletten nach Hause gekommen. - Dieter ist seit 14 Tagen zur Kur in Aibling und schreibt ganz zufrieden. Gegen die Krankheit ist nicht viel zu unternehmen. Mir geht die Beurteilung, die seine Berliner Ärzten uns damals nach Los Angels sandte, nicht aus dem Sinn..

Ich erwarte einen Anruf von Anneliese, wann sie herkommt. - So, nun kann Vater den Brief in die Stadt mitnehmen. Ich bin früh aufgestanden, um ihn zu schreiben.

In Liebe Deine Omi.

Von Vater 29. 6. 79

Liebe Barbara !

Es tut mir leid, dass ich Dir zu Deinem Geburtstag nicht persönlich meine Glückwünsche bringen kann. Da dieser Brief doch wieder sehr wenig sagen wird, schicke ich Dir heute einen 50-DM-Schein und einen Durchschlag meines "Berichts" über die Ägäis-Fahrt. Er hat mich immerhin 4 Abende gekostet. Ich bin halt jetzt tags immer müde, sodass ich die erwähnten Busfahrten zum guten Teil verschlafen habe, ganz abgesehen von den ortsüblichen Gesellschaftsspielen und Tanzereien an Bord. Dagegen hörte ich einmal nachmittags der 40köpfigen schwarzen Band aus der Karibik ganz gern zu. Für das Abendessen u.s.w. war übrigens dunkler Anzug und Schlips bzw. "kleines Abendkleid" vorgeschrieben. Bei Sonnenbaden und Schwimmen auf Deck war die Bekleidung (nicht unsere; ich hatte mir extra eine fast weisses Jackett gekauft) wesentlich sparsamer, obgleich die meisten alt und ausgesprochen dick waren. Höchstens 1/3 waren Deutsche (von ~500), viel Italiener, einige Engländer oder Amerikaner. Ich werde versuchen für Rolf noch einige Drucksachen zusammenzustellen. Den "Bericht" zeige bitte auch Anneliese und selbstverständlich Rolf.

Gleich am ersten Abend wieder in Gelnhausen pflückte ich im Garten 1 Pfund Erdbeeren. Seither ist mindestens jeden 2. Tag Erdbeer-, Himbeer-, bald auch Kirschenernte. Wenn das so weiter geht, kann Käthe für ein Jahr Kompott und Brotaufstrich einkochen. Die Kirchenbucharbeit, leider auch die Auswertung, ruht jetzt für einige Wochen.

Dich und die Deinen grüsst herzlich

              Dein Schwiegervater

Ulrich Gross.

 

 

Luftpostbrief meiner Mutter 31. 8. 79

Liebe Kinder !

Heut Morgen sind die Hogans im Auto in die Priller-Farm abgereist. Derek hatte auf dem Flughafen sich den billigsten VW für 1 Monat ausgeliehen [gemietet]. Sie waren glücklich, das viele Zeug unterzubringen. Ihr Flug war in einer leeren Kabine (für Regierungsangestellte) leicht verlaufen. Aber Tine kam mit schwerer Migräne an und hat den ersten Tag bis zum nächsten Morgen verschlafen. Sie ist ein elendes Bündel und hat oft Asthma. Nun soll sie sich mal bis zum 22. 9. Erholen. Alles auch zwischen dem Elternpaar verlief harmonisch. - Zu meiner Freude brachten sie mir eine Reisstroh Einkaufstasche mit. Die benützte ich gleich zu einer Besorgungsfahrt im Auto und holte meine [Zahn-] Prothese ab, die noch grässlich drückt! - Vati wurde schon zum 2. Mal von Dr. Johst untersucht. Heute war der Blutdruck durch Kony-farbe [?] bedeutend heruntergegangen. Das macht ihn müde und zitterig. Nach Johst eine richtige Reaktion auf diese Senkung. Appetit und Schlaf sind aber gut. - Wir haben uns überlegt, dass wir den Trubel um die Goldenen Hochzeit entgehen wollen und wenn Hogans auf ihrer Rückreise bei uns waren nach Orb für einige Tage verschwinden werden. - Die Tin ist richtig in Chamonix gelandet und steigt froh auf die Gipfel.

Lieber guter Rolf! Nun herzliche Wünsche für Deinen Geburtstag. Du hast mir bei Deinem Hiersein [auf der Rückreise vom Athos] so besonders lieb beigestanden. Gelt, in solch einem "Tief" hast Du Deine Mutter noch nicht erlebt. [Vater war in der Stadt allein ohnmächtig zusammengestürzt und verbrachte mehrere Tage im Krankenhaus]. Aber nun ist es überstanden. Ich hoffe wieder tapfer, Kommendes meistern zu können. Auch habe ich von drei Kindern die Gewissheit erfahren, dass sie mir immer helfen werden. - Sei Du im neuen Lebensjahr nicht zu aktiv. Habe Freude an Deinen Kindern und lass Dich von Deiner so lieben Ba stützen und verwöhnen.

Ich denke mit viel Liebe an Euch und auch an Anneliese und Peter.

Eure Mutti

 

Brief von Vater [winzig kleines Gekritzel] 2. 9. 79

Lieber Rolf !

Zunächst vielen herzlichen Dank für Deine und Cornelius Besuch. Es war so schön, Euch beide wieder mal ein paar Tage bei uns zu haben. Deine Nichte Katharina ist glatt im Chamonix gelandet. Sie schickte uns eine Ansichtskarte von einer steilen Kletterpartie im Eis mit dreifacher Seilsicherung. Die Eltern erzählten mir: auf solche Eisklettereien sei die Kleine besonders scharf. Laut Karte war es im Chamonix sehr-sehr kalt. Es gibt jetzt für solche Kälte gefütterte Overalls. Hogans Besuch war auch sehr harmonisch. Sie hatten ab Flugplatz einen VW-Golf für wöchentlich rd. 150 DM gemietet. Sie sind gestern damit nach Mölln unterwegs. Wollen auf dem Rückweg in Aibling (zwischen Salzburg und Rosenheim) das Ehepaar Dr. Ruff-Istanbul besuchen. Endlich mal, ein längst fälliger Besuch.

Derek hat abgenommen. Patrick sah sehr gut aus. Tine im Gegenteil, obwohl sie statt ihres Pferdeschwanzes einen gut geschnittenen Pagenkopf [hat]. Nach ihrer Ankunft hat sie nichts gegessen, aber einen vollen Tag geschlafen, nach Einnahme eines Migränepulvers. Bis zur Abreise ging es ihr wieder besser. Der Flug ging wie bisher über Vietnam, Indien und Persien. Die Zwischenlandung weiss ich nicht.

Heute hatten wir einen Anruf von Frau Geibel, die sich nach meinem Befinden erkundigte. Seit der Entlassung aus dem Krankenhaus ist der Blutdruck auf 150 : 90 heruntergegangen. Trotzdem wir nur kleine Spaziergänge machten, bin ich neulich nach kurzem Hinlegen an der Haustür gefallen, aber ohne Folgen.

Am 22. - 25. 9. wollen die Hogans noch einmal bei uns sein. Dann folgen die Tage um die Goldene Hochzeit (1. 10.), die amtliche Trauung in Waldenburg war am 16. September 29. Um dem ganzen Zauber zu entgehen, werden wir am 29. 9. Bis 2. 10. Nach Bad Orb ziehen und hier alles absagen. Ich hatte mir eigentlich vorgestellt, wir wären am 30. 9. Mit allen Kindern hier in Gelnhausen beim Dekan zum Abendmahl gegangen. Aber das gelingt nicht.

Zu Deinem Geburtstag werde ich Dir das Buch von Gaitanides über die Kykladen schicken, sobald ich es von Haupt zurück habe. In dem Taschenbuch von Lawrence Durrell über Rhodos liest Mutter zur Zeit. Es ist gut, wenn auch lange nicht so gut wie das Zypernbuch.

Wir hatten heute einen stillen, sehr warmen Sommertag, etwa bis 27 Grad (in Hong Kong 35 Grad) im Chamonix Neuschnee und Kälte.

Zum Schluss allerseits viele herzliche Grüsse

Von Deinem Vater.

 

 

Luftpostbrief meiner Mutter 19. 12. 79

Lieber Rolf !

Vielleicht kommt dieser Brief noch zum Fest an. Ich wünsche Euch allen sehr schöne Weihnachten. Wo nun Barbara glücklich zurück sein wird, ist es sicher schön bei Euch. [Barbara war wieder einmal bei ihren Eltern. Vater Lattmanns Geburtstag war am 23. 12.]. Einen Baum habt Ihr in der alten Weise gerichtet mit Wachskerzen, Sternen und Äpfeln [und Orangen!]. Und Du, Rolf, hast Dich in der Kochkunst betätigt. Ich kann Dir versichern, dass es für uns Beide hier ein Geschenk war, dass Barbara so überraschend bei uns sein konnte. Und auch wir, nicht nur die Lattmanns, sind Dir für Deinen grossen Verzicht dankbar. Barbara wird Dir erzählen, dass es bei unserem Vater besser geht. Sie hat ihn in den Wald am Blockhaus gefahren und ist dort erzählend spazieren gegangen. - Soeben geht ein Brief nach dem Spessart Sanatorium in Orb. Ich hatte mit dem dortigen Chefarzt und zuvor mit Dekan Haupt telephoniert. Beide rieten uns, ein Kur dort zu versuchen. Den Aufnahmebescheid warten wir nun ab. Voraussichtlich Mitte Januar. Es ist ja so notwendig, dass ein anderer Arzt ihn behandelt und bewacht und Vater ihn akzeptiert. Und der Orber Spezialist war uns empfohlen. Ich denke Vaters Zustand ist so weit, dass er ohne mich dort sein kann. Einmal ist es für mich verlockend die Verantwortung nicht zu tragen. die Vater ja auch lästig ist - jeden Schritt, jedes Medikament zu kontrollieren. Hoffen wir beide, dass Vater ein zufriedener Mensch wird und sich wieder etwas zutraut.

Wir haben eine kleine reizende Tanne gefunden. Für die kaufte ich (zusammen mit einem neuen Schreibtisch Stuhl für Vater) eine kleinen niedrigen Tisch. Geschenke von Euch sind auch schon da. Und der Mohnstollen von Deinem lieben Weib! So brauche ich nicht mehr zu backen.

Also Euch allen - hier und in der Ferne - gesegnete Weihnachten.

Dein Mutti, Eure Omi.

 

 

 

 

Brief beider Eltern 4. 1. 1980

Mutter:

Liebe Ba !

Als wir gestern den Christbaum abräumten, kamen Euer Paket und Tines Weihnacht Sendung. Das war ein guter Abschluss unserer Weihnachtszeit. Wir hatten diese friedlich und geruhsam verbracht. Von allen war Post gekommen. Zuletzt von Marga ein Sammelbrief, in dem sie mitteilte, dass Deines Vaters Zustand sich wieder gebessert hätte, und sie hoffen könnte, dass es weiter zum Guten gehen würde. Du hast gewiss diese Schreiben auch bekommen.

Soeben kommt Dein guter Brief, in dem Du von dem Heimkommen zu den Deinen berichtest. Du Gute! Ich schreibe sofort am Küchentisch und lass meine Plättwäsche liegen.

Was kam aus dem Paket, was wir gerade so nötig brauchten. Du hast ja gehört, dass ich hier vergeblich nach eine Gummischürze aus war und den Kauf bei einem Besuch in Frankfurt aufschob! So habe ich sofort einen Waschtag anfangen1 Na und mit der Hausjacke für Vater ging es ähnlich. Seine Seppeljacke war nun wirklich verbraucht, und wir überlegten welchen Ersatz wir besorgen müssten. Zumal jetzt für Orb. - Sie passt reichlich, sogar die Ärmelstulpen gehen umzuschlagen. So wurde sie gleich anbehalten! Die Feigen und zuvor die Datteln sind willkommen. Erste werden kleingeschnitten, dass wir sie beissen können! Ja und an dem Kuchen mit Luftpost haben wir bis Neujahr uns erfreut. Es war rührend wie wir von allen Seiten - [von] Brigitte, meiner guten Hilfe, den Schwestern Felmberg und der Nachbarin Sigrun, Plätzchen einheimsten. So haben wir noch lange was zum Schlecken, und Ulrich kann ein Teil nach Orb mitnehmen.

Einen festen Termin für dort bekommen wir am Montag, bis da ist das Sanatorium in Ferien. Es ist so, dass sich Vater nun ganz auf den Plan eingestellt hat und hofft, dort mit Schwimmen, Massagen fit [zu] werden. Der dortige leitende Arzt wird gelobt. Hoffentlich reduziert er die [Vaters] Medikamentsucht! - Ich werde 2 Mal in der Wochen hinfahren und habe die Zug Zeiten aufgeschrieben. Das Hinbringen machen wir mit einem bekannten Taximann. Also haltet die Daumen. Ich schreibe gleich, wenn wir die endgültige Zusage haben.

Sei 2 Tagen liegt Schnee. Noch nicht viel, und wir gehen vorsichtig in den Stadtgarten. Zumal wenn immer mal die Sonne herauskommt.

Ich werde die Post gleich in den Kasten am Holztor einstecken. - Für das Geld Dank. Bekommen wir die Kur erstattet, geht es an Rolf zurück.

An alle sehr liebe Grüsse von Eurer Omi.

Vater: ohne Datum

Lieber Rolf !

Heute geb ich Dir die "Deutsche Jugendbewegung" von Laqueur mit Dank zurück. Das Buch ist gut. Ich habe solche Bemerkungen angestrichen, die ich für besonders wichtig, bzw. richtig halte. Über den eigentlichen Wandervogel (1900-14) kann ich kaum etwas sagen. Ich habe in der Zeit zwar gewandert, meist mit meinem Vater, gehörte aber keiner Gruppe an, weil am Forster Gymnasium keine bestand, sondern nur eine von einem Oberlehrer geführte lose Vereinigung. Sein Nachfolger um 1916 führte die Gruppe in den Wandervogel e.V.. Ich las die "Gelben Hefte" des Wandervogel e.V., trat dem "Enfrat"[?] bei, nahm an der Sonnenwendfeier teil, holte die Gruppe (mit Mädchen) zu allwöchentlichen Sing- und Volkstanzabenden auf die Euler Stoppelfelder wo ich [~1918/19] in der landwirtschaftlichen Lehre war). Schliesslich endete das Ganze in einer 8-tägigen Riesengebirgswanderung mit meinem Freund Fritz Wallem und 2 älteren Pastorentöchtern.

Im letzten Halbjahr meiner Lehrzeit ging ich nach Görlitz als Volontär an eine kleine Landmaschinenfabrik, um Schlossern, Schmieden und Drehen, auch Schweissen zu lernen. Meine Schwester ging an eine Kochschule in Görlitz. Wir wohnten bei unserem (verwitwetem) Grossvater Handmann [mütterlicherseits]. Wir traten beide [Vater und Käthe Gross] der Ortsgruppe des Wandervogel e.V. und mit ihr, bald darauf, dem "Kronacher Bund der alten WV" bei. Jeder musste einen Bürgen stellen. Von der ganzen jugendbewegten Geistigkeit (Blüher, Wyneken, Hoher Meissner) spürten wir nichts. Die ganze Görlitzer und ab 1922 Breslauer Kronacherschaft ging zurück auf heimgekehrt WV-Soldaten, und insbesondere auf Reste der "Wandervogel-Hundertschaft", die Hans Dehmel begründet hatte für den Kampf um Oberschlesien [1920-21}]. Andere waren ehemalige Freikorps-Kämpfer. Hans Dehmel selbst wurde nicht Kronacher, sondern gründete aus der Freischar heraus eine "Grossdeutsche Hundertschaft" und kämpfte [sehr viel später] im 2, Weltkrieg mit deutsch-slovakischen Freiwilligen in Galizien. Seine Frau war eine geborene Siebenbürger Sächsin [Ungarn, wo Vater 1926-27 seine Doktorarbeit recherchierte]..

Mit dem Nationalsozialismus [den Nationalsozialisten] hatten wir keine Verbindung. Hitlers Auftreten un München hielten wir für schlechtes Theater. Wir hofften auf die Reichswehr unter Seekt.

 

 

[Rückseite] ohne Datum

Liebe Barbara, lieber Rolf !

Den Mark Twain schenke ich Euch beiden. Er wird Euch sicher gefallen. ["Travels in the Orient"] Wir beide haben ihn mit viel Vergnügen, aber auch mit hoher Anerkennung des Verfassers gelesen. Solltet Ihr ihn auf Englisch besitzen, so schenkt ihn Anneliese in unserem Namen. Wir habe im Augenblick nichts Geeignetes für sie. Mein Vater hat seinen Kindern öfters Mark Twain vorgelesen. Es waren aber keine ernsthaften Sachen, sondern "Ulk-" Geschichten aus dem amerikanischen Volksleben[!} ("Wettrennen der Ochsenfrösche" oder "Das amerikanische Duell"). Als bedeutenden Reiseschriftsteller kannte ich ihn noch gar nicht: Ich wüsste gern eure Meinung über das Buch.

Es grüsst herzlich

Vater

 

 

 

 

 

 

Luftpostbrief meiner Mutter [Kein Datum, Poststempel:] 21. 2. 80

Liebe Ba, lieber Rolf !

Vater ackert über der Steuer Erklärung, und ich bin heilfroh, das nicht machen zu müssen. So will ich Euch wenigstens auf dem Kurzbrief schreiben, wie es geht. Als Ihr am 10.2.80 gerade geschrieben habt, war ich das letzte Mal in Orb. Eine anstrengende Sache, jeden Sonntag. Die letzte Mal hatte man mich im Sanatorium zum Abendbrot eingeladen, und ich lernte die 2 älteren Tischgenossinnen kennen, die Vater rührend "betusselten". Am Abend um 19 Uhr hatte ich unseren Taximann bestellt, der uns mit Koffer und Taschen heim fuhr. Mir war immer der Rückweg vom Bahnhof [3/4 Stunde bergauf in Gelnhausen] so schwer gefallen, aber eine Taxe zu nehmen, war mir zu teuer. - Also hat Vater alles im Sanatorium sehr gut vorgefunden, Stube, Bett, Liegestuhl, eigenes Klo und Dusche. Vor allem ein sehr ordentlicher Arzt, der Massagen, Schwimmen und Gymnastik verordnete. So war er in den Wochentagen immer im eigenen Badehaus. Auch hatten sich die kleine Familie vom Geschichtsverein rührend gekümmert, und beide am Sonntag zum Tee [ein] geladen. So bin ich von meinem so kurz gefassten Entschluss froh, und Vater war zu allem willig und kam so glücklich wieder heim. Der Arzt hatte verstanden ihm alle Schrullen auszureden und ist rührend allem nachgegangen. Ich glaube, wir wiederholen solche eine Kur nächstes Jahr wieder. Diesmal hoffen wir auf 7000[?] DM Beihilfe! - Mir zum Erstaunen erklärte Vater, nun soll ich die 2 Neffen und einige Nachbarn zum Geburtstag einladen. Das war dann auch geglückt mit der Assistenz meiner lieben Frau Schmidt. Eure Post kam erst neue Woche bis auf Susannes Brief. Habt schönen Dank. Ja, es ist strahlendes Wetter, leichter Frost. So gehen wir täglich am Panorama Weg zusammen. Nur selten Besorgungen in der Stadt. Es ist doch erstaunlich, dass die Niederlage so ausgeht. Z.Zt. muss ich Vater wieder aufpäppeln, er nahm ab. Und nun rede ich ihm ein, er sei gesund! Ich selbst habe so viel geschlafen und wurde von allen Seiten eingeladen "in meiner Einsamkeit". Dabei habe ich mich ganz fidel gefühlt. Cornelius eine Gratulation zum guten Zeugnis. Bald kann er in die nahe [Ober-] Schule übersiedeln.

Euch beiden alles, alles Gute auch ohne Tiflis! [Unser gemeinsamer Tbilisi-Aufenthalt hing in der Schwebe]

Eure Mutti.

 

 

 

Brief meiner Mutter 25. 4. 80

Meine liebe Ba !

Die Anzeige vom Tode Deines Vaters kam am Sonnabend, so dass ich gerade noch über Fleurop einen Kranz als Abschiedsgruss von uns auf den Friedhof senden konnte. Eben habe ich an Marga geschrieben. Nun kommst Du dran. - Du bist am meisten betrübt, dass dieser Tod Dich nun trennt. Aber denk, er ist nun aufgehoben, von seinem Siechtum erlöst. Ich schrieb an Marga, dass sie dem Vater einen schönen Lebensabend geschaffen hat, dass Du ihr dafür besonders dankst. - Wie mag es zuletzt gegangen sein? Ist er in der guten Klinik geblieben. Es hat ja noch Wochen gedauert, bis er starb.

Zugleich danke ich Dir und Rolf (dass er sich photographieren liess!) für Eure liebe Sendung. Es tut so gut zu wissen, dass ihr lieb an mich denkt. Es gibt mir immer einen Aufschwung. - Rolfs Bild ist gut. Wer hat es gemacht? Lieb war mir sein "Gesicht" auf dem [offiziellen Aerospace Photo] von der Preisverteilung [Patenthonorar von $100), das ich mir oft angucke. Ich bin mit Euch froh, dass der Plan "Tiflis" abgebrochen ist. [er war's nicht, nur:.] Die Zeiten für Russland sind ja für euch auch gefährlich, besonders für Rolf als Physiker. [auf Cornelius' ausdrücklichen Wunsch sind wir im Oktober-Dezember doch gefahren!] - Es ist in Deutschland auch solche Spannung. [Iran-Geiselkrise dann Polen-Solidarity Krise] Aber die Tatfurcht vom Kater [Carter] empört mich, und dass er nun auch Deutschland in seine Konflikte hereinzieht. Er hätte schon anfangs, seine amerikanischen Geiseln aus Iran versuchen sollen zu befreien. Da wäre der wahnsinnige Comeni eher verachtet worden vor der Welt. Aber der Kater zuckt ja vor all seinen Entschlüssen zurück. - Wir befürchten, dass Strauss im Herbst das Rennen gegen Schmidt noch gewinnt; von uns bekommt der keine Stimme!

Nun zu Vater, es geht seit Orb besser. Aber seine Grundstimmung, die ja seit Jahrzehnten besteht, verschärft sich immer mehr. Er verkapselt sich so ganz und gar. Durch Beziehung zur Kirche, dem Geschichtsverein und einigen netten Leuten suche ich ihn herauszureissen. Sein ständiger Widerspruch ist immer da. Und die Suche nach Krankheitsursachen! Ich kann ihn nicht von 10-erlei Pillen abbringen. - Was mich im Augenblick traurig macht, ist Dieters Einstellung, an der ich Schuld habe. Ich habe einige Male geklagt über Vati. Nun meint Dieter, ihm gehe es doch auch schlecht. Er sieht nicht, dass Vater ein verbrauchter, sehr alter Mann geworden ist. Ostern hatten die Berliner ihr Dach neu decken müssen und konnten nicht wegfahren. Er bekam eine Rechnung von 3000 DM darüber. Und von der Polizei die befristete Aufforderung, seinen Öltank in eine Betonwanne setzen zu lassen. Vater hat darauf Dieter geschrieben, ihm Geld (von seinem künftigen Erbteil) zu geben. Ich warte seit gestern auf einen Telefon Gespräch und Dank an Vater. Der leidet sehr, sagt das aber nicht. - Ich suche so viel ich kann, Tag und Nacht ihm beizustehen und sorge immer das Schöne und Gute zu sehen. Auch manchen Fortschritt, z.B. mal im Garten, oder Haushalt was zu tun, seine Kirchen Akten zu beantworten oder mal zu lesen. So wird es mit Spazierwegen schon besser. Das sollte ich auch immer sehen.

Zu Deinem Brief. Ich freue mich über Cornelius Schulpläne. Bei dem bisherigen Schulsystem ist der kluge Junge ja "verhungert". Lass ihn nun in der neuen Schule alles nachholen. Auch hat er ja dort nicht den langen Schulweg. Wenn er mag, soll er Vater von den neuen Schulplänen schreiben.

Und Susanne will auf die Akademie [Art Center] gehen. Das Zwischenspiel hat sie praktisch getestet und hoffentlich Geld gemacht. Was macht der Freund?

Über die Nachricht über Peter freuten wir uns. Wie lieb, dass Ihr ihm vieles zu ersetzen sucht.

Und Du mein Liebes wirst wieder "reisen". So viel Erfolg wie im letzten Jahr.

Seid lieb gegrüsst. Sorgt Euch nicht um die Mutti. Ich komme schon durch.

In Liebe Eure Mutter

 

 

 

 

Brief meiner Mutter 25. 6. 80

      Meine liebe BA !

Zu Deinem Geburtstag sende ich Dir sehr herzliche Wünsche. Möchtest Du gesund bleiben und die Verpflichtungen Deiner Familie nachkommen können. Sie sind ja so vielseitig. Dein Rolf in seiner sprühenden Lebhaftigkeit fordert von Dir so wechselvolles Mitgehen. Ich kann mir vorstellen, dass es nicht immer einfach ist. Aber ich weiss, dass dieses meiner Kinder, am meisten von Herzen seine Lieben bedenkt. Und Deine grosse Tochter hast Du so verständnisvoll ihre eigenen Wege gehen lassen. Sicher war dies nicht immer einfach, aber es ist so beglückend, dass Susanne so erfüllt ist von ihrer Berufswahl und sichtbar vorankommt. Das wird Dir Freude machen wie die Zielstrebigkeit von Cornelius, der sich so reich entwickelt.

Du hast wieder einen Einsatz als Reiseleiterin hinter Dir. - Dank für Grüsse von einzelnen Etappen. Wie ist es mit der kranken, alten Dame in Las Vegas weiter gegangen? Das war für Dich eine grosse Verantwortung. Hoffentlich bist Du nun wieder zu Hause.

Sehr gespannt sind wir, ob Eure Reise nach Georgien klappen wird. Das politische Klima hat sich ja zwischen Russland und Amerika entspannt. Wir Deutschen hoffen auch auf eine Annäherung zwischen Breschnew und Kanzler Schmidt in diesen Tagen. Leider ist auch darum ein Hader zwischen unseren Parteien. Hoffentlich setzt sich bei uns nicht der Strauss durch. - Sehr interessant war ein langer Brief von Dieter über die Erlebnisse in Israel. Er hat den Fortschritt in dem Land allenthalben bewundert und auf seinem physikalischen Gebiet ist er sehr gefördert worden. Dazu kam, dass das warme Klima ihm wohlgetan hat. - Berichte über Berlin von Udo und seiner Mutter waren auch positiv. - Ach, weisst Du, man lechzt ja immer nach diesen Berichten über die Kinder und Enkel. - Tine schrieb heute. Sie wollen erst im August-September herkommen. In England wird Tin für September untergebracht und eingekleidet, und danach gehen sie in die französischen Alpen. Es ist unwahrscheinliche Hitze [in Hong Kong] und nur die Wochenenden beim Segeln erträglich. - Von Lengyel kamheut auch Post, er will uns im August besuchen. Es geht Vater entschieden besser. Er läuft ungeführt. Freilich sind zwischendurch immer Schwindelanfälle, so dass ich ihn weiter begleite. Endlich sind die Kirchenbuch Akten zu Ende gekommen, 1858 setzt das Standesamt für die Registrierung ein.

Vor ein paar Tagen brachte Udo Bilder von einer Reise nach Mailand mit. Er hat eine junge (27 Jahre) Ärztin aus Frankfurt kennengelernt, die aus Mailand stammt. Wenn diese ihre medizinische Abschlussprüfung macht, wollen sie sich verloben. Es freut mich sehr, er ist ja nun 40 Jahre alt. - Sein Mutter war 2 Mal bei uns. Sie ist glücklich über die Wende mit Udo, und uns gegenüber herzlich zu der Hammersippe. Im übrigen verreist sie jetzt ihre Freiheit und ihr Geld. - Mit Schwägerin Käthe ging es glatt. - Ostgespräche durftest Du nicht führen. Sie ist mit schwachen Augen gehemmt.

Wir haben ständig Gewitter mit grossen Regenschauern.

      An Euch alle Grüsse, auch an Anneliese und Mutter Geibel.

      In Liebe Deine Mutti.

       

       

       

Angehängt von Vater

Liebe Ba !

Zuerst herzliche Glückwünsche zum Geburtstag. Nun noch kurze Mitteilungen, Heute kam nach langer Pause ein Brief von Christine Hogan. Beide Kinder haben die 1000 Seemeilen Segelfahrt Manilla-Hong Kong offenbar gut überstanden und verdienen gut mit Segelunterricht. - Gelnhausen feiert die 800-jährige Wiederkehr des Reichstags, der Heinrich den Löwen entmachtete und das Ende der Ostexpansion brachte mit Kirchenkonzerten, Vorträgen, einem Besuch des Bundespräsidenten u.s.w. Wenn Cornelius hier wäre, hätte er gut als staufischer Kronprinz dienen können.

Euch alle grüsst herzlich

Vater U. G.

 

 

Briefe beider Eltern Weihnachten 1980

Ihr Lieben!

Wie schön, dass Ihr heute zusammen sein könnt. Ihr 3 Weitgereisten seid glücklich [aus Georgien] wieder in Eurem Reich. Rolf hat mit Cornelius einen Baum geholt. Er steht vor dem Fenster - hat vielleicht auch Kerzen. Und das Susannchen ist auch da. Sie hat gewiss ihre letzten Photos mitgebracht. Es wird erzählt von dem fernen Land, das Euch 3 Reisenden so lieb geworden ist. Ob die Dias geworden sind, ob Ihr sie an die Wand werfen könnt? Ob Cornelius in Georgisch einige Worte dazu sagen kann? Wir würden gern zuhören! Von uns findet Ihr dies Jahr nur einige Bücher vor. Oder sind sie noch nicht da? So erfreut war ich heut Morgen über Bas Anruf. Seid ruhig, es geht wieder besser. Ich bin endlich ohne Schmerzen und kann wieder laufen. [Mutter war auf dem vereisten Weg aus der Stadt gefallen]. Gestern war ich zu Fuss allein beim Fusspfleger, Zuvor mit dem Auto beim Frisör, so allmählich werde ich menschlich. Zu der Freier in der alten Kirche sind wir in einem Bus geholt worden, blendender Stollen wurde gegeben und sehr gute Dias gezeigt von Kunst Werken der Marienkirche. Viele Kleinigkeiten, die man so leicht übersieht. - Ein tiefer Schnee war geschmolzen, und urplötzlich war es diese Nacht wieder weiss. Vater wagt sich bis zur Sparkasse vor. Ich bleibe noch zu Hause, es sei Frau Harnier nimmt mich unter den Arm. Sie brachte ein Adventsgesteck und ihr Mann bringt ein kleines Bäumchen am Sonntag. Er verkauft welche vom Förster aus Heitz. Die Gymnastiklehrerin kommt 2 x die Woche - jung, nett, tüchtig, ich lernte Fussübungen, morgen Hüftgelenke! Die Haushilfe (Renate Maultasch) ist in allen Arbeiten - Wäsche. Ich kann schon zufrieden sein Ich habe die viele Tischwäsche [und] die Weihnachtsgeschenke zurecht gemacht. Was Euch am meisten freuen wird, Vater ist nicht mehr so deprimiert, er sieht, dass unser Leben wieder weitergehen wird. So werden wir Weihnachten ruhig zusammen feiern. Von einem jeden sind Pakete da und viele Briefe. - Udo war Sonntag bei uns. Er und Ernst sind Weihnachten nicht da. Irmgard ist mit einer Ärztegruppe in Südamerika. Udo bei seiner Franka daheim, Ernst bei Brigitte bis Neujahr.

Zuletzt einen grossen Dank, dass Ihr Euch so um uns besorgt. Wie freute ich mich, als ich Rolf durch die Türscheibe erkannte. Und wie lieb hat er geholfen. Erst heute habe ich die Rechnung an Frau Harnier bezahlen müssen!! [was war's? Ich hab's vergessen] Unterdessen hat Vater eine Zuweisung von der Kammer bekommen. Hoffentlich könnt Ihr den Schrieb lesen. (Mutters ja, Vaters immer schwerer]

Liebe Weihnachts Grüsse an Euch alle

Von Eurer Mutti und Omi

Von Vater

[beinahe unleserlich. Obendrein schreibt Vater jetzt mehr und mehr in Sütterlin!:]

Mutters Füller sind alle paar Wochen "kaputt", wahrscheinlich durch offen Liegen lassen innerlich verdreckt. Ein Geschäft reinigt sie so für 3 DM..

Es ist mir leider nicht gelungen, Barbara und Cornelius nach der grossen Reise ausführlich zu sprechen. Ich bitte Cornelius sehr um einen Brief über "Land und Leute in Georgien". Also ich möchte wissen, was mein Enkelsohn für Eindrücke [mit]genommen hat, was in Georgien schöner oder schlechter ist als in Kalifornien... [zwei Worte unleserlich].

Und von Susanne möcht ich wissen, wie sie es fertig gebracht hat Haus und Hof, Wohnung und Garten in gutem Zustand zu halten. Das ist nun mal die grosse Leistung der Frauen, die Wohnkultur.[!]

Tin gefällt es offenbar sehr gut in ihrer kleinen südenglischen Universität mit ihrem regen Gesellschaftsleben. Jetzt sind alle, auch Tin!, eifrige Surfer bei 23 Grad Wassertemperatur.

Ich las ein Bibliotheksbuch von einem deutschen Schauspieler aus Regensburg, der in 4 Jahren 2x ganz allein um die Erde gesegelt ist. Sein Boot war nur 7-1/2 m lang und führte 26 qm Segel in Höchstfall. Eine eigene Erfindung war die Selbststeuerung durch Doppelfock. Im Passat brauchte der Mann fast wochenlang die Ruderpinne nicht anzurühren.

Alles Gute, und ich freue mich auf Eure Briefe!

Grossvater U. G.

 

 

Luftpostbrief meiner Mutter [Kein Datum. Poststempel:] 29. 12 . 80

Liebe Kinder !

Schön, dass ich wieder Post bekam, habt schönen Dank. Ich hatte Vati vom Schreibtisch weggedrängt und will von hier aus schreiben, und hier ist es warm Wir heizen nur seine Stube und die Küche, so gewöhnen wir uns schon an die wenigen Räume - Vater hat. Udo hat mir schon zugesagt, uns mal nach Hanau zu fahren [um ein Seniorenheim zu besehen]. Eine Lösung wird es da auch noch nicht geben. Aber ich kann mir Gedanken machen, wie ich hier mal alles auflöse. Ich fühle mich wieder so weit, das anzugreifen. Ich glaube Ulrich ist auch glücklich, dass es jetzt so weit ist. Mein Gott ist er so sehr unpraktisch und bringt nichts fertig. Ich bin schon einige Male in der Stadt gewesen; die Strassen sind schneefrei, da wage ich mich heraus. Meistens hält ein Auto an und nimmt den Einkauf mit. Es ist jeder mitleidig mit mir. Wir hatten über die Feiertage gutes Essen, Gänsebraten, Hase, ich gutes Compott. Jedenfalls haben wir uns prima ausgeruht, viel geschlafen. Einmal war eine Wandervogelfreundin nach Jahren hier, die auch in ein Altersheim will. Morgen will uns Frau v. Harnier abholen und uns ihr Haus zeigen. Jetzt über das Fest sind wir nicht mehr spazieren gegangen, die Mutter hatte da nicht Zeit dazu. Eine kleine Tante hatte uns Harniers besorgt.

Die Kinder hatten allerlei Schälchen besorgt [Weihnachtsgeschenke], ich bin immer eingenommen von ihrem Einfall. Im Augenblick essen wir Bas Stollen, Anneliese hat wieder neu neue Kalender für Vaters Stube gemacht. Peters Bild gefällt mir nicht, es ist so steif. Ich bin erstaunt, dass sie [Anneliese] immer weiter so was anfängt, eine mühsame [Porzellan] Schale hat sie angefangen, es ist das feinste Material was zu verarbeiten geht.

Wir sind froh, dass Dieter sich entschlossen hat am 10. 1. vorbei zu kommen [auf einer Reise nach Israel]. Es ist ein Glück, dass er noch mal in die Wärme kann. - Arme Evelyn musst Du wieder allein mit den Kindern bleiben!

Ich will Dir raten, übersehe Cornelius Abgezogenheit, er wird sich schon wieder angliedern - lass ihn. Er hatte vielleicht zu viel zu bewältigen.

Seid alle lieb gegrüsst. Das Schreiben geht noch langsam.

              Eure Mutti.

Luftpostbrief meiner Mutter [kein Datum, Poststempel:] 14. 1. 81

Ihr Lieben !

Freudig erschreckt war ich durch Bas morgendliches Gespräch [Anruf]. Die Gute hat ein Teil der Nacht geopfert. - Ja, wir hatten einen sehr lieben 2-1/2 Tage Aufenthalt mit Dieter. Sonnabend Mittag brachte ihn Udo mit dem Auto vom Flughafen. So waren sie zum Mittagessen da. Ich hatte alles gut vorbereitet, desgleichen den Sonntag, wo Udo wieder heim fuhr. Seine Franka steckt gerade in der 2. Medizinischen Prüfung und wird sich erst später wieder sehen lassen. - nach dem Essen schickten uns die Jungen schlafen, und als wir nach 1 Stunde wieder erschienen, putzten sie immer noch und schrubbten angebrannte Pötte! Nach dem Kaffe läutete Brigitte an, sie hat in einem Altenwohnheim in Forchheim (Bahnstation nahe Erlangen) eine Wohnheim Einheit (2 Zimmer, Küche, Veranda, Vorraum, Bad, Klo) entdeckt, so gegen Frühjahr zu beziehen. Anfangs war ich ganz benommen. Nun kam heute das schriftliche Angebot. Ich schrieb die Bewerbungen, liess von Dr. Johst die Gesundheits Atteste ausstellen, Ja, aus Hanau wird vor einiger Zeit (laut Absage) nichts. Da die Unterlagen von Forchheim gut schienen, Onkel Gerhard den Ort von einer Tagung kennt und schön fand, dürfen wir es [uns] nicht entgehen lassen und probieren. Die Jungen hatten sofort Karten der Umgebung bereit. Dieter versicherte, dass nachdem er hier war, er würde hier die Sachen sichten kommen, nachdem wir unseren Kram ausgeräumt hätten, würden sie einige Zeit mit den Kindern hier wohnen. Rolf weiss, dass nachdem er hier war, Vater das Haus von einem bekannten Architekten hat schätzen lassen, der rät es noch einige Zeit zu vermieten.

Dieter hat sich um alle Bank Angelegenheiten mit Vater gekümmert, hat noch vom Bahnhof wegen Medikamenten mit Johst telephoniert.

Heut war ich mit ihm beim Augenarzt, der sehr zu frieden war. [letzte Zeile abgeschnitten, am Rand:]

Kornelius Brief kam.

Eure Mutti

Luftpostbrief meiner Mutter [undatiert, Poststempel:] 23. 1. 81

Liebe Kinder!

Morgen hatte Frau Harnier vor, Vater und mich ins Altenheim nach Hanau zu fahren. Ich hatte mich bei dem Leiter telefonisch angemeldet. Er sagte, [auf] ein 2-er Zimmer Apartment sei vorläufig erst zu rechen, wenn jemand in diesem stirbt. Bei Brigitte, was mir in der Ausdehnung besser gefällt, scheint auch nichts zu werden. Im Augenblick sieht es auch von uns aus anders aus. Vater ist ohne ernstliche Ursache zusammengeklappt. Er hört schlecht und spricht noch schlechter als zuvor. Heut morgen hatte ich den Arzt da und jetzt Mittag nochmals. Zum Glück war kein Harn Verschluss da - brauchte nicht katerisiert zu werden. Ich habe daraufhin Frau v. Harnier wieder 2 Stunden bestellt. Sie hat liebend gern zugesagt und kann mich bei der Pflege beraten, Einkäufe erledigen und Vater beeinflussen. Er ist ein schwieriger Patient. Aber im Krankenhaus wird er nicht besser, wo kein akutes Leiden vorliegt. Der Druck, dass er hier [aus dem Haus] raus muss, ist der Hauptgrund. Wenn die vereisten Wege erst weg sind, wird es leichter.

Übrigens hat hier Vater bei einem Weinvertrieb einige Flaschen gekauft für die Feier zum 80. Geburtstag. Am Montag den 16. kommt der Geschichtsverein ins Haus. Die Frau vom Vorstand sagte mir, ich solle nur Wein vorsetzen und kein Gebäck. Die Verwandten und Nachbarn kommen gratulieren. Für diesen Tag backen mir Brigitte und meine frühere Bedienung. Also lass ich alles so laufen wie es auch Vater besser geht. Wir haben auf Vaters Krankenhaus Abrechnung noch ein zweites Mal 1000 DM vergütet bekommen von der Landwirtschafts Kammer. Einen geringeren Teil zahlt die Krankenkasse zurück. Also brauchen wir nicht zu knausern. - Ich schreibe davon, damit Ihr nicht in Unruhe seid. Ich bin natürlich von der Unsicherheit bedrückt.

Vater war erfreut über Cornelius Brief. Und ich über Susannes. Sie soll nicht traurig sein, dass wir nicht selber uns bedanken, aber in der bedrückten Verfassung wird es nicht so recht. Sagt Anneliese von uns. - Wir grüssen Euch alle sehr herzlich.

In Liebe Mutter und Omi.

 

Mein Vater starb am 20. März 1981 im Krankenhaus in Bad Orb, wohin Mutter ihn hatte schaffen müssen. Barbara flog nach Gelnhausen und sah ihn noch einmal am Tage vor seinem Tod. I flog einen Tag später, um zusammen mit Barbara seine Kinder bei der Einsegnung zu vertreten. Vater sollte danach eingeäschert und in einer zweiten Feier in dem Grab meiner Grossmutter Hammer beigesetzt werden. Von der Familie waren Brigitte, Ernst, Udo und Onkel Gerhard da. Mutter war in einer erlösten, beinahe euphorischen Stimmung. Wir machten Pläne, sie im Sommer für ein paar Monate nach Pacific Palisades zu holen.

 

Brief meiner Mutter 6. 4. 81

Ihr Lieben !

Nun sollt Ihr einen Brief haben, der Euch zeigt, dass Ihr Euch um mich nicht zu sorgen braucht.

Eben komme ich mit Renate vom Kirchhof. Wir haben all die welken Blumen und Kränze abgeräumt. Es war nicht mehr viel übrig. Die Schalen haben wir leer heim gebracht. 2 sind mit Primeln frisch gefüllt, die können demnächst wieder aufs Grab.

Es soll morgen die Beisetzung der Urne sein. Kockelkorn, der selbst nicht fort kann, hat erklärt, das gibt es nicht, dass Sie allein dastehen, einige vom Geschichtsverein werden hinkommen. Um 11 Uhr nach dem Morgenläuten will Haupt zu einer kurzen Feier kommen. Herr Kuban holt mich mit dem Auto ab, und einige Nachbarn kommen auch. So sind die Verwandten ersetzt, und ich bin nicht allein. Dies ist hier so üblich.

Gestern hat mich Frau von Harnier mit dem Auto abgeholt. Wir sind nach dem Kaffee im Wald um ihr Haus spazieren gegangen. Die Nachbarn kamen, nachdem Rolf weg war auch jeden Tag. Eine brachte ihren selbstgebackenen Kuchen, ander Blumen. Ein kleines Sträusschen an Ulrichs Bild hat mich besonders gefreut. Ich habe erst ein altes Passbild stehen und bitte Susanne sehr ein besonders schönes zu vergrössern, Rolf meinte, Ihr hättet Aufnahmen von Vati.

Vor Vaters Schreibtisch blüht der Kirschbaum üppig. Und der Garten nimmt eine neue Gastalt an. Renates Freund erweist sich als tüchtiger Gärtner. Das Teichloch ist mit Abraum und Steinen fast zu geschüttet. Heut früh zeitig stand ein Lastwagen voll Garten Erde vor der Tür. Herr Harnier hatte diesen bestellt. Den alten, schimpfenden Fahrer lotste ich bis zum Anfang unseres Garten (seitlich neben Kienzlers Küchenfenster) zum Abladen. Der Gärtner lobte den Platz, von dem er in einigen Tagen mit der Karre alles wegbringt. Ich mache mir Gedanken, Vater wäre diese Veränderung nicht lieb gewesen. Aber einmal fiel der Teich zusammen, und zum anderen kann ich den Garten im alten Stil nicht halten. Hoffentlich wird alles nicht zu teuer.

Mit Gerhard Kienzler sprach ich gestern. Er meint, ich solle zunächst nicht bezahlen und die Rechnungen unbezahlt einreichen. Den Güth mit 2272.95 DM habe ich aber bezahlt; ich fand es nicht recht, den warten zu lassen. - wegen der Bezahlung im Orber Altenheim gibt es Unklarheiten. Ich habe heut Erkundigungen eingeholt, das muss sich klären. Es regt mich natürlich immer auf. Und das Krankenhaus ist ja wahnsinnig teuer, da haben sie die 1. und 2. Klasse als Geld zusammengezogen. Gut, dass Vater nur 11 Tage da drin war, wo er sich so gequält gefühlt hatte, wo ich ihn nach Orb deshalb brachte. Ja, wenn ich geahnt hätte, dass er nach 3 Tagen starb, hätte ich ihn doch heim genommen. Aber es ist müssig jetzt darüber Betrachtungen anzustellen. Ach Ba, dass Du mit mir bei ihm warst, wovor ich mich so fürchtete.

Ich habe 4800 DM auf dem Konto. Mein Witwengeld hat man mir noch nicht mitgeteilt. Aber eine Beihilfe von 1200 DM gibt die Kammer. Ich werde den Antrag in den nächsten Tagen ausfüllen. Dieter rief gestern an, er will herkommen nach seiner Rückkehr von Israel, wohin er heute fliegt. Er sorgt sich, wie ich mit dem Gelde zurecht komme. - Hat Rolf das Testament zugeschickt bekommen?

Lasst Anneliese den Brief lesen. Ich grüsse sie und Peter herzlich.

Lebt wohl. Habt Dank, dass Ihr mir so beigestanden habt.

Sehr lieb

Eure Mutti.

 

 

 

Die letzte Postkarte meiner Mutter 21. 5. 1981

Liebe Ba !

Am 1. 6. wird eine etwa 45-jährige Frau bei mir 2x nachmittags auftreten. Sie war früher Krankenpflegerin; ganz geeignet, wenn ich mal nicht kann. Die Renate geht ja am 1. Juli in die Ausbildung. So bin ich froh, [dass ich sie] von der Kirche nachgewiesen bekam. Auch zum Zahnarzt werde ich vom Diakonissen Werk mit dem Auto gebracht. Es scheint die neue [Zahn] Prothese (unten!) zu passen. Ein Glücksfall. Am Sonntag kommt Käthe Schmidt für zehn Tage. - Ich habe meine Schlafstube verkleinert! Heute werde ich die Betten zu decken und nähen, noch ist es mir ungewohnt. - Im Garten wächst die neue Grasfläche, vom Teich ist nichts mehr zu sehen. Die Himbeerstange war zusammengefallen. Renates Freund hat sie zum Stehen gebracht. Petunien und Geranien habe ich für die Balkonkästen neu gekauft. - Udo war da. Ich habe die Steuererklärung auf dem Finanzamt abgegeben. Eine Eingabe an die Kammer für eine Beihilfe ist unterwegs. Ich gehe Morgen auf die Bank fragen, ob Geld angekommen ist. Dafür hat sich Dieter eingesetzt. So komme ich durch. - Ich werde von "liebreichen Nachbarn" ständig eingeladen, auf den Friedhof zum Giessen gefahren - uff! - Eben habe ich 3 Plastikbeutel (Spinat, Rührei und Pellkartoffeln) heiss gemacht. Es ist gut schmeckendes Essen. Danach gibt es Apfelsinensalat! - Ich wünsche mir ein Photo von Ulrich. Rolf Dank für die vielen guten Aufnahmen.

An alle liebe Grüsse

Käthe.

 

Zwei Wochen später, als Käthe Schmidt da war, erlitt Mutter einen interkranialen Gehirn-Aneurismus (eine geplatzte Ader, wie ihr Bruder Fritz) als sie Schlagsahne aus dem Keller holen wollte.... Sie lag noch 10 Tage im Krankenhaus im Koma, bevor sie am 8. Juni 1981 starb. Tine traf kurz vorher ein. Wir sind nicht zu ihrer Einäscherung gekommen. Ihre Urne liegt im selben Grab mit Vater, Grossmutter Hammer und Tante Grete Laffert auf dem kleinen Friedhof am Ende der Leipziger Strasse. 1999 hat Udo seine Mutter, Irmgard Hammer, auch dort beigesetzt.